Werbung
  • Politik
  • Bündnis Sahra Wagenknecht

BSW will etwas weniger Wagenknecht wagen

Mit teilweise neuer Führung geht das BSW in die Wahlkämpfe 2026

Sahra Wagenknecht macht den Weg frei für eine neue Doppelspitze.
Sahra Wagenknecht macht den Weg frei für eine neue Doppelspitze.

Fast eine Stunde dauerte es, bis beim Magdeburger BSW-Parteitag wenigstens ein bisschen Leben in die Generaldebatte kam. Steffen Schütz, der Thüringer Digitalminister, warf ein paar Fragen zum BSW-Selbstverständnis auf. Zum Beispiel: Wie halte man es mit innerparteilicher Demokratie? Man dürfe die eigenen Kritiker nicht wie Hunde vom Hof jagen, sagte Schütz in Anspielung auf Sachsen-Anhalt, wo gerade ein Großteil des Landesvorstands abgewählt wurde. Oder: Wie steht es mit der politischen Konsequenz? Man könne doch nicht ernsthaft einerseits russisches Erdgas einfordern und andererseits zum Boykott israelischer Produkte auffordern. »Ich kritisiere alle Kriegstreiber, ob sie nun Putin oder Netanjahu heißen«, so Schütz.

Und schließlich: Warum wird nicht anerkannt, was das BSW in den Landesregierungen von Thüringen und Brandenburg leistet? Es müsse endlich Schluss sein »mit dem Narrativ, Thüringen sei ein Betriebsunfall«, forderte Schütz und handelte sich ein paar Buh-Rufe ein. »Hätten wir zwei Regierungsbeteiligungen mehr, könnten wir der Bundesregierung viel besser Paroli bieten.« Antwort bekam er später von der scheidenden Vorsitzenden Sahra Wagenknecht: Es solle nicht so weitergehen, dass andere Parteien wie die kleine Thüringer SPD »uns die Butter vom Brot nehmen«. Wenn Abgeordnete und Minister sich nicht mehr an BSW-Positionen gebunden fühlten, dann sei das »ein seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit«.

Der Kommentar zum Parteitag: Das Wahlprogramm heißt Wagenknecht – Wolfgang Hübner über den BSW-Versuch eines neuen Aufbruchs ins Wahljahr 2026

Bis zum Redebeitrag von Schütz waren kritische Anmerkungen allenfalls zwischen den Zeilen herauszuhören. Dabei gibt es in der Wagenknecht-Partei ausreichend Debattenstoff. Streit in mehreren Landesverbänden, Rücktritte und Rückzüge auf Landesebene, Auseinandersetzungen im Spannungsfeld zwischen Regieren und Opponieren. Doch die meisten Redner bekräftigten den Leitantrag, wünschten sich hier und da Ergänzungen, appellierten an die Einheit der Partei.

Dafür wären noch ein paar Unklarheiten auszuräumen. »Natürlich sind wir eine linke Partei mit sozialen Forderungen, die die Frage von Krieg und Frieden zu einer Klassenfrage macht«, erklärte ein junger Delegierter. Das BSW dürfe nicht »zur nächsten Partei verkommen, die den Unternehmern den Bauch pinselt«. Er könne mit den Begriffen links und rechts nichts mehr anfangen, hielt Volker Schneider aus Rheinland-Pfalz dagegen. »Wenn es links ist, sich für irgendwelche exotischen Minderheiten einzusetzen, und rechts, wenn man fordert, den Ukraine-Krieg durch Diplomatie zu beenden, dann pfeife ich auf links und rechts«, rief Schneider aus, der früher mal für Die Linke im Bundestag saß und nebenbei freimütig bekannte, dass ein Zirkel um Wagenknecht sich schon 2022 Gedanken über eine eigene Partei gemacht habe. Der scheidende Generalsekretär Christian Leye sagte, dass er »seit drei, vielleicht sogar vier Jahren« dafür verantwortlich gewesen sei, eine neue Partei zu gründen. Das heißt – was von BWS-Leuten lange bestritten wurde –, dass die Planungen für eine Abspaltung schon mindestens 2021 begonnen haben.

»Es war eine Illusion, dass wir Karrieristen und Querulanten durch ein Verfahren der Auslese herauszufiltern könnten.«

Sahra Wagenknecht über die anfängliche Aufnahmepolitik beim BSW

Ein Ende der Auseinandersetzungen in der Partei forderte der bayrische Landesvorsitzende Klaus Ernst. Man brauche »ein starkes BSW, nicht verschiedene« und auch keine Strömungs- und Richtungskämpfe, sagte er und erklärte die Geschichte und den Status der Partei so: Das BSW sei entstanden wegen der Positionen von Sahra Wagenknecht, »denen wir uns alle angeschlossen haben. Weil das so ist, erwarten wir, dass wir in den Landesregierungen eine Politik machen, wo BSW drin ist«.

Auftritt Wagenknecht, die beim Betreten des Saals und nach ihrer Rede von den 656 Delegierten ausgiebig bejubelt wurde. Die beiden ersten Parteitage waren faktisch Mitgliederversammlungen; inzwischen hat das BSW mehr als 11 000 Mitglieder. Dass zunächst nur sehr wenige Mitglieder aufgenommen wurden, und das nur durch den Parteivorstand, handelte Wagenknecht unter der Rubrik »Wir haben vieles richtig und manches falsch gemacht« ab. Es sei der Eindruck eines abgeschotteten Vereins entstanden. Viele Interessenten seien verprellt worden. Zudem sei es eine Illusion gewesen, »dass wir Karrieristen und Querulanten durch ein Verfahren der Auslese herauszufiltern könnten«. Künftig soll der Parteieintritt deutlich erleichtert werden; noch gebe es mehr als 6000 unbearbeitete Anträge.

Wagenknecht rechnete scharf mit allen anderen Parteien ab. Die Bundesregierung habe sich im Ukraine-Konflikt außenpolitisch freiwillig an den Katzentisch gesetzt und halte das immer noch für die große Bühne der Diplomatie. Deutschland werde »mit Lügen und Feindbildern« auf Kriegsbereitschaft getrimmt. Der neue Ko-Vorsitzende Fabio De Masi sagte, der Rüstungsindustrie komme »das Geld zu den Ohren raus, während Schulen verfallen«.

In einer fast einstündigen Rede am Sonntag attackierte er noch einmal scharf die Politik des Westens und vornehmlich Deutschlands in Sachen Ukraine-Krieg. Die Bundesregierung müsse jedoch schnellstmöglich zur Entspannungspolitik zurückkehren. So könnte man vorschlagen, die Rückkehr zu Energieimporten aus Russland in Verhandlungen über einen Waffenstillstand einzubetten. Damit könnten die Europäer an den Verhandlungstisch zurückkommen. Das BSW verurteile russische Angriffe auf zivile Einrichtungen in der Ukraine, so De Masi. Der Krieg ist eine große Katastrophe, auch eine ökologische Katastrophe, »aber er war vermeidbar«. Jedoch habe der Westen die roten Linien Russlands nicht ernst genommen.

Wagenknecht kritisierte Grüne und Linke, die Kanzler Merz immer wieder den Rücken freihielten; damit sei die AfD die eigentliche Opposition, was »keine gute Situation« sei. Auch die Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali teilte gegen die Linkspartei aus und bezeichnete sie mit Blick auf die jüngste Rentenabstimmung als »Westentaschenrevolutionäre«, auf die sich der Kanzler verlassen könne. Vom Parteivorsitz zieht Wagenknecht sich zurück; sie bleibt aber als Vorsitzende einer neu zu bildenden Grundwertekommission Teil des Präsidiums und will dafür sorgen, dass ihre Partei auch auf anderen Feldern als der Friedenspolitik Profil gewinnt. Ihr Name verschwindet aus dem Parteititel – BSW steht künftig für Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft. Allerdings erst ab Oktober 2026, denn bei den Landtagswahlen nächstes Jahr in fünf Bundesländern soll das Markenzeichen Wagenknecht noch einmal Punkte bringen.

Vorerst kämpft das BSW um die Rückkehr in den Bundestag. Die Wähler hätten diese Bundesregierung nicht verdient, sagte Wagenknecht, zumal sie diese »wahrscheinlich gar nicht gewählt haben«. Sie spielte damit auf die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags an, die Wahl vom Februar nicht neu auszuzählen. Das BSW zeigt sich indessen überzeugt, dass die fehlenden gut 9000 Stimmen sich noch finden würden, und will die Wahlprüfung in Karlsruhe einklagen. »Die Anderen«, so Wagenknecht, hätten Angst davor, im BSW-Erfolgsfall Mandate abzugeben und die Mehrheit für die schwarz-rote Bundesregierung zu verlieren. Die Ko-Vorsitzende Mohamed Ali bezeichnete das Nein des Wahlprüfungsausschusses als dreist und schändlich und sprach von »Behördenwillkür und Intransparenz«. Das BSW habe »auf fundierteste Art und Weise Fehler nachgewiesen«. Dass der entscheidende Umfrageknick nach der Abstimmung im Bundestag gemeinsam mit Union und AfD zur Verschärfung von Migrations- und Asylrecht kam, daran wollte sich beim BSW-Parteitag niemand erinnern.

Gewählt wurde eine neue Parteiführung, die exakt dem Vorstandsvorschlag entspricht und deren Kern der alten ziemlich ähnlich sieht. Vorsitzende sind nun Amira Mohamed Ali (82,6 Prozent) und der Europaabgeordnete Fabio De Masi (93,3 Prozent). Brandenburgs Finanzminister Robert Crumbach hatte seine Bewerbung für den Parteivorsitz zurückgezogen. Neuer Generalsekretär ist der ehemalige Fußballmanager Oliver Ruhnert (92,6 Prozent). Zu den nunmehr sieben stellvertretenden Vorsitzenden gehören der bisherige Generalsekretär Leye, der bisherige Schatzmeister Ralf Suikat und die Brandenburger Landesvorsitzende Friederike Benda. Steffen Schütz aus Thüringen zog seine Bewerbung zurück – als Friedensangebot, wie er sagte –, bestand aber auf einem Mitspracherecht seines mehrfach kritisierten Landesverbands. Ein zweiter Thüringer Kandidat fiel durch, nachdem sein Friedensbekenntnis infrage gestellt worden war.

Im mit großer Mehrheit beschlossenen Leitantrag »Deutschland, aber friedlich und gerecht!« werden ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und mehr Einsatz für Abrüstung und Diplomatie verlangt. Das BSW will zurück zum Import von russischem Erdgas, wendet sich gegen eine neue Wehrpflicht, fordert einen Mindestlohn von 15 Euro, einen Mietendeckel und eine Rentenreform nach dem Vorbild Österreichs, wo alle Einkommensgruppen in eine Kasse einzahlen.

Das sind konkrete Forderungen, aber wohin will das BSW künftig? »Es geht nicht um links, es geht nicht um rechts, es geht um nach vorne«, postulierte der bisherige Schatzmeister und künftige Parteivize Ralf Suikat etwas ungelenk. Was ist dieses »nach vorn«? Der von Wagenknecht geprägte Begriff linkskonservativ lasse viele ratlos zurück, sagte ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen. Man müsse »die Leerstelle zwischen links und rechts besetzen«. Worin die genau bestehe – »ich weiß es nicht«. Vielleicht wird Sahra Wagenknecht als Chefin der neuen Grundwertekommission dafür sorgen, dass es zunächst mal die eigenen Leute verstehen.

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.