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Längere Anfahrt nur für wenige Schwangere
Zentralisierung wäre sinnvoll, aber kleine Geburtskliniken sollen laut Reformplänen im Netz bleiben
Wenn in Deutschland eine Geburtsstation schließen muss, löst das Alarm und Proteste in der näheren Umgebung aus. Oft kann aber auch ein großes mediales Echo nicht dazu beitragen, dass es Landräten und Kommunalpolitikern gelingt, die Einrichtung zu erhalten. Den Schwangeren bleibt dann nur, den längeren Weg zur nächsten klinischen Geburtshilfe auf sich zu nehmen oder vielleicht mit Hilfe einer Hebamme eine Hausgeburt zu wagen. Dazwischen sind noch Geburtshäuser im Angebot, in denen Hebammen in eigenen Räumen eine außerklinische Geburtshilfe anbieten.
Bundesweit gibt es 583 Geburtsstationen an Krankenhäusern. Jetzt haben Wissenschaftler vom Science Media Center (SMC) ausgerechnet, was passieren würde, wenn alle Abteilungen mit weniger als 500 Geburten pro Jahr schließen würden. Wird diese Zahl nämlich nicht erreicht, lässt sich eine solche Station nicht nachhaltig betreiben. Dagegen spricht nicht nur, dass es ökonomisch schwierig ist, für weniger als zwei Geburten am Tag über 24 Stunden die entsprechenden Hilfe-Teams in Bereitschaft zu halten. Auch fachlich dürfte die niedrige Frequenz keinen Anreiz für die Hebammen, Fachpflegekräfte und Ärzte darstellen.
Schon 2023 mussten fünf Prozent der Geburten umverteilt werden, um eine risikogerechte Versorgung zu sichern
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Von den vorhandenen 583 Stationen würden also nach diesem Maßstab bundesweit 96 wegfallen. Eine Entwicklung dieser Art ist im Zuge der Krankenhausreform vorstellbar, aber nach den bisherigen Plänen ist eine stärkere Konzentration bei den Geburten noch nicht absehbar. Im Gegenteil: Es sollen auch die unterfinanzierten kleinen Geburtskliniken im Netz gehalten werden. Hier könnte Nordrhein-Westfalen die Blaupause sein. Dort ist nämlich die Krankenhausreform schon weiter vorangekommen, und es wurden fast alle Anträge für die Leistungsgruppe »Geburtshilfe« bewilligt.
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Die Fahrtzeiten ohne den genannten Wegfall von 96 Kliniken liegen nach SMC-Berechnungen für 97 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter aktuell bei weniger als 30 Minuten vom Wohnort bis zur nächsten Geburtsklinik. Weniger als ein halbes Prozent der Schwangeren muss heute länger als 40 Minuten fahren, bei 0,06 Prozent sind es mehr als 50 Minuten.
Stehen nun die erwähnten 96 Stationen nicht zur Verfügung, könnten immer noch 94,1 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter innerhalb von 30 Minuten eine Geburtsklinik erreichen. Über 40 Minuten Fahrzeit bräuchten insgesamt 264 000 Frauen im Jahr, wenn sie eine solche Einrichtung erreichen wollen. Die Veränderung lässt sich also gut als moderat bezeichnen, ausgenommen Gebiete an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen sowie an der Grenze von Sachsen und Brandenburg wie auch im Norden Sachsen-Anhalts.
Die vorhandenen Geburtskliniken sind allerdings unterschiedlich ausgestattet, nicht alle verfügen zum Beispiel über eine pädiatrische Abteilung zur Versorgung Neugeborener. Schon 2023 mussten fünf Prozent der Geburten umverteilt werden, um eine risikogerechte Versorgung zu sichern. Das soll die Säuglingssterblichkeit verringern: Als Vorbild dienen hier Länder wie Finnland, Schweden oder Portugal. Diese haben bei der entsprechenden Kennzahl bessere Ergebnisse, aber die Anfahrtswege sind teils deutlich länger als in Deutschland.
Neues Ungemach droht in der Versorgung bei Geburten nun aber womöglich durch einen neuen Hebammenvertrag. Die Bezahlung dieser Berufsgruppe wurde im November neu geregelt und soll eigentlich die 1:1-Betreuung stärken und besser bezahlen. Aber der Vertrag gibt auch vor, dass es für die Parallelbetreuung mehrerer Frauen weniger Geld gibt. Die etwa 18 000 Beleghebammen in Deutschland, die Gebärende im Kreißsaal betreuen, aber auch zuvor und danach für die Frauen da sind, müssen nun mit Verdiensteinbußen rechnen. Der Deutsche Hebammenverband fand mithilfe einer Studie heraus, dass schon jetzt jede zweite Hebamme darüber nachdenke, den Beruf aufzugeben, vor allem wegen unzureichender Bezahlung bei sehr viel Verantwortung.
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