Knapp war es, aber es reichte: Nach langem Koalitionsstreit stimmten am Freitag 318 von 323 Abgeordneten der Regierungsparteien für das eigene Rentenpaket[1]. Es bekam damit recht knapp die von Friedrich Merz geforderte »Kanzlermehrheit«[2]. Mindestens 316 Stimmen aus CDU, CSU und SPD wären dafür nötig gewesen.
Die SPD-Fraktion war vollzählig anwesend, ihre 120 Abgeordneten stimmten für die Gesetzesänderungen. Aus der Unionsfraktion bekamen sie 198 Stimmen bei insgesamt 208 Abgeordneten, von denen sieben mit Nein votierten. Zwei enthielten sich, Roderich Kiesewetter war nicht anwesend.
Die 50 anwesenden Linke-Abgeordneten enthielten sich[3], wie von der Fraktionsspitze angekündigt, 14 nahmen nicht an der Abstimmung teil. Die Fraktion hatte damit der Koalition das Erreichen einer eigenen Mehrheit erleichtert. Denn Enthaltungen werden bei namentlichen Abstimmungen über einfache Gesetze nicht mitgezählt. Bislang vertritt Die Linke dieses Vorgehen nach außen geschlossen. Sie verteidigt es vor allem mit der Darstellung, man habe akut ein weiteres Absinken des Rentenniveaus[4] verhindern wollen und müssen.
»Die Linke hat sich unter die herrschenden Verhältnisse unterworfen. So verrät man die Menschen im Land.«
Andreas Audretsch Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion
Die gesetzliche Standardrente liegt derzeit bei 48 Prozent der durchschnittlichen Bruttolöhne und bezieht sich auf eine Person, die 45 Jahre lang immer den Durchschnittslohn verdient hat. Sie lag im Juni 2024 nach allen Abzügen bei 1557 Euro. Der Durchschnitt der ausgezahlten Beträge ist noch erheblich geringer. So erhielten Neurentner 2024 in Westdeutschland im Schnitt 1135 und im Osten 1243 Euro. Männer bekamen zu dem Zeitpunkt im Westen 1400 und im Osten 1270 Euro ausgezahlt, Frauen im Westen 955 und im Osten 1218 Euro.
Beobachter gingen davon aus, dass die Ankündigung der Linken noch manchen Skeptiker in der Union zur Zustimmung bewogen hat. Schließlich ächten CDU und CSU Die Linke genauso wie die AfD, so dass sich viele dann wohl doch nicht die Blöße geben wollten, die Hilfe von links anzunehmen.
Wenn auch der Bundesrat am 19. Dezember zustimmt, kann das Gesetzespaket am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion fand, dass das Halten des Rentenniveaus für die jüngeren Generationen zu teuer würde. Der Grund: Durch die sogenannte Haltelinie im Gesetz soll verhindert werden, dass die Rentenerhöhungen nicht mehr mit der Lohnentwicklung mithalten. Die Rente soll mit Steuergeld gestützt werden. Die Junge Gruppe, zu der 18 Abgeordnete gehören, stört sich vor allem daran, dass die Rentenerhöhungen auch nach 2031 höher ausfallen werden als ohne das Gesetz.
Der Kanzler hatte sich im Laufe der Auseinandersetzung auf die Seite der SPD geschlagen und die Gesetze als wirksame Maßnahmen gegen unverschuldete Altersarmut dargestellt. Ein Scheitern der eigenen Koalitionsmehrheit wäre vor allem Unionsfraktionschef Jens Spahn angelastet worden, denn er war schon für das Scheitern der Wahl neuer Verfassungsrichter*innen an Abgeordneten der C-Parteien im ersten Anlauf im Sommer verantwortlich gemacht worden. Eine fehlende »Kanzlermehrheit« hätte ihn möglicherweise sein Amt gekostet.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann verwies der abschließenden Debatte zum Paket noch einmal darauf, dass es bald weitere Reformschritte geben wird. Eine von der Koalition eingesetzte Kommission werde schon im nächsten Sommer Vorschläge dafür vorlegen.
In der Debatte nutzte Grünen-Fraktionvize Andreas Audretsch die Ankündigung der Linken, sich zu enthalten, als Steilvorlage für einen Frontalangriff gegen die Konkurrenz in der Opposition. »Sie hatten Revolution versprochen, und nun enden Sie hier als Mehrheitsbeschafferin von Friedrich Merz«, rief er den Linke-Abgeordneten zu. Er warf ihnen Anbiederung statt kooperativer Arbeit vor. Statt zu kämpfen und die eigenen Positionen zu verteidigen, habe Die Linke sich von vornherein »unter die herrschenden Verhältnisse unterworfen« und damit »die Menschen im Land« verraten, so Audretsch.
Seine Fraktion hingegen lehne »das falsche Rentenpaket ab, weil es Armut nicht verhindert«. Das tue auch die Mütterrente nicht, »weil sie die 20 Euro extra bei denen mit kleinen Renten sofort wieder abgezogen werden«. Während das Rentenniveau nun gerade mal »sechs mickrige Jahre« stabilisiert werde, werde seine Partei die Rente »für immer« auf dem aktuellen Niveau halten.
Linke-Fraktionschefin Heidi Reichinnek erinnerte die Grünen daraufhin daran, dass sie in der rot-grünen Regierungszeit von 1998 bis 2005 Gesetze mit auf den Weg gebracht hatten, die zunächst das sukzessive Absinken des Rentenniveaus von damals 53 auf 43 Prozent bis 2031 festschrieben. Sie hätten damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass heute so viele ältere Menschen in Armut leben. Wenn sich Audretsch jetzt zum »Rentenretter« aufschwinge, sei das »scheinheilig« und eine »absolute Schande«.
Dazu komme, so Reichinnek, dass die Grünen die jetztige Regierung noch vor deren Amtsantritt unterstützt hätten, indem sie die Grundgesetzänderung ermöglichten, die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse ausnimmt. Damit hätten sie »grenzenlose Militarisierung durchgewunken«, sagte die Linke-Fraktionschefin. Bei der Rente entdeckten die Grünen nun plötzlich rote Linien. »Das sagt alles, was man über sie wissen muss.«
»Wenn es wirklich um Generationengerechtigkeit ginge, müssten wir über Investitionen in Bildung, Infrastuktur, Klimaschutz sprechen und nicht über eine Wehrpflicht.«
Sören Pellmann Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag
Der Vorsitzende der Jungen Gruppe der Union, Pascal Reddig (CDU), verteidigte derweil noch einmal sein Nein zum Rentenpaket. Der Gesetzentwurf dazu gehe »gegen meine fundamentale Überzeugung« und gegen Generationengerechtigkeit, sagte er. In den 2030er Jahren werde er Mehrkosten von 120 Milliarden Euro verursachen – »Geld, das wir ohne Reformen absehbar nicht haben werden«. Rentenzuschüsse, Tilgung und Zins würden dann kaum noch Raum für Investitionen. Auf das Rentenpaket müsse deshalb »eine große Rentenreform« folgen.
Wie die Grünen bereits in der Plenardebatte referierten die Linke-Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann im Anschluss noch einmal auf ihre eigenen Ziele, für die sie weiter kämpfen wollen: Rückkehr zum Rentenniveau von 53 Prozent, ein System, in das alle Erwerbstätigen einzahlen und eine solidarische Mindestrente von 1400 Euro monatlich zuzüglich zuzüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen. Beide übten erneut scharfe Kritik am Verhalten der Jungen Gruppe der Union, denen sie »Machtspielchen« und Profilierungssucht auf dem Rücken armer Renter*innen vorwarfen.
Pellmann betonte: »Das Schlimmste ist jetzt abgewendet worden, aber für Die Linke kann das nur ein Zwischenschritt sein.« Schon jetzt lebe jeder fünfte Rentner in Armut. Das sei in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt »kein Naturgesetz, sondern politisch gemacht«. Wenn es wirklich um Generationengerechtigkeit ginge, so Pellmann, »müssten wir über Investitionen in Bildung, Infrastuktur, Klimaschutz sprechen und nicht über eine Wehrpflicht«.