nd-aktuell.de / 03.12.2025 / Kultur

Film »Teresa«: Ohne Heiligenschein

Teona Strugar Mitevska hat ein Biopic über Mutter Teresa gedreht, das keinesfalls kniend vor der Heiligen dahinsinkt

Gunnar Decker
Beeindruckt, schonungslos, aber keineswegs unfair schaut Regisseurin Teona Strugar Mitevska auf Mutter Teresa.
Beeindruckt, schonungslos, aber keineswegs unfair schaut Regisseurin Teona Strugar Mitevska auf Mutter Teresa.

Sieben Tage im Leben einer Nonne in Kalkutta, die ihr Leben verändern werden. Noch ist sie Oberin des Ordens der Schwestern von Loretta, aber sie hat ihr Kündigungsschreiben bereits nach Rom geschickt. Sie will raus aus dem Orden, denn sie hat ein hohes Ziel: einen eigenen Orden, den sie gründen will, um für die Armen, die Kranken, Obdachlosen und Sterbenden da zu sein, um die sich 1948 in Kalkutta niemand kümmert.

Wir warten mit der Nonne, die da noch nicht Mutter Teresa heißt, auf den Entscheid des Vatikans über ihr Gesuch. Solche Bitten werden natürlich immer abgelehnt. Jeder bleibe auf seinem Posten, wohin ihn Gott gestellt hat, heißt es dann. Aber diese Oberin albanischer Herkunft, 1910 im Osmanischen Reich geboren, hat einen starken Willen, ist es gewohnt, sich durchzusetzen. Ihr Beichtvater Pater Friedrich (Nikola Ristanovski) bewundert sie dafür, die Schwestern ihres Klosters ohnehin. Aber manche fürchten sie auch, denn das, was sie selbst ihre Berufung nennt, erscheint einigen von ihnen als das Gegenteil von Demut – als Drang, im Mittelpunkt zu stehen.

Diese Oberin albanischer Herkunft, 1910 im Osmanischen Reich geboren, hat einen starken Willen, ist es gewohnt, sich durchzusetzen.

Noomi Rapace ist jene Nonne, die beschlossen hat, als Mutter Teresa ihren eigenen Orden zu gründen. Sie ist stark, aber nicht großzügig. Die Antwort aus Rom wird positiv sein, keine Frage; sie selbst erstaunt das am wenigsten. Was sie in die Hand nimmt, das bringt sie auch erfolgreich zu Ende. Eine Nachfolgerin für sich als Oberin hat sie ebenfalls schon parat, Schwester Agnieszka, weniger hart, verletzlicher auch. Aber sie versagt im entscheidenden Moment, begeht in den Augen der künftigen Mutter Teresa eine unverzeihliche Sünde: Sie wird schwanger. Da gibt es kein Pardon, auch wenn die Mitschwester das Kind heimlich abtreiben lassen will. Sie hat gefehlt – und Gott sieht alles. Und verzeiht nichts, fragt Schwester Agnieszka. Nein, nicht solch schwere Verfehlung. Sie muss den Orden verlassen.

Teona Strugar Mitevska liegt mit ihrem Film keineswegs bewundernd auf den Knien vor der weltberühmten Mutter Teresa. Sie hat vor einigen Jahren bereits einen Dokumentarfilm über Mutter Teresa gedreht, in welchem sie mit den vier letzten noch lebenden Schwestern sprach, die mit ihr einst den Orden der »Missionarinnen der Nächstenliebe« gegründeten. Daher auch der Untertitel »Ein Leben zwischen Licht und Schatten«.

Die schrillen Klänge des Elektro-Sounds (Musik: Magali Gruselle und Flemming Nordkrog) machen von Beginn an klar: Verklärung einer künftigen Heiligen findet hier nicht statt. Aber auch keine vorsätzliche Demontage. Obwohl Noomi Rapace es nicht darauf anlegt, beim Zuschauer Sympathiepunkte zu sammeln. Fürsorglich oder gar liebevoll im Umgang mit den ihr anvertrauten Ordensschwestern kann man sie nicht nennen. Der Führungsstil Mutter Teresas ist so autoritär wie jener der Katholischen Kirche. So findet sie etwa Namen für Ordensschwestern viel zu individuell. Nummern sollten doch reichen! Das stößt auf wenig Gegenliebe, aber darauf zählt die Oberin auch nicht. Sie allein hat hier das Sagen.

Als eine alte Ordensschwester, die für die Finanzen des Klosters zuständig ist, eines Tages vor einer Rechenmaschine sitzt, die ihr die Bank überlassen hat, verbietet sie das. Hat die Schwester Buchhalterin etwa keinen Kopf, mit dem sie rechnen kann? Schon, aber so geht es doch viel einfacher und ist zudem genauer. Wenn sie nur oft genug nachrechne, komme sie auch zu genauen Ergebnissen, erhält sie zur Antwort.

Warum ist die künftige Mutter Teresa so schroff – hat sie Freude am Verbieten, am Schikanieren gar? Die Frage bleibt offen, aber die alte Ordensschwester hatte sie kurz vor dem Entzug der Rechenmaschine vor Eitelkeit und Stolz gewarnt.

Das Elend in Kalkutta, das uns die Kamera von Virginie Saint-Martin in schockierender Direktheit vor Augen führt, wird zum Schauplatz des künftigen Wirkens von Mutter Teresa und ihres Ordens bis zu ihrem Tod 1997. Aber das ist nicht Thema dieses Films. Hier haben wir 104 Minuten lang Gelegenheit, während sieben Tagen eine Frau kennenzulernen, deren Namen bald die ganze Welt im Munde führen wird. Mutter Teresa ist zum Synonym für selbstlose Hilfe für Arme und Kranke, aber auch für Barmherzigkeit geworden. Ende der 40er Jahre sind die vielen Leprakranken in Indien noch nicht zu retten, sie werden wie Aussätzige im Mittelalter behandelt, sterben auf der Straße. Auch sie, so Mutter Teresa, können zu Jesus finden, und ihre Seele kann gerettet werden.

Da wird uns klar, wir sind in Indien und Mutter Teresa ist eine Missionarin, deren Ziel es ist, möglichst viele Menschen zur Konversion zum Christentum zu bewegen. Und sei es auf dem Totenbett! Kritiker meldeten sich zu Wort: die hygienischen Verhältnisse in den von ihr betriebenen Hospizen seien überaus schlecht gewesen. Medizinisch fand kaum oder gar keine Betreuung statt. Was ist von der Askese zu halten, die sie vorlebte? Sie entledigte sich all jener Gegenstände, die sie nicht brauchte, das scheint anerkennenswert. Aber wenn sie dies auch stellvertretend für andere tat? Schmerzmittel fand sie überflüssig, der Schmerz führe näher zu Gott. Das kann man für sich so entscheiden, aber auch für andere?

In ihrer Friedensnobelpreisrede 1979 verteidigte sie ihre radikale Ablehnung der Legalisierung von Abtreibungen. Die Worte, mit denen sie das tat, klangen befremdlich militant: »Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind in ihrem eigenen Schoß ermorden kann, was für ein schlimmeres Verbrechen gibt es dann noch, als wenn wir uns gegenseitig umbringen?« In Irland trat sie 1995 vor der dortigen Volksabstimmung zur Abschaffung des Ehescheidungsverbots auf, um die Gegner einer Liberalisierung zu mobilisieren (ohne Erfolg).

Wer war Mutter Teresa, eine Fanatikerin, die ihren Missionsauftrag rücksichtslos über die Nächstenliebe stellte? Die auch Geld aus kriminellen Quellen nahm und sich jeder Rechnungsprüfung ihres Ordens verweigerte? Nun kann man einwenden, dass sich unsauberes Geld kaum besser verwenden lässt, als es den Armen und Kranken zu geben. Doch Kritiker beharren darauf, es sei Mutter Teresa nicht um praktische Hilfe gegangen, sondern immer zuerst um Missionierung. Hierzulande erinnert man sich vielleicht noch an zwei Besuche Mutter Teresas 1983 und 1988 in Karl-Marx-Stadt, wo sie eine Niederlassung der Missionarinnen der Nächstenliebe initiierte.

In Rom war Mutter Teresa jederzeit hoch angesehen. Kein Wunder, stand sie doch den Hardcore-Ideologen näher als den Pragmatikern, die undogmatisch helfen wollten, wo geholfen werden musste. Mutter Teresa aber waren die Dogmen heilig. Wurde sie darum 2016 von der Katholischen Kirche heiliggesprochen?

Wundertäter sind natürlich ein Anachronismus in einer aufgeklärten Welt. Um ein Heiliger oder eine Heilige der Katholischen Kirche zu werden, müssen zwei Wunder nachgewiesen werden, die jemand vollbracht hat. Die zwei Wunderheilungen, die ihr im Heiligsprechungsprozess zugeschrieben wurden, waren keine, so stellte sich später heraus.

Dieser eindrucksvolle, durchaus schonungslose aber keineswegs unfaire Film zeigt eine ungewöhnliche Frau am Anfang ihres Weges in die zweifelhafte Berühmtheit. Man kann ihr vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie kein Charisma besessen hätte. Nutzte sie dieses für die Armen, oder benutzte sie die Armen bloß für ihre ideologischen Ziele? Der Religionskritiker Christopher Hitchens urteilt: »Mutter Teresa war keine Freundin der Armen. Sie war eine Freundin der Armut. Sie sagte, Leiden sei ein Geschenk Gottes.«

»Teresa – Ein Leben zwischen Licht und Schatten«, Belgien/Nordmazedonien. Regie: Teona Strugar Mitevska. Mit: Noomi Rapace, Sylvia Hoeks, Nikola Ristanovski. 104 Min. Start: 4. Dezember.