Außer Spesen nichts gewesen?

Studiengebühren-Praxis: IQ-Rabatt für Hochbegabte, aber keine Verbesserung der Lehre

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor knapp einem Jahr beschloss eine Reihe von Bundesländern die Einführung von allgemeinen Studiengebühren. Besser wurde dadurch das deutsche Hochschulsystem nicht, im Gegenteil. Während einige Unis mit zweifelhaften Gebührenbefreiungen locken, stellen selbst Befürworter des Bezahlstudiums fest, dass sich die Lehre nicht verbessert hat.

An der Universität Regensburg gibt es demnächst zwei Gruppen von Studierenden: jene, die Semester für Semester 500 Euro an die Universität abdrücken müssen, und solche, denen dieser finanzielle Aderlass erspart bleibt. Letzteres ist allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. In den Genuss der Gebührenfreiheit kommen jene, die ihr Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,7 oder besser absolviert haben.

Rabatt soll Hochbegabte locken
In den ersten drei Semestern werden bei ihnen daher keine Studiengebühren von 500 Euro erhoben, teilte die Universität Regensburg kürzlich mit. Eine kleine Reminiszenz an soziale Aufsteiger gibt es immerhin auch: Studenten, die über den zweiten Bildungsweg an die Uni gekommen sind, können mit sehr guten Leistungen in den ersten Semestern von den Gebühren ebenfalls befreit werden.

Regensburg steht mit diesem »Intelligenz-Bonus« allerdings nicht allein da. Bundesweit versuchen Hochschulen und Universitäten, Studienplatzbewerbern die Gebühren schmackhaft zu machen: Es gibt Nachlässe für Studierende mit Kindern, für Bewerber aus kinderreichen Familien, für Studierende, die ihr Abitur im Ausland erworben haben, aber auch für besonders begabte Bewerber. »Nulltarif für Hochbegabte« hieß es zum Beispiel in Konstanz und Freiburg. An den Universitäten beider Städte wurden Studierende mit einem Intelligenzquotienten (IQ) von über 130 von der Gebührenpflicht befreit. Die Verantwortlichen an der Uni Konstanz haben diese Regelung mittlerweile allerdings zurückgenommen.

Die Kollegen in Freiburg wollen indes am umstrittenen Schlauen-Rabatt festhalten. Allzu erfolgreich sind die Freiburger damit jedoch nicht: Im letzten Semester waren nach Angaben der Universität lediglich 21 Freiburger Studenten von der Gebühr befreit. Andreas Keller, Hochschulexperte im Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), vermutet hinter dem Lockangebot daher auch eher einen Marketing-Gag.

Ein Marketing-Gag, der aber nicht ohne Brisanz ist. Die Regelung der Uni Freiburg bevorteilt nämlich jene Studierenden, die im deutschen Bildungssystem eh zu den privilegierten gehören. Wer hat, dem wird gegeben. Bei IQ-Tests schnitten vor allem diejenigen gut ab, die aus Familien mit Bildungshintergrund kämen, betont der Darmstädter Eliten-Forscher Michael Hartmann. Wer aus einem sozial benachteiligen Umfeld stamme habe es daher ungleich schwerer, solche Tests erfolgreich zu absolvieren. Der IQ als Förderkriterium sei daher ungerecht, die, die aufgrund eines bildungsfernen Hintergrunds Förderung besonders benötigten, würden erneut benachteiligt. Ohnehin ist es nach Aussage von Experten zweifelhaft, ob ein hoher IQ eine sehr gute Studienleistung garantiert. Wichtiger als Abiturnote oder IQ seien Persönlichkeit und Motivation eines Studierenden, argumentiert etwa Thomas Eckerle vom Institut für Leistungsentwicklung.

Einen 100-prozentigen Gebührenerlass könnte es dagegen bald in Hessen geben. Dort hatte die CDU-Alleinregierung wie andere unionsregierte Bundesländer vor einem Jahr die Erhebung allgemeiner Studiengebühren vom ersten Semester an beschlossen. Hessen nimmt allerdings eine Sonderrolle ein. Die Landesverfassung schreibt nämlich fest, dass der Unterricht »in allen öffentlichen Grund-, Mittel- und Hochschulen« unentgeltlich zu sein hat. Schulgeld dürfe nur erhoben werden, »wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet«.

Auf diesen Verfassungsartikel beriefen sich mehrere Studenten und klagten vor dem Verfassungsgericht Gießen. Dieses gab jetzt in zwei Fällen den Klagenden Recht und wies in einem Fall die Universität Marburg zur Rückzahlung der 500 Euro an. Noch ist das Urteil allerdings nicht rechtskräftig, die betroffenen Universitäten haben Beschwerde angekündigt. Die Regierung von Ministerpräsident Roland Koch will im Gebührenstreit hart bleiben. An eine Suspendierung des Gebühreneinzugs bis zur Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts des Landes sei nicht gedacht, ließ das zuständige Ministerium lapidar mitteilen. Schließlich würden Gebühren auch der Verbesserung der Lehre zugute kommen.

Kritik kommt selbst von Befürwortern
Was zu bezweifeln wäre, wenn man den Kritikern von Studiengebühren folgt. So klagt der Demokratische Hochschulbund in einem Offenen Brief an den Senat der Fachhochschule Münster, »dass den Einnahmen keine entsprechenden Verbesserungen gegenüberstehen«. An einigen Fachbereichen seien jetzt lediglich das Kopieren und das Ausleihen von Skripten kostenlos. Kritik kommt selbst von Gebührenbefürwortern. So schreibt die CarrerConcept AG, die sich einen Namen im Bereich der Finanzierung privater Studienkredite gemacht hat, dass die Einführung von Studiengebühren »bislang nicht die von der Politik einmütig versprochenen Verbesserungen bei der Qualität der Lehre gebracht« habe. An den Universitäten herrschten die »gleichen unzureichenden Zustände wie vorher«. Außer Spesen nichts gewesen?

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