nd-aktuell.de / 07.12.2025 / Berlin

Berlin: Betreuungsinseln für den Kita-Streik

Von den Versuchen, übergreifende außerbetriebliche Solidarität zu organisieren

Christian Lelek
Wenn Berliner Kita-Beschäftigte streiken, müssen Kleinkinder trotzdem betreut werden – dabei unterstützen Eltern und Kommunist*innen.
Wenn Berliner Kita-Beschäftigte streiken, müssen Kleinkinder trotzdem betreut werden – dabei unterstützen Eltern und Kommunist*innen.

Der Erfolg von Arbeitskämpfen in Einrichtungen der Erziehung und Bildung von Kindern ist abhängig von der Stimmung unter den Eltern. So auch in den Kitas. Eine Entlastung sollen da sogenannte Betreuungsinseln bringen, in denen die Kinder für die Zeit etwaiger Streiks betreut werden können. In Berlin organisiert ein Zusammenschluss von Eltern, gewerkschaftlich organisierten Erzieher*innen und kommunistischen[1] Aktivist*innen solche Betreuungsinseln. Hintergrund sind die Verhandlungen um den Tarifvertrag[2] des öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L), die am vergangenen Mittwoch begannen.

Kommt es zu Streiks, sympathisieren viele Eltern mit den Erzieher*innen ihrer Kinder. Sie kennen die Klagen und Bedürfnisse aus den Gesprächen in den Einrichtungen. Doch selbst für Eltern, die es am Anfang noch gut hinbekommen, die Betreuung ihrer Kinder anderweitig zu organisieren, wird der Streik irgendwann zur Belastungsprobe. Der Druck auf die Erzieher*innen in den Einrichtungen, bald mal wieder die Arbeit aufzunehmen, nimmt mit der Dauer des Arbeitskampfes zu.

Das hat auch Constanze Klunker im vergangenen Sommer gespürt. Mit ihrer kleinen Tochter ging sie zusammen zu den Streikkundgebungen von Verdi, um als Mutter ihre Unterstützung mit den Erzieher*innen auszudrücken. Mit anderen Eltern hat sie sich dafür in der Organisation »Einhorn sucht Bildung[3]« zusammengeschlossen. Die Arbeit konnte Klunker aber auf Dauer nicht liegen lassen. Die nahe gelegene Gemeinde der evangelischen Kirche ging auf die Anfrage der alleinerziehenden Mutter ein, an Streiktagen mit ihrer Tochter und zwei ihrer Freunde aus der Kita vorbeizukommen.

»Für mich bot sich das an«, sagt Klunker. »Meine Home-Office-Tätigkeiten konnte ich auch in der Gemeinde erledigen und gleichzeitig meine Tochter und zwei ihrer Freunde, die wir eh öfter zu Hause haben, beaufsichtigen.« In der Gemeinde gäbe es verschiedene Angebote, einen großen Draußenspielplatz und Ehrenamtliche und Angestellte, die bei der Betreuung unterstützen würden. Zu Hause wäre ein solches Betreuungsszenario nicht vorstellbar gewesen. Die Eltern der anderen beiden Kinder hätten ihr für die Zeit die Verantwortung übertragen.

Das Konzept der Betreuungsinseln ist quasi eine Fortentwicklung. Einrichtungen öffnen an Streiktagen für Eltern und ihre Kinder die Türen. Ehrenamtliche und Angestellte stellen die Infrastruktur und ein gewisses Angebot. In der engen Zusammenarbeit zwischen solidarischen Eltern und streikenden Beschäftigten seien auch Kontakte zu der Gewerkschaft Verdi zustande gekommen, sagt Klunker. Die Gewerkschaft befürwortet die Betreuungsinseln.

Gegenüber »nd« holt Verdi-Gewerkschaftssekretär Matthias Böhme aus: »Anders als in der Fabrik schaden Erzieher*innen, die ihr Recht auf Streik wahrnehmen zuerst den Eltern, deren Kinder sie betreuen und nicht einem klassischen Arbeitgeber.« Das sei aber beabsichtigt. Die Kolleg*innen wollten der Politik die Bedeutung ihrer Arbeit vor Augen führen. »Mit den Betreuungsinseln«, sagt Böhme, »sollen die Eltern entlastet und mit ins Boot geholt werden. Denn am Ende profitieren sie auch von einem erfolgreichen Arbeitskampf, wenn sich darüber die Betreuungsbedingungen ihrer Kinder verbessern.«

In den sozialen Medien taucht neben Verdi und »Einhorn sucht Bildung« eine weitere Gruppe in einem Netzwerk auf, in dem Beiträge und Werbung über die Betreuungsinseln geteilt werden. Die sogenannten »Stadtteilkomitees[4]«. Hinter den Kiezläden Rote Lilly (Neukölln), Rote Ella (Wedding) und Café Wostok steht der Bund der Kommunist*innen. Eine Organisation mit entsprechender Programmatik: »Das Ziel der Organisation ist der Aufbau und die Verteidigung proletarischer Gegenmacht in allen Sektoren der Gesellschaft bis zur revolutionären Überwindung von Kapitalismus, Staat und Patriarchat.« Ein Mittel zum Aufbau von Gegenmacht: Organisierung im Kiez über die Stadtteilkomitees.

Die Zusammenarbeit zwischen Aktivist*innen, Eltern und Erzieher*innen ist fragil und nicht immer einfach. Für manche Verdi-Aktive ist die Zusammenarbeit mit den Kommunist*innen ausgeschlossen. Constanze Klunke von »Einhorn sucht Bildung« beschwichtigt. Für die Lichtenbergerin sind die Stadtteilkomitees »tragende Säulen« der Betreuungsinseln. Für viele Eltern seien sie mit ihren regelmäßigen Familienangeboten zu »festen Kiezinstanzen« geworden, vor allem in Lichtenberg und Wedding.

Während im Schaufester der Kita von Klunkers Tochter ein Plakat einen Infoabend zu den Betreuungsinseln am Montag im Café Wostok bewirbt, sorgte im Südosten die Werbung für eine ähnliche Veranstaltung in der Roten Lilly für Ärger. Dort waren neben Informationen über die Funktionsweisen der Betreuungsinseln auch Lageberichte von Erzieher*innen aus den Kitas der Eigenbetriebe Südost (EBSO) angekündigt – zum Missfallen der Geschäftsführung.

In einer E-Mail, die »nd« vorliegt, wurde das Verteilen der Flyer in den Einrichtungen untersagt, vor allem weil sie den Eindruck erwecken könnten, es handele sich um ein Angebot der EBSO. Gleichzeitig werden die Beschäftigten darauf aufmerksam gemacht, dass das Verteilen der Flyer in den Einrichtungen und die Weitergabe von Betriebsinterna arbeitsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben könnte. Es seien zudem »keine offiziellen Schreiben zur Information der beiden Gewerkschaften Verdi und GEW«.

»Allerdings nehmen wir auch wahr, dass es unter den Eltern einen Bedarf gibt, aktiv zu werden und die Kinder gegenseitig zu betreuen.«

Matthias Böhme (Verdi) Gewerkschaftssekretär

Auf Nachfrage von »nd« erklären die EBSO, dass die Flugblätter allen Einrichtungen per Mail zugegangen seien, »in einzelnen Kitas wurden auch ausgedruckte Flyer abgegeben«. Grundsätzlich gelte, dass das Verteilen von Flyern mit der Geschäftsstelle abgesprochen werden müsse. Das sei hier nicht passiert. Als Eigenbetriebe sehe man sich zunächst selber in der Verantwortung, den Eltern während der Streiks ein Betreuungsangebot zu machen. Die EBSO habe hier mehrfach die Unterstützung »durch Elterneinsätze« angeboten.

Über die Social-Media Kanäle von Verdi wird für die Betreuungsinseln geworben und Unterstützung gesucht. Gewerkschaftssekretär Matthias Böhme sagt: »In der aktiven Organisation der Betreuungsinseln ist Verdi[5] lediglich Ideengeber, wir stellen keine Räume zur Verfügung und organisieren das Betreuungsangebot nicht mit.« Allerdings nehme Verdi auch wahr, dass es unter den Eltern einen Bedarf gibt, aktiv zu werden und die Kinder gegenseitig zu betreuen. Oft fehlen aber Räume und Personen, die solche Betreuungsangebote koordinieren. »Hier sehen wir ein großes Potenzial in solidarischen Strukturen, die schon bestehen«, sagt Böhme.

Von den kommunistischen Aktivist*innen aus der Roten Lilly heißt es, mit den Betreuungsinseln gehe es ihnen darum, den Eltern unter die Arme zu greifen, damit diese »die Streiks unterstützen können, ohne allein dazustehen«. Den Kontakt zu den Eltern würden sie häufig über die Beschäftigten herstellen. Die Mail der Geschäftsführung des EBSO, Werbung für die Veranstaltung in der Roten Lilly zu unterlassen, habe viele Erzieher*innen verunsichert, die die Unterstützung zuvor begrüßt hatten. Die Rote Lilly und das Café Wostok würden in jedem Fall am 18. Dezember als Betreuungsinseln für die Familien öffnen, die Rote Ella zu 99 Prozent. Wie am Freitag bekannt wurde, sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes[6] der Länder von den Gewerkschaften für diesen Tag zum Streik aufgerufen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195884.prozess-gegen-hauptkriegsverbrecher-nuernberger-tribunal-das-friedensgebot.html?sstr=kommunismus
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195855.arbeitsrecht-nach-eugh-urteil-was-bleibt-vom-eu-mindestlohn.html?sstr=tarifvertrag
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186258.kita-krise-kitas-in-berlin-runder-tisch-statt-streik.html?sstr=einhorn sucht bildung
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183857.kieze-berliner-weitlingkiez-vom-nazi-vorbild-zum-linken-aufbau.html?sstr=stadtteilkomitee
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195820.tarifverhandlungen-und-bvg-kurze-pause-zum-pinkeln-an-der-endhaltestelle.html?sstr=verdi
  6. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195398.rezension-anne-brorhilker-cum-ex-und-der-amtsschimmel.html?sstr=öffentliches|dienst