nd-aktuell.de / 08.12.2025 / Politik

Studie zu AfD in Sonneberg: Es gibt keine »Entzauberung«

Unter AfD-Landrat: Sesselmann ist die Zustimmung zur Rechtspartei im Kreis weiter hoch

Sebastian Haak
Von Höcke, Chrupalla und Co. umjubelt: Sonneberger Wahlsieger Robert Sesselmann, Juni 2023
Von Höcke, Chrupalla und Co. umjubelt: Sonneberger Wahlsieger Robert Sesselmann, Juni 2023

Die Hoffnung, dass sich Rechtsextremisten oder Rechtspopulisten irgendwie selbst »entzaubern« würden, wenn sie einmal Regierungsmacht erhalten, ist offenbar trügerisch. Das ist der Befund einer Studie, die zwei Studenten der Hochschule Coburg vorgelegt haben. Sie haben sich konkrete AfD-Politik, deren Folgen und aktuelle Meinungsumfragen im Thüringer Landkreis Sonneberg[1] angeschaut.

»Wenn die AfD regiert, dann hat sie ein Machtmonopol. Sie verliert dann nicht in der Wählergunst und wird eher noch radikaler«, sagte Ulf Wunderlich, einer der Studienautoren bei der Online-Vorstellung der Untersuchung. Die aktuelle politische und gesellschaftliche Stimmungslage im Landkreis Sonneberg zeige, dass sowohl die Wahlergebnisse für die AfD bei der Bundestagswahl im Februar[2] als auch bei der Landtagswahl 2024 sehr stark waren. Dies, obwohl unter dem seit Sommer 2023 amtierenden AfD-Landrat Robert Sesselmann mehrere unpopuläre Entscheidungen getroffen worden seien.

»Das heißt, der klassische Entzauberungsansatz funktioniert nicht«, meint Wunderlich. »Wir haben eher noch eine Verstärkung antidemokratischer Tendenzen«, betonte er. Dazu gehöre auch, dass Nazisymbole[3] vielerorts im Landkreis fast alltäglich seien – und nur ein Teil der Bürger sich überhaupt daran störe.

Eine weitere Erkenntnis der Autoren: Die Selbstwahrnehmung der Wählerschaft im Landkreis entspricht nicht den Fakten. Real ist in Sonneberg und Thüringen allgemein ein massiver Zuwachs an Stimmen nicht nur für die AfD, sondern auch für andere extrem rechte Parteien zu verzeichnen. Im Landkreis seien demgegenüber »Selbstentlastungsmechanismen« inzwischen weit verbreitet.

Der zweite Autor der Studie, Filip Heinlein, sagte, im Landkreis Sonneberg zeige sich zudem einmal mehr, dass es dort, wo Rechtsextremisten stark seien, auch eine Zunahme rechts motivierter Gewalttaten gebe. Dies hätten Forschungsergebnisse bereits gezeigt.

»Im Landkreis Sonneberg zeigt sich einmal mehr, dass es dort, wo Rechtsextremisten stark sind, auch eine Zunahme rechts motivierter Gewalttaten gibt.«

Filip Heinlein Hochschule Coburg

Auch Ezra, die Thüringer Beratungsstelle[4] für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, hatte jüngst auf diese Entwicklung hingewiesen. Nach ihrer Zählung gab es 2023 insgesamt 20 rechts motivierte Übergriffe im Landkreis Sonneberg, so viele wie in keinem anderen Landkreis oder einer kreisfreien Stadt Thüringens, mit Ausnahme Erfurts. Die Landeshauptstadt hat allerdings auch etwa vier Mal so viele Einwohner wie der gesamte Landkreis. Im Jahr 2024 zählte Ezra in Sonneberg 15 Fälle von rechter Gewalt.

In Sonneberg war im Juni 2023 mit Robert Sesselmann[5] das erste Mal bundesweit ein Bewerber mit AfD-Parteibuch zum Landrat gewählt worden. Er ist bislang weiter der einzige Politiker der rechten Partei in diesem Amt. Auch bei Landtags- und Bundestagswahlen erzielte die AfD in der Region sehr starke Ergebnisse. Bei der Bundestagswahl 2025 beispielsweise entfielen etwa 46 Prozent der Zweitstimmen in diesem Landkreis auf die AfD. Die Studienautoren zählen aber nicht nur Stimmen für die AfD als Stimmen für extrem rechte Gruppen, sondern auch jene, die für Parteien wie »Die Heimat« oder »Die Basis« abgegeben wurden.

Ausweislich der Studie zeigt das Beispiel Sonneberg auch, dass eine weitere immer wieder diskutierte Strategie im Umgang mit der AfD scheitert: die der Good Governance. Sie besagt, dass Parteien wie CDU und SPD einfach »gute Politik« machen müssen, um den Einfluss der AfD zu brechen.

Das funktioniere schon in Situationen nicht, in denen die AfD keine Mehrheitspositionen habe, sagte Wunderlich. Denn: »Man wählt nicht rechts auf der Basis von Fakten, sondern in der Regel auf der von Emotionen.« Wenn die AfD einmal politische Gestaltungsmacht habe, helfe dieser Ansatz erst recht nicht mehr.

Bei der Studie handelt es sich um eine qualitative Erhebung, die von Interviews mit Sonneberger Kommunalpolitikern unter anderem von CDU, SPD und Die Linke lebt. Die Autoren haben nach eigenen Angaben auch Vertreter der AfD um Interviews gebeten, darauf aber keine Reaktionen erhalten. Dabei habe sich auch gezeigt, wie unterschiedlich die regionalen Akteure die Lage in Sonneberg wahrnehmen. Zu den Gefahren, die von der mit militanten rechten Gruppen vernetzten AfD ausgehen, gebe es keine gefestigte und einheitliche Einschätzung, so Wunderlich und Heinlein. Das sehen beide als Teil des Problems.

Wunderlich – ein Mann aus Coburg – und Heinlein, der direkt aus Sonneberg kommt, sind nicht nur in der Vergangenheit auch politisch aktiv gewesen. Wunderlich hat 2021 schon mal für die Linke für den Bundestag kandidiert, Heinlein war erst bei den Grünen aktiv und ist zurzeit Mitglied der Linken. Beide betonen dennoch, sie hätten die Studie streng nach wissenschaftlichen Kriterien als Studenten der Hochschule Coburg im Studiengang Soziale Arbeit verfasst. »Wir haben so sauber gearbeitet, wie es geht«, versichert Heinlein. »Uns ging es nicht darum, uns ein vorgefertigtes Bild bestätigen zu lassen. Wir wollten einfach die Akteure reden lassen und auswerten, was sie gesagt haben«, ergänzt Wunderlich.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183886.csd-in-sonneberg-csd-dueruem-und-ayran-in-sonneberg.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189292.alternative-fuer-deutschland-afd-gewonnen-und-trotzdem-unzufrieden.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188374.brandenburg-bundestagswahlkampf-hakenkreuze-auf-wahlplakaten.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194888.thueringen-neonazis-in-erfurt-zunehmend-enthemmt.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1174291.thueringen-nach-wahl-des-afd-landrats-in-sonneberg-panik-und-relativierung.html