nd-aktuell.de / 05.12.2025 / Politik

EU diskutiert Frontex-Einsatz in der Ukraine

Regierung in Kiew drängt auf schnelles Abkommen – wohl wegen Personalnot an der Grenze

Matthias Monroy
Der 2022 begonnene Frontex-Einsatz in Moldau könnte als Blaupause für einen eiligen Abschluss eines Abkommens mit der Ukraine dienen.
Der 2022 begonnene Frontex-Einsatz in Moldau könnte als Blaupause für einen eiligen Abschluss eines Abkommens mit der Ukraine dienen.

Die Europäische Union arbeitet bereits seit 2007 mit der Ukraine in Grenzfragen zusammen. Grundlage ist ein sogenanntes Arbeitsabkommen zwischen der drei Jahre zuvor gegründeten EU-Grenzagentur Frontex und dem staatlichen Grenzschutz der Ukraine. Solche »Working Arrangements«, die Frontex mit Dutzenden Staaten – in Europa auch mit Großbritannien – unterhält, erlauben Ausbildung und Beratung von Grenzbehörden. Operative Einsätze oder der Austausch personenbezogener Daten sind davon nicht abgedeckt.

Zudem unterstützt die zivile EU-Advisory Mission Ukraine (EUAM) seit 2014 Reformen im Sicherheitssektor – auch von Grenzbehörden. Zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs wurde die Kooperation im Februar 2024[1] durch ein Arbeitsabkommen zwischen Frontex und EUAM Ukraine ausgebaut. Dabei geht es um die Verhinderung irregulärer Migration an den östlichen Außengrenzen – eine Kernaufgabe der EU-Agentur mit ihrem Hauptquartier in Warschau. Eine bereits erfolgte Entsendung eines Frontex-Verbindungsbeamten nach Moldau soll diese Kooperation erleichtern.

Nun will die EU die gemeinsame Migrationskontrolle mit der Ukraine durch ein sogenanntes Statusabkommen deutlich vertiefen: Es wäre ein völkerrechtlicher Vertrag und würde operative Frontex-Missionen auf ukrainischem Hoheitsgebiet erlauben. Als Beitrittskandidat und zweitgrößter direkter Nachbar der EU hat die Ukraine ein solches Abkommen auch schon mehrfach offiziell erbeten und nach einem Dekret des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Oktober 2024 ein Verhandlungsteam benannt. Im Juli dieses Jahres hat der ukrainische Innenminister Ihor Klymenko in einem Schreiben an die EU-Kommission abermals auf einen eiligen Beginn der Verhandlungen gedrängt.

Mit einem solchen Statusabkommen[2] würden bei Frontex übliche Gemeinsame Operationen (»Joint Operations«) in der Ukraine ermöglicht. Das europäische Personal hätte dabei hoheitliche Befugnisse, handelte aber unter ukrainischer Führung. Alle Einsätze würden gemäß einem detaillierten Operationsplan erfolgen – den Frontex üblicherweise geheim hält.

Solche operativen Einsätze sind bereits in fünf Staaten des Westbalkan[3] und in Moldau als Partnerländer etabliert. Mögliche Einsatzformen umfassen die Unterstützung bei der Grenzüberwachung oder Grenzkontrollen sowie die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. Zu Aufgaben von Frontex gehört auch die Verhinderung des illegalen Transports von Feuerwaffen und Munition – vor diesem Szenario, dass in die Ukraine gelieferte Waffen wieder in die EU geschmuggelt werden, warnen europäische Behörden seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine.

Denkbar für Einsätze in der Ukraine wären aber auch die Erkennung und Abwehr von Drohnen[4]: Hierzu forscht Frontex seit Jahren und hat erst dieses Jahr zwei »Wettbewerbe« abgehalten. Die Agentur will in einer neuen Verordnung auch ein offizielles Mandat für die Drohnenabwehr erhalten. Ebenfalls möglich wäre die Entsendung einer Einheit, die Frontex für eine »Instrumentalisierung von Migration« aufbaut und die auch anlässlich internationaler Gipfel oder Sportereignisse eingesetzt werden kann[5].

Statusvereinbarungen für Frontex-Einsätze in einem Nicht-EU-Staat verhandelt nicht die Agentur selbst, sondern die Europäische Kommission in Brüssel. Dazu benötigt sie ein Mandat des Rates – also von den 27 Mitgliedstaaten. Nach nd-Informationen wird dazu bereits in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen diskutiert, auch die Bundesregierung wurde hierzu um ihre Meinung gefragt. Auf Anfrage wollte sich das Bundesinnenministerium – das für die Zusammenarbeit mit Frontex zuständig ist – aber nicht dazu erklären.

Das europäische Personal hätte hoheitliche Befugnisse, handelte aber unter ukrainischer Führung.

Verhandlungen für Statusvereinbarungen dauern erfahrungsgemäß ein bis zwei Jahre – im Fall von Moldau erfolgte der Abschluss aber in wenigen Monaten[6]. Die Frontex-Mission sollte nach Ausbruch des Ukraine-Krieges auf ausdrücklichen Wunsch der Regierung in Chișinău im Eilverfahren noch 2022 starten. Wegen des Kriegs und des »eingefrorenen Konflikts« mit russischen Truppen in Transnistrien gilt Moldau derzeit als heikelstes Frontex-Mandat.

Ein Verhandlungsabschluss mit der Ukraine wäre nach dem Moldau-Modell also schon im Frühjahr oder Sommer 2026 möglich. Konkrete Einsätze würden aber vermutlich erst nach einem Kriegsende anvisiert. Auch dann dürften diese aber in einer hochmilitarisierten Umgebung erfolgen. Die militärische Unterstützung der ukrainischen Regierung ist auch einer der versteckten Zwecke des Einsatzes: Die Frontex-Truppen[7] könnten den akuten Personalmangel für die Grenzpolizei ausgleichen.

Einzelne EU-Mitgliedstaaten können die Entsendung ihres Personals in die Ukraine aus Sicherheitsbedenken verweigern – oder sich mittels Opt-out ganz vom Abkommen mit Kiew zurückziehen. Die unwilligen EU-Länder könnten sich dann nur auf der polnischen Seite der Grenze zur Ukraine engagieren. Ein solcher bilateraler Einsatz scheitert bislang jedoch an mangelndem Einverständnis der Regierung in Warschau, die wegen anderer Streitfragen mit Brüssel auch einem Frontex-Einsatz an der Grenze zu Belarus nicht zustimmen wollte.

Auch in der EU gehen die Verantwortlichen für die Pläne auf Tauchstation. Auf Nachfrage zur Haltung zu einem Statusabkommen mit der Ukraine verwies Frontex nach mehrmaliger Erinnerung lapidar auf die Kommission: »Frontex ist nicht Teil des Verhandlungsteams, und das Statusabkommen wird zwischen der EU und den ukrainischen Behörden verhandelt. Bitte richten Sie alle Fragen zum Statusabkommen an die Europäische Kommission.« Womöglich war das Abkommen auch Thema bei dem jüngsten Treffen von Frontex mit allen Ländern[8], mit denen bereits ein Statusabkommen existiert. Auch dazu antwortete die Grenzagentur aber nicht.

Auch bei der EU-Kommission hat man sich – ebenfalls trotz mehrfacher Erinnerungen und der Zusage einer Reaktion – entschlossen, sich gegenüber »nd« zu der heiklen Frage lieber gar nicht zu äußern.

»Die systematischen Grundrechtsverletzungen von Frontex befähigt sie sicher nicht für einen Einsatz in der Ukraine«, sagt indes der Linke-Bundestagsabgeordnete Jan Köstering zu den Plänen der EU. Für die »Friedenssicherung« sollten statt Frontex Uno-Friedenstruppen oder Beamte der OSZE »in einer Nachkriegs-Ukraine eine Rolle spielen«.

Links:

  1. https://www.frontex.europa.eu/media-centre/news/news-release/frontex-and-euam-ukraine-strengthen-cooperation-b75OyF
  2. https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-16476-2024-REV-1/de/pdf
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188633.festung-europa-letzter-balkanstaat-schliesst-frontex-abkommen.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194632.innenministertreffen-frontex-soll-bei-drohnenabwehr-helfen.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195365.migrationsabwehr-in-der-eu-neue-eingreiftruppe-fuer-frontex.html
  6. https://www.migazin.de/2022/03/11/moldawien-erster-frontex-einsatz-plan/
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172043.eu-polizei-frontex-knueppel-an-der-aussengrenze.html
  8. https://www.frontex.europa.eu/media-centre/news/news-release/frontex-management-board-meets-pre-accession-partners-in-warsaw-to-deepen-border-cooperation-zu5R1v