Eine Melodie für die Demokratie

Eltern gegen Rechts mit einem Klavier auf dem Bebelplatz

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Moritz spielt auf dem Bebelplatz Klavier und hinter ihm versammeln sich 40 Menschen.
Moritz spielt auf dem Bebelplatz Klavier und hinter ihm versammeln sich 40 Menschen.

Unter den Linden ziehen tausende Demonstranten mit unzähligen syrischen Fahnen durch und rufen Parolen. In Sichtweite gibt es am Sonntag eine kleine, aber feine Versammlung der Eltern gegen rechts. Schon mehrere Male haben sie an den zurückliegenden Sonntagen ein Klavier auf den Berliner Bebelplatz geschafft. So soll es auch an den kommenden Sonntagen sein. Immer von 16 bis 17 Uhr wird Klavier gespielt und es werden Reden gehalten.

Heute sollte eigentlich die Musikerin Tayo Awosusi-Onutor auftreten. Doch sie ist krank geworden und musste absagen. Moritz springt kurzfristig ein und greift in die Tasten. Spontan meldet sich außerdem eine Frau aus dem Publikum, die mit ihrem Pudel an der Leine da ist und den Hund mit auf die kleine Bühne nimmt. Die Frau kann ganz ausgezeichnet Klavier spielen und singen und begeistert ihre Zuhörer.

Fünf kleine Kinder sind da. Für sie stehen drei Bobbycars bereit und daneben liegt Malkreide. Doch die Kleinen lauschen lieber andächtig der Musik – und schließlich stimmen alle knapp 40 hier versammelten Menschen einen Kanon an: »Wir steh’n zusammen Hand in Hand/ für die Demokratie in unserem Land./ Haltet fest zusammen!« Die Idee der Versammlung: »Wir setzen ein Zeichen gegen rechte Hetze, soziale Spaltung und Untätigkeit beim Klimaschutz. Wir zeigen: Unsere Demokratie braucht jetzt Halt durch Haltung!«

Der Unternehmer Erdal Ahlatçı erinnert an die Bücherverbrennung von Mai 1933. Damals warfen die Faschisten hier auf dem Bebelplatz, der seinerzeit noch Opernplatz hieß, die Werke von jüdischen und marxistischen Autoren sowie anderen missliebigen Schriftstellern in die Flammen. »Der Bebelplatz zeigt, was geschieht, wenn Widerstand zu spät kommt und die Politik versagt hat«, sagt Erdal Ahlatçı. Er hat eine Rede geschrieben, die er sich statt der beleidigenden Worte zum Stadtbild von Kanzler Friedrich Merz (CDU) oder von einem anderen Kanzler gewünscht hätte. Daraus trägt er vor.

Es gibt einige Regeln für die Zusammenkunft auf dem Bebelplatz. Sie soll keine Bühne für parteipolitische Werbung bieten. Sie soll friedlich sein. Schimpfwörter und bedrohliche Gesten sollen unterlassen werden. Rechtsextreme Ideologie wird nicht geduldet und schlussendlich gibt es die Bitte, andere Personen nur mit deren Einverständnis zu filmen oder zu fotografien.

Und dann kommt der sogenannte Volksbote. Der kreuzt bei allen möglichen antifaschistischen Demonstrationen auf und filmt dort mit einem auf ein Stativ gesetzten Mobiltelefon. Er würde denen nicht auffallen, die ihn nicht von Angesicht kennen. Es filmen und fotografieren ja auch andere bei solchen Anlässen. Doch der rechte Volksbote krakeelt während seiner live ins Internet übertragenen Aufnahmen seine provizierenden Kommentare. Wenn dann Leute auf ihn aufmerksam werden und ihm das Sichtfeld verstellen, dann hat er das, worauf er nur zu warten scheint. Er kann sich als verfolgte Unschuld und als in der freien Meinungsäußerung und bei der Berichterstattung behinderter Pressevertreter inszenieren.

Nachdem eine Oma gegen rechts auf dem Bebelplatz einen Schritt rückwärts auf ihn zu macht, schubst der Volksbote die 78-Jährige. So schildert es die Frau später der von den Veranstaltern gerufenen Polizei. Der von einem Mann weggeschobene Volksbote holt seinerseits Polizisten herbei und erzählt ihnen etwas von gefährlicher Körperverletzung. Er sei mit Glühwein begossen worden. Es wird hier allerdings gar keinen Glühwein ausgeschenkt, nur Tee.

Aufgefordert, diejenige Frau zu zeigen, die ihm das angetan habe, behauptet der Volksbote, er könne die »hässlichen Schabracken« nicht auseinander halten. Von einem Beamten wegen dieser Wortwahl ermahnt, die ihm eine Strafanzeige wegen Beleidigung eintragen könne, spricht er trotzig noch einmal von »hässlichen Schabracken« und wird dann weggeführt. Irgendwann verschwindet er. Die Polizisten bleiben sicherheitshalber in der Nähe.

»Der Bebelplatz zeigt, was geschieht, wenn Widerstand zu spät kommt und die Politik versagt hat.«

Erdal Ahlatçı Unternehmer

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