EU will Gesetz zu Razzien und Biometrie-Zwang für Geflüchtete

Richtlinie könnte Fußfesseln erlauben – Kritiker warnen vor massivem Grundrechtseingriff

Artikel 23c führt gegen Fluchtgefahr die »elektronische Überwachung« ein. Konkreter wird der Gesetzesvorschlag nicht. Er könnte aber elektronische Fussfesseln oder GPS-Armbänder umfassen.
Artikel 23c führt gegen Fluchtgefahr die »elektronische Überwachung« ein. Konkreter wird der Gesetzesvorschlag nicht. Er könnte aber elektronische Fussfesseln oder GPS-Armbänder umfassen.

Die geplante Neufassung der EU-Rückführungsrichtlinie enthält neue repressive Befugnisse für Polizei und Ausländerbehörden. Das zeigt die Durchsicht eines Entwurfs, den der Rat der EU nun auch auf deutsch veröffentlicht hat. Neu hinzugekommen ist etwa ein Artikel 23a, der Ermittlungsmaßnahmen gegen Asylsuchende regelt. Er erlaubt die Durchsuchung des »Aufenthaltsort[es] oder andere[r] einschlägige[r] Räumlichkeiten« sowie die Beschlagnahme persönlicher Gegenstände. Dies kann auch »ohne die Zustimmung« der betroffenen Person geschehen kann.

Diese geplante EU‑Regelung steht im Widerspruch zu einem aktuellen Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter*innen hatten vor zwei Wochen bekräftigt, dass selbst ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft als besonders schutzwürdige Wohnung gilt. Für ein polizeiliches Eindringen – wie im verhandelten Fall mit einem Rammbock – bedarf es demnach grundsätzlich einer vorherigen richterlichen Anordnung. Die EU‑Richtlinie nennt einen solchen Richtervorbehalt jedoch nicht.

Die Rückführungsrichtlinie soll das europaweite Vorgehen gegen abgelehnte Asylbewerber*innen und »illegal Aufhältiger« vereinheitlichen und verschärfen. Weitere repressive Maßnahmen listet ein – ebenfalls neuer – Artikel 23b auf. Er erlaubt den Mitgliedsstaaten, als »letztes Mittel Zwang auszuüben«, um biometrische Daten wie Fingerabdrücke zu erfassen. Zudem können Leistungen gekürzt, Arbeitserlaubnisse entzogen und sogar »strafrechtliche Sanktionen, einschließlich Freiheitsentzug« verhängt werden, wenn Asylsuchende nicht mit Behörden nicht kooperieren.

Als sogenannte Alternative zur Inhaftierung führt Artikel 23c die »elektronische Überwachung« ein. Sie soll bei Fluchtgefahr durch Mitgliedsstaaten gegen Betroffene verhängt werden können. Konkreter wird der Gesetzesvorschlag nicht. Gemeint sind vermutlich elektronische Fussfesseln oder Armbänder, die mithilfe von GPS geortet werden können.

Der Nicht-EU-Staat Großbritannien nutzt dies bereits in größerem Umfang: Fünf Mal täglich können Personen, die auf ihre Gerichtsverfahren oder ihre Abschiebung warten, von einer Smartwatch-App zum Scan ihres Gesichtes aufgefordert werden. Die Informationen werden bis zu sechs Jahre gespeichert.

Die Rückführungsrichtlinie ist Teil der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas), die kommendes Jahr schrittweise in Kraft treten soll. Zivilgesellschaftliche Organisationen warnen, dass das gesamte Paket einen historischen Rückbau von Grundrechten darstellt und Menschen in die Illegalität und Ausbeutung treibt, anstatt legale Wege für Asylgesuche in Europa zu schaffen.

Der Entwurf wird an diesem Montag bei einem Treffen der EU-Innenminister*innen in Brüssel beraten – wo auch weitere umstrittene Punkte auf der Agenda stehen. Dazu gehört das Konzept der »sicheren Herkunftsstaaten« und »sicheren Drittstaaten«, das es ermöglichen soll, Asylanträge von Menschen aus gelisteten Ländern wie Bangladesch oder Tunesien pauschal abzulehnen – oder sogar Asylsuchende in Drittstaaten zu überstellen. Auch hierfür gibt es nun einen Entwurf in deutscher Sprache. Weiterhin soll über einen »Solidaritätspool« verhandelt werden, der 30 000 Umverteilungen und 600 Millionen Euro vorsieht, um Länder wie Griechenland und Italien zu entlasten. Mehrere Mitgliedstaaten wehren sich aber gegen die verbindliche Beteiligung.

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