Ende Oktober berichtete das »Wall Street Journal«, dass die US-Regierung jeweils 10 Millionen Dollar in mindestens drei Unternehmen investieren will, die derzeit Quantencomputer[1] entwickeln. Bereits seit den 50er Jahren gilt Quantentechnologie als Zukunftstechnologie. Damals wurden unter anderem Atomuhren entwickelt. Deren Zeittakt wird nicht wie bei mechanischen Uhren durch die Bewegungen von Pendel oder Unruh bestimmt, sondern aus der charakteristischen Frequenz von Strahlungsübergängen der Elektronen freier Atome abgeleitet.
Das aktuelle Interesse gilt aber wesentlich breiteren Anwendungsmöglichkeiten, die sich aus der sogenannten Quantenrevolution 2.0 seit den 2000er Jahren ergeben. Auch hier geht es um Energieänderungen kleinster Teilchen wie Elektronen, Photonen oder Ionen und deren dadurch ausgelöste Bewegungen. Werden sie für Quantencomputer stabilisiert, können Rechenoperationen in enormer Geschwindigkeit durchgeführt werden.
»Die ersten Quantencomputer, die wir entwickelten, konnten Rechenoperationen, für die klassische Supercomputer 10 000 Jahre brauchen würden, in wenigen Minuten durchführen«, erklärte der aus Aachen stammende Informatiker Hartmut Neven, der bei Google das Quantum Artificial Intelligence Laboratory leitet, während eines Symposiums der LAS Art Foundation in Berlin. Ende Oktober 2025 stellte sein Team im Fachjournal »Nature«[2] sogar einen Algorithmus vor, der auf einem Quantencomputer 13 000 Mal schneller laufe als auf klassischen Supercomputern[3].
Woher kommt dieses Tempo? Klassische Computer basieren auf den Zuständen ein und aus oder null und eins. Sie arbeiten Aufgaben nacheinander ab. Weil Quantencomputer auf den Eigenschaften von Elementarteilchen basieren, können sie aber parallel sehr viele Aufgaben bewältigen.
Physiker erklären Normalsterblichen das Prinzip gern mit einem Münzwurf: Liegt eine Münze flach in der Hand, sieht man nur eine Seite, entweder Kopf oder Zahl, vergleichbar mit null oder eins. Wirft man die Münze in die Luft, sodass sie sich um die eigene Achse dreht, sieht man Kopf und Zahl, aber jeweils fast gleichzeitig und zudem in immer wechselnden Abstufungen. Ein Qubit, also ein Elementarteilchen, das zugleich der kleinste Baustein eines Quantencomputers ist, kann ebenfalls stufenlos viele Zustände einnehmen. Aufgrund dieser Eigenschaft können in einem Rechenschritt sehr viele Ergebniskombinationen gleichzeitig bearbeitet werden.
Quantencomputer können parallel sehr viele Aufgaben bewältigen.
Neven selbst sieht hier unter anderem Anwendungsmöglichkeiten bei der Entwicklung neuer Medikamente, weil in bisher unerreichter Geschwindigkeit sehr viele Proteinkombinationen und deren Wirkmechanismen simuliert werden können. Auch in der Erforschung neuer Materialien sieht er immenses Potenzial. »Klassische Computer können nicht genau berechnen, was auf molekularer Ebene geschieht. Mit einem Quantencomputer können wir dagegen die Sprache der Natur sprechen und diese Komplexität bewältigen«, sagte er bei der Vorstellung des neuen Algorithmus.
Der Philosoph Tobias Rees sieht in der Quantenmechanik[4] sogar eine echte Umwälzung unseres Wissens und unserer von Galilei und Newton geprägten Vorstellung von der Welt. »Es eröffnet sich eine neue Welt, die wir nicht mechanistisch wahrnehmen und beschreiben können, sondern die sich stufenlos erklären lässt, ganz so, wie die Natur auch ist«, sagte Rees beim Symposium Sensing Quantum in Berlin. Er verglich die Funktionsweise der neuen Technologie mit dem Hegen und Pflegen der Pflanzen eines Gartens.
Das sind tatsächlich faszinierende Aussichten. Man könnte an Callcenter denken, bei denen man den Schaden oder Mangel, den man melden will, nicht in eine der zum realen Problem meist gar nicht passenden Kategorien zwängen muss. Auch realistische Berechnungen des ökologischen Fußabdrucks einzelner Personen, Unternehmen und Gesellschaften sowie die Abschätzung von deren Einfluss auf das Klima erscheinen gar nicht mehr so fern.
Genug Probleme gibt es allerdings auch noch zu bewältigen. Quantencomputer sind recht fragile Gebilde. Sie müssen auf minus 273 Grad Celsius gekühlt und auch sonst von Umwelteinflüssen abgeschirmt werden. Neven etwa bangte in Kalifornien um »seine« Qubits, als ein Sonnensturm sie mit Energiepaketen auflud. »Um sie besser abzuschirmen, hatten wir schon überlegt, sie tief in Bergwerksstollen zu verlagern. Allerdings gibt es da andere störende Energiequellen wie radioaktives Material. Zum Glück kamen unsere Ingenieure dann auf die Idee, sogenannte Energiefallen zu entwickeln, die Strahlung auffangen, sodass der Rechenprozess nicht mehr gestört wird«, erklärte er.
Derzeit entwickeln Großunternehmen wie IBM, Google und Amazon eigene Quantencomputer, ebenso kleinere Unternehmen wie Rigetti, D-Wave und IonQ – in die letzteren drei sollen auch die US-Investments unter Trump fließen. In Deutschland wurde 2021 der erste Quantencomputer von IBM am Fraunhofer-Institut Ehningen in Betrieb genommen. D-Wave-Systeme betreibt das Forschungszentrum Jülich. An einer eigenen Hardware arbeiten gegenwärtig das Leibniz-Rechenzentrum München und das Start-up Planqc.
Das weltweite Investitionsvolumen in Quantentechnologie beträgt laut der Branchenplattform Qureca[5] aktuell etwa 55 Milliarden US-Dollar. Führend ist dabei interessanterweise Europa mit insgesamt etwa 17 Milliarden Dollar an vor allem staatlichen Investitionen – vor China mit etwa 15 Milliarden Dollar, Japan mit 7,9 Milliarden und den USA mit 7,67 Milliarden Dollar. Für den gesamten afrikanischen Kontinent hingegen wird als einziges Land Südafrika genannt, mit vergleichsweise mageren 10 Millionen Dollar.
Diese Aufstellung deutet auf eines der größeren strukturellen Probleme hin: Es droht eine massive Fortschreibung der eklatanten Unterschiede, die bereits beim Zugang zu Internet und digitalen Kommunikations- und Vertriebstechnologien beobachtet wurden. Ein »Quantum Divide« prophezeite Tommaso Calarco, einer der führenden europäischen Quantenphysiker und zugleich einer der Initiatoren des bereits 2016 verabschiedeten europäischen Quantum Manifesto.
Calarco befürchtet eine »Beschleunigung des Abstands in der Produktion von Reichtum«, was zu größerer Armut und härteren Konflikten führe, erklärte er ebenfalls in Berlin auf dem Sensing Quantum Symposium. Das Symposium versammelte Grundlagenforscher, anwendungsorientierte Naturwissenschaftler sowie Philosophen und Künstler, die sich mit Quantentechnologie beschäftigen. Es ist Teil eines mehrjährigen Projekts zum besseren Verständnis der Quantentechnologie, das von der LAS Art Foundation ausgerichtet wird. Die Stiftung wurde vom Logistikunternehmer Jan Fischer ins Leben gerufen und operiert an den Schnittstellen von Kunst, Wissenschaft und Technologie.
Das gegenwärtig wohl am stärksten auch außerhalb des Kreises der Quantenphysiker diskutierte Risikopotenzial der neuen Technologie liegt darin, dass die Quantencomputer in wenigen Jahren in der Lage sein dürften, die meisten Verschlüsselungssysteme zu knacken.
Cyberkriminelle, aber auch Geheimdienste könnten schon jetzt verschlüsselte Dateien speichern, um sie dann zu entschlüsseln, wenn die passenden Quantentechnologien verfügbar sind, warnte[6] der Computersicherheitsanbieter Fortinet. Wegen all dieser Risiken fordert Shamira Ahmed von der Uni Delft einen an den Menschenrechten orientierten Ethik-Kodex für Quantentechnologie. Ein erstes Grundsatzpapier dazu publizierte[7] sie in diesem Jahr bereits für die Unesco.
Nötig ist allerdings, die Regeln auch schnell umzusetzen. Für die Künstliche Intelligenz[8] gab es 2021 bereits ein ähnliches Papier[9], das unter anderem den Schutz der Privatsphäre forderte. Die Unternehmen, die das maschinelle Lernen vorantrieben, hielten sich nur nicht daran. Jetzt, da die Quantencomputertechnologie ihren Kinderschuhen entwächst, ist daher der richtige Zeitpunkt, einen Ethik-Kodex verbindlich für alle zu machen.
Die Zeit drängt. Denn die Technologie hat sogar schon die Erde verlassen. Im Juni schickten österreichische Wissenschaftler den ersten Quantencomputer ins All. Er funktioniert dort, auch unter den Herausforderungen kosmischer Strahlung, und verarbeitet globale Klimadaten.