Kurz nach dem einstweiligen Ende einer vermeintlichen »Geisterdebatte« zeigten sich die ersten Fanvertreter zufrieden: »Der Protest[1] hat gewirkt: Die schlimmsten Maßnahmen sind vom Tisch«, bilanzierte Thomas Kessen vom Fanverband »Unsere Kurve«[2] nach der Abschlusserklärung der 16 Landesinnenministerien am Freitag. »Dass zivilgesellschaftlicher Protest Politik verändern kann[3], darf als starkes Signal in die Gesellschaft gewertet werden.«
Das erfreuliche Ergebnis nach der dreitägigen Innenministerkonferenz in Bremen[4]: Tatsächlich wird es bei den Spielen der ersten und zweiten Bundesliga auch künftig keine personalisierten Eintrittskarten geben. Gesichtsscanner bleiben ebenso tabu. Keine der drastischen Maßnahmen[5], gegen deren Einführung Fans und Vereine mit unterschiedlichen Mitteln protestiert hatten, soll also wirklich eingeführt werden. Stattdessen sendet die Politik versöhnliche Signale: »Dialog statt Konfrontation«, sei die Devise, sagte Ulrich Mäurer. Der SPD-Politiker, als Bremer Innensenator Gastgeber der Konferenz, ergänzte: »Zusammen mit den Vereinen und den Fans haben wir das gemeinsame Interesse, dass sich die Menschen im Stadion sicher fühlen.«
Das einzige greifbare Ergebnis bleibt damit eine Verschärfung der Stadionverbotsrichtlinien, doch auch sie wird allenfalls sehr dezent vollzogen. Über Stadionverbote[6] soll auch künftig vor Ort, an den einzelnen Standorten entschieden werden – und nur zusätzlich wird es künftig eine neue zentrale Kommission geben, die über einheitliche Standards wacht. »Klare Regeln, transparente Verfahren – das bringt mehr Rechtssicherheit für alle«, erklärte Mäurer.
Schon in den Tagen zuvor war die Politik deutlich zurückgerudert. Mäurer hatte verraten, dass man weder über die Einführung personalisierter Eintrittskarten noch über orwelleske Überwachungsmaßnahmen[7] diskutieren werde, und diesbezüglich von einer »Geisterdebatte« gesprochen. Das vergleichsweise harmonische Ende der bisherigen Frontstellung dürfte aber auch mit den Debatten der vergangenen Wochen zu tun haben. Die aktiven Fanszenen hatten durch bestens koordinierte Protestformen Druck aufgebaut. Auch Vertreter der Profivereine hatten deutlich gemacht, dass sie das Stadionerlebnis für sicher halten, und vor politischem »Populismus« gewarnt – beides natürlich nicht nur aus inhaltlichen Gründen, sondern weil die Liga kein Interesse an einer Fortdauer der Sicherheitsdiskussion hat. Denn je länger diese schwelt, desto wahrscheinlicher ist es, dass wieder die Frage aufgeworfen wird, ob sich die Klubs nicht stärker an den Polizeikosten beteiligen müssten.
Zu Wort gemeldet hatte sich auch eine Politikerin, der die Fähigkeit zugeschrieben wird, auf Social Media schon Wahlergebnisse verdoppelt zu haben: Heidi Reichinnek[8], Fraktionsvorsitzende der Linken, warnte auf Instagram, wer im Fußball beim Datenschutz Tabus breche, könne das auch bald bei Konzerten und Demonstrationen tun. Fast 40 000 Likes trug ihr das ein.
Ein friedensstiftendes Signal dürfte hingegen die Presseerklärung des Ligaverbands DFL gewesen sein, die noch am Donnerstagabend verschickt wurde. Darin verpflichteten sich die Klubs, mehr Geld in die Qualifizierung der Ordnungsdienste zu investieren, Sicherheitsbeauftragte in Vollzeit zu beschäftigen und die Zahl der Fanbeauftragten deutlich zu erhöhen.
Insgesamt bleibt fraglich, ob die zahmen Beschlüsse von Bremen auch auf längere Sicht zu einem Ende der aufgeheizten Debatte um die Sicherheit im Fußball führen. Hamburgs sozialdemokratischer Innensenator Andy Grote kündigte am Freitag an, dass »an anderen Punkten noch weiter gearbeitet« werden müsse. Zu diesen »Punkten« zählt dem Vernehmen nach die Pyrotechnik – und damit das Thema, bei dem Politik, Vereine und Fans am weitesten auseinanderliegen. Darüber wollen die Innenminister im kommenden Juni sprechen. Ein Termin, bei dem Thomas Kessen hellhörig wird, denn dann ist die Saison schon lange beendet. »Da liegt der Verdacht nah, dass man die Innenministerkonferenz bewusst auf den Sommer vertagt hat. Denn dann fehlt den Fans ihre wichtigste Bühne – das Stadion.«