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Inklusion und die Geschichte einer Zahnbürste
Sarah Yolanda Koss mit einer kurzen Erzählung über Politik zu Menschen mit Behinderungen
Es war einmal, irgendwann zur Mitte des 20. Jahrhunderts, ein Schweizer Erfinder. Er plante, eine Hilfeleistung zur Körperhygiene für Menschen mit Behinderungen, Verletzungen und für Ältere zu entwickeln – kurz, für all jene mit eingeschränkter Motorik. Zack, erblickte die elektrische Zahnbürste die Welt. Und es stellte sich heraus, die Allgemeinbevölkerung genoss den Luxus und die Effizienz des Geräts. Heute ist die Zahnbürste aus vielen Bädern nicht mehr wegzudenken.
Die Schweizer Erfindung ist ein Beispiel für ein Argument, dass Aktivist*innen für die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen konstant anführen. Ideen, Gesetze oder Erfindungen, die ursprünglich als inklusive Maßnahmen gedacht sind, dienen häufig – und oft ungeplant – der Allgemeinheit. Das haben inzwischen auch die Führungsriegen vieler Privatkonzerne erkannt, weshalb sie auf die Entwicklung inklusiver Produkte setzen.
Wer das scheinbar nicht erkannt hat, ist die deutsche Bundesregierung. Sie arbeitet derzeit an einem völlig zahnlosen Referentenentwurf für Gleichstellung, der eher dazu dient, Freiheiten von Konzernen zu schützen als die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dabei sollte das Gesetz ursprünglich dazu dienen, dass alle gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen können.
Die aktuelle Inklusionspolitik mündet darin, dass sich Menschen mit Behinderungen weiterhin täglich zwischen fundamentalen Rechten entscheiden müssen: zwischen Teilhabe und Datenschutz beispielsweise. Oder dem allgemeinen Arbeitsmarkt und Werkstätten. Ein Dreivierteljahrhundert nach der Erfindung der elektrischen Zahnbürste kann es das doch nicht sein.
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