nd-aktuell.de / 08.12.2025 / Kultur

»Krupp war berühmt und einsam«, sagt Konstantin Richter

Ein Gespräch mit Konstantin Richter, der mit »Drei­hundert Männer« eine Kultur­geschichte des alten deutschen Kapi­ta­lis­mus ver­öffent­licht hat

Interview: Frank Willmann
»Vieles von dem, was sie so besonders machte, ist mir fremd«, sagt Konstantin Richter.
»Vieles von dem, was sie so besonders machte, ist mir fremd«, sagt Konstantin Richter.

»Dreihundert deutsche Männer bestimmten die wirtschaftlichen Geschicke des Kontinents«, schrieb Walther Rathenau Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie haben aus der Geschichte dieser Patriarchen der Industrie- und Bankenwelt eine Erzählung gemacht. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich habe eigentlich Literatur und Philosophie studiert. Aber die großen Unternehmen haben mich immer interessiert, sie gehören für mich genauso zur deutschen Geschichte wie Goethe oder Schiller oder Marx oder Hitler. Ich wollte ein Buch über die Konzerne schreiben, eine Kulturgeschichte, die sich auch Lesern erschließt, die nur wenig von Wirtschaft wissen.

Welchen Unternehmer bewundern Sie?

Ich finde die Geschichten von Leuten wie Krupp, Thyssen oder Daimler faszinierend. Aber sie lebten in einer anderen Zeit, und vieles von dem, was sie so besonders machte, ist mir fremd. Alfred Krupp stieg als 14-Jähriger ins Geschäft ein; er war besessen davon, die Firma zum Erfolg zu führen, besessen auch von der Angst, die Kontrolle zu verlieren. Er war stur und hartherzig, und als er starb, war er zwar berühmt, aber auch ziemlich einsam. Kann man so jemanden bewundern?

Wodurch unterschied sich Krupp von anderen frühen Fabrikbesitzern?

Er fürchtete, dass sich die Arbeiter gegen ihn erheben könnten, also überwachte und unterdrückte er sie. Aber weil er sie für den Sozialismus unempfänglich machen wollte, tat er auch vieles, das damals fortschrittlich war: Er gründete Kranken- und Pensionskassen und baute Arbeiterwohnungen, und all das lange vor Bismarcks Sozialpolitik.

Gab es den selbstlosen Kapitalisten?

Mir fällt niemand ein, aber ich kenne auch keine selbstlosen Schriftsteller. Interessanter ist vielleicht, inwieweit Unternehmer die Interessen anderer berücksichtigten. Die Unternehmer, die im sogenannten Rheinischen Kapitalismus wirkten, waren darauf aus, ihre Macht zu erhalten, sie dienten sich also selbst. Aber sie hatten oft auch das Wohl der Mitarbeiter oder der Region oder der ganzen Volkswirtschaft im Sinn, und darin liegt kein Widerspruch.

Wie lässt sich die Beziehung der Wirtschaftslenker zum deutschen Faschismus am besten beschreiben?

Anfangs waren die Nationalsozialisten den Unternehmern gar nicht geheuer; Fritz Thyssen war der einzige bedeutende Industrielle, der Hitler frühzeitig förderte. Als die Nazis immer stärker wurden, begannen die Unternehmer, den Kontakt zu pflegen, um sich abzusichern. Aber erst Anfang 1933, als Hitler an die Macht kam, unterstützte ihn die Wirtschaftselite mit voller Kraft – und dann floss auch viel Geld.

Gab es Unternehmer, die unter dem Einfluss der 68er einen radikalen politischen Wandel hinlegten?

Nicht radikal und nicht politisch. Aber die Unternehmen mussten sich Anfang der 70er verändern. Das hatte auch mit der Liberalisierung der westdeutschen Gesellschaft zu tun. Die Art und Weise, wie ein Heinrich Nordhoff den VW-Konzern lange geführt hatte, passte nicht mehr in die Zeit. Eine neue Generation übernahm, die ein wenig anders managte als die autokratischen Vorgänger.

Wie sah das aus?

Die Unternehmen wurden weniger hierarchisch geführt, man baute die Personalabteilungen aus und nannte es Human Relations. Die Rhetorik änderte sich, die Manager redeten plötzlich von Dingen wie Kreativität, Spaß und Motivation. Aber man sollte das auch nicht überschätzen.

Sind Großkonzerne die wahren Gewinner der deutschen Einheit?

Die Konzerne haben von der Wiedervereinigung massiv profitiert, sie fanden einen neuen Absatzmarkt und bauten neue Standorte auf. Noch wichtiger aber war, dass sich auch Osteuropa, Russland und vor allem China öffneten. Die Deutschen waren lange Zeit große Globalisierungsgewinner.

Hat die Globalisierung der Wirtschaft auch geschadet?

Viele Großkonzerne sind inzwischen mehrheitlich in ausländischer Hand; die Manager orientieren sich an Finanzkennzahlen und geraten unter Druck, wenn die Zahlen nicht gut sind. Dann überlegen sie typischerweise, ob sie Produktionsstätten schließen oder ins Ausland verlagern. Das geht nicht unbedingt zulasten der Konzerne selbst, die ja global agieren und flexibel sind, aber es schadet dem Standort Deutschland.

Leben wir in der Epoche des Kapitalismus im Endstadium?

Der Kapitalismus hat sich in der Vergangenheit als sehr wandelbar erwiesen, wir sehen ja, dass er sowohl mit der Demokratie vereinbar ist als auch mit der Diktatur. Ein Endstadium sehe ich nicht.

Welche Rolle wird der Klimawandel spielen?

Gute Frage, die ich aber nicht beantworten kann. Ich schreibe über die Geschichte der deutschen Konzerne. Was ein verschärfter Klimawandel, was große Naturkatastrophen und massive Fluchtbewegungen für die Gesamtwirtschaft bedeuten würden, ist kaum abzusehen, ich möchte da keine Aussage treffen.

Konstantin Richter: Dreihundert Männer. Aufstieg und Fall der Deutschland AG. Suhrkamp, 543 S., geb., 30 €.