nd-aktuell.de / 04.12.2025 / Kultur

»Pluribus«: Aliens Helikopterkind

In Vince Gilligans neuer Sci-Fi-Serie »Pluribus« kämpft Rhea Seehorn gegen eine Übermutter aus dem All

Klaus Ungerer
In »Pluribus« ist Hauptdarstellerin Rhea Seehorn besonders gut im spröde und misstrauisch Auftreten.
In »Pluribus« ist Hauptdarstellerin Rhea Seehorn besonders gut im spröde und misstrauisch Auftreten.

Wenn Aliens die Erde überfallen, ist es nicht ungewöhnlich, dies als Anlass für einen aufgepimpten Kriegsfilm zu nehmen: neue Wummen, neue massive Vernichtungsmethoden, neue bildschirmaffine Destruktionen von Körpern und Geist, Kampf, zack, kawumms. Der Alien-Angriff ist ein Festival des toxisch Maskulinen, hier ist der Feind noch Feind, ein tintenfischiges, insektoides Monster, und alles, was die Helden zu tun haben, ist, ihn zu vernichten, sonst wären sie ja keine.

Wenn der neueste Alien-Überfall allerdings die neue Serie nach einer Idee von Vince Gilligan ist, so darf man hoffen, dass er sich mit Plattmacherei nicht zufriedengibt und dass es vielleicht auch eher nicht um die Doof-Idee »Rettung der Menschheit« geht. In seinen modernen Serienklassikern »Breaking Bad« und »Better Call Saul«[1] kreiste Gilligan eher um die Einsamkeit des Individuums, also um das klassische Cowboymotiv des Einzelkämpfers. Dieser hat sich von einer Gesellschaft abgewendet, welche exakt so gnadenlos, verbrecherisch und verlogen ist, als hätte der Angriff der Space Monster schon vor Jahrtausenden erfolgreich stattgefunden und hätte eine neue, weltumspannende, menschenfeindliche Normalität etabliert.

Wenn die ganze Welt dir stets freundlich zuwinkt, wenn sie dich in allem, was du tust, immer bejaht – wie willst du diese Welt bekämpfen?

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Einsamkeit und Unverstandensein sind auch in Gilligans neuer Serie »Pluribus« ein zentrales Thema, und um es für sich und uns etwas interessanter zu machen, hat Gilligan die Natur der Alien-Invasion umgestülpt. Statt einer toxischen Kultur kriegsbereiter Kerle bringen die Aliens das ganze Gegenteil über die Welt: Sie löschen das Individuum nicht durch Zweikampf aus, durch den Aufeinanderprall unverträglicher Individualinteressen und Töterei. Sondern hier ist das Individuum bedroht durch etwas, das man vielleicht toxische Mütterlichkeit nennen könnte. Und um eine Abgrenzung von der Übermutter besonders schwierig zu machen, hat Gilligan eine Frau ins Zentrum seiner Geschichte gesetzt.

Die einsame Heldin von »Pluribus« ist die Bestsellerauorin Carol, gespielt von der gern spröde und misstrauisch auftretenden Rhea Seehorn. Ihr gibt man gern ein, zwei Episoden Vertrauensvorschuss, da sie ja auch schon zu »Better Call Saul« gehörte und somit zu einer der schönsten Serien des laufenden Jahrtausends. Ihre Heldin wird in eine Konstellation gebracht, die nicht durch Faustkampf und Geballer gelöst werden kann. Was ist, wenn kein Typ mit einer Knarre dich bedroht, sondern eine Welt, die dich in allem, was du tust, immer bejaht? Die dir synchron von überallher freundlich zuwinkt? Die alles über dich weiß und jeden deiner Schritte verfolgt? Und die alle Unterschiede zwischen Individuen aufhebt – eine allvereinnahmende Mutterfigur?

Die Heldinnengeschichte von »Pluribus« beginnt mit einer Lesung: Innerlich eher mürrisch gestimmt, liest Bestsellerautorin Carol aus ihrer super erfolgreichen Buchreihe, in der es um einen Korsaren geht, der sämtliche Leserinnen zur Verzückung bringt – und es sind ausschließlich Frauen, die Carol hier gegenübersitzen, ekstatisch beglückt von einem literarisch eher schalen Werk. Carol hingegen träumt davon, einmal ein richtig gutes Buch zu veröffentlichen (an dem sie heimlich seit Jahren schreibt).

Die einzige Vertraute, der sie ihren über die Jahre gepflegten Zynismus zeigen kann, ist ihre Partnerin und Managerin Helen. Am Abend nach der Lesung bricht dann die Welt zusammen. Nach einem Drink, nach der ersten Zigarette seit Jahren will Helen Carol dazu bringen, im Fanforum von George Clooney zu schwärmen. Carol wäre lieber ehrlich und würde sich endlich mal öffentlich zu ihrer lesbischen Orientierung bekennen. Helen aber besteht auf George Clooney und will es an Carols Stelle ins Internet schreiben.

Da, und nicht zufällig genau da, ist alles vorbei. Apokalyptische Minuten schleudern Carol aus allem Vertrauten heraus, Helen rafft es dahin, und nach einigem Gerüttel und Geschüttel findet Carol sich in einer Welt wieder, die die ganze Welt mit dem Vibe der Lesung geflutet hat: Das Alienvirus hat alle – fast alle – menschlichen Gehirne erobert und zusammengeschaltet. Sie bilden von nun an eine Einheit, die quasi alles weiß, die mit einer Stimme spricht – und die für Carol das Beste will. Sie möchte ja nur, dass Carol eine von ihnen wird. Beziehungsweise von ihr. Von dieser einen übermächtigen, allgegenwärtigen, hirnentkernt dauerfreundlichen Person, die alles weiß, alles frei Haus liefert und niemals lügt.

Der Konflikt mit einer solchen Gegnerin gestaltet sich anders als im Mackerfilm: Eine direkte Auseinandersetzung erscheint unmöglich, eher muss Carol aufpassen, dass sie nicht ausfallend wird. Dass sie nicht wütend wird. Denn wenn sie wütend wird, geraten alle Menschen auf der Welt in einen minutenlangen Tremor, und also sterben Millionen – wenn sie etwa gerade ein Flugzeug oder ein Auto steuern. Carol wird so zum Helikopterkind des Alienvirus. Wie soll gekämpft werden, wenn jeder Abgrenzungsversuch zu Toten und überwältigendem schlechtem Gewissen führt? Carol sehnt sich nach Grenzen, nach Ablehnung. Sehnt sich danach, sie selbst sein zu dürfen.

Verträgt diese Grundkonstellation sich mit den gängigen Erzählmustern, die ja gern auf Konfrontation und Heldentum basieren? Manchmal scheint »Pluribus« das alles gar nicht haben zu wollen, diese Auflagen des Erzählschemas. Manchmal genießt es die warmen, luftigen Oasen, die sich inmitten der Handlung auftun, wenn man sie lässt.

Eine frühe Sequenz handelt von einer Frau, die wir nicht kennen. Und von einem gigantischen, vollkommen leeren Transportflugzeug, das diese namenlose Frau, schmutzig und in Lumpen, im Alleingang startet und fliegt. Eine Frau, die eine Welt zur Verfügung hat, die für sich ist, die nicht gesteuert wird, sondern lenkt. Sehr zufrieden sieht sie dabei aus, und der ganze Startvorgang und das Flugzeugbrummen, das Flirren der heißen Luft, das ergibt die schönste Passage der ersten Folgen. Endlich mal nichts erzählen müssen, sondern einfach nur ein Bild und ein Feeling genießen, die Sinnlichkeit eines riesigen Flugzeugrumpfs und einer südlichen Sonne …

Andere Bilder, die ausgiebig zelebriert werden, gelingen nicht ganz so gut. Einmal wird in einer theatralen Choreografie minutenlang ein leerer Supermarkt befüllt. Bis er halt voll ist. An anderer Stelle soll Carol versuchen, die paar anderen Menschen, die vom Virus nicht infiziert worden sind, durch engagierte Ansprachen zu – tja, was? – aufzurütteln. Was eher gewollt erscheint. Nicht durchgängig also hält die Serie höchste Qualität. Aber muss sie das? Wir haben Vince Gilligans Sachen ja trotzdem immer lieb, ganz egal, was er tut.

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Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1003598.der-anti-anwalt.html?sstr=vince|gilligan