Herzlich willkommen in der Debattenschleife! Hatte ich Sie nicht erst vor elf Monaten an dieser Stelle[1] in derselben Sache behelligt und mit dem Genossen Shakespeare auf den kaputten Diskurs um die rassismuskritische Darstellung von Othello hingewiesen? Und wird nicht überhaupt im und um das Theater seit etwa 15 Jahren in wiederkehrenden Zyklen über sogenanntes Blackfacing gestritten? Natürlich mit gleichbleibenden Argumenten und Gegenargumenten. Aber das Theater lebt ja schließlich vom Zauber der Wiederholung.
Ende November hatte das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg zur Geburtstagsfeier geladen. 125 Jahre, das ist doch ein stolzes Alter für Deutschlands größtes (und großartiges) Sprechtheater. Der für solche Veranstaltungen typische rührselige Blick auf die eigene Vergangenheit hat nicht allen gefallen. Gleich zwei »Othellos« hat man mittels Fotoprojektion noch einmal hochleben lassen: den in der Regie von Peter Zadek, 1976, und in der Regie von Stefan Pucher, 2004.
Beiden Inszenierungen gemein ist der Umstand, dass man den Hauptdarsteller jeweils schwarz geschminkt hat. Rassismus!, rufen da einige laut. Reproduktion von Rassismus!, nicken die anderen eifrig. Immer dieselbe Scheiße!, sind sich scheinbar viele einig.
Das Theaterfachportal nachtkritik.de hatte zuerst ein Interview mit der Schauspielerin Isabelle Redfern veröffentlicht, die die Reproduktion der als rassistisch inkriminierten Darstellung verurteilt hatte und sich zumindest eine Distanzierung von dem Gezeigten gewünscht hätte. Die virtuelle Kommentarspalte füllte sich alsbald. »FAZ« und »Die Zeit« reagierten und setzten der Debatte das obligatorische »Ja, aber« hinzu. Woraufhin nachtkritik.de wiederum reagierte und ein letztes »Gar nicht ›Ja, aber‹« hinzusetzte und einen Debattenschlussstrich zog. Bis dann das Ganze wieder von vorne losgehen wird.
Die erhitzten »Blackfacing«-Debatten der vergangenen Jahre sind durchaus nicht folgenlos geblieben. Schwarz geschminkte Gesichter sind nicht die Regel, sondern die Ausnahme im Theater. Aber darum geht es kaum, wenn erhitzte Gemüter sich dem Streit hingeben.
Die Verurteilung dieser Darstellungspraxis mündet allzu oft in dem mal flehend, mal scharf anklagend formulierten Appell, ein schwarzer Schauspieler wäre die ideale Besetzung für die Rolle des Othello. Dass solche Vorschläge der kenntnislosen Art nicht mit der Zuschreibung »rassistisch« goutiert werden, liegt wohl an der Zurückhaltung der Gegner in diesen erbittert ausgetragenen Streitgesprächen.
Dass schwarze Schauspieler nicht weniger auf die Bühne gehören als weiße, ist doch zutiefst einleuchtend. Dass in einer Bühnenwelt, in der Frauen Männer, Schauspielabsolventen mit Familienvermögen den Woyzeck und freundliche Bühnenlieblinge gnadenlose Berufsrevolutionäre spielen, wäre die Besetzung einer schwarzen Figur mit einem schwarzen Darsteller nicht unbedingt naheliegend.
Wer seinen Shakespeare gut gelesen hat, wird diesem antirassistischen Stück entnehmen können, dass nicht die Hautfarbe über Othellos Schicksal bestimmt. Der respektierte Feldherr Othello ist so schwarz wie der Unmensch Othello, zu dem er erst gemacht wird durch den Blick der Weißen. Das Drama ist keines für einen reflexhaften Umgang mit dem Thema Rassismus, der erhobene Zeigefinger der analytischen Durchdringung, wie sie ein Drama zu leisten vermag, vorzieht. Wir haben Grund anzunehmen, dass der Genosse Shakespeare, so wenig wir über ihn wissen, nicht schwarz war. Aber er hat etwas von der Gesellschaft verstanden – und von dem Theater, in dem jemand etwas scheinen kann, das er nicht ist, und damit offenbaren soll, was der Wirklichkeit zugrundeliegt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196043.genosse-shakespeare-alle-jahre-wieder.html