Es ist ungewöhnlich ruhig auf dem grünen Gelände der Kyebambe Girls Secondary School in Fort Portal, im westugandischen Distrikt Kabarole. Eigentlich sind Ferien, die Klassenräume stehen leer, das Schulgelände liegt still da, wie ein Gutssitz ohne Gäste. Und doch hat sich an diesem Morgen eine kleine Gruppe junger Frauen auf den Weg gemacht. Sie wollen ihr Projekt zeigen – sie sind stolz, sagen sie, und dankbar für die Möglichkeiten, die ihnen diese Schule eröffnet.
Im Lehrerzimmer sitzen sie eng nebeneinander auf Stühlen, vor schweren Schreibtischen aus dunklem Holz. Alle tragen die gleiche Uniform: schwarze Schuhe, weiße Kniestrümpfe, grauer, knielanger Rock, die weiße Bluse mit dem Schulemblem ordentlich in den Bund gesteckt. Viele haben die Haare sorgfältig zurückgebunden. Hier, in der gedämpften Atmosphäre des Raumes, wirken sie zunächst schüchtern. Ihr Lehrer, ein junger Mann mit Brille, der keineswegs streng wirkt und nebenbei einen Master in Künstlicher Intelligenz absolviert, nickt ihnen aufmunternd zu.
Sobald Olive Komakama Benluck den Computerraum betritt, verändert sich die Stimmung. Selbstbewusst und älter wirkend als ihre 19 Jahre, spricht sie fließend Englisch, mit der Klarheit einer jungen Visionärin. Neben ihr steht ihre Freundin Loy Kabahindi, die Jüngste im Programm, 17 Jahre alt, still und wachsam. Wenn sie eine Frage nicht versteht, blickt sie fragend zu Olive – doch sobald diese zu erzählen beginnt, weicht die anfängliche Zurückhaltung bei beiden.
Olive spricht über ihre Familie. Als einziges Mädchen mit sechs Brüdern überrascht es kaum, woher sie ihr Durchsetzungsvermögen hat. Alle in der Familie sind begeistert von Computerspielen. »Als ich ihnen sagte, dass ich gelernt habe, eigene Spiele zu programmieren, waren sie begeistert«, erzählt sie lachend. »Jetzt wollen sie es lernen – und ich freue mich, ihnen etwas beizubringen. Sie sehen mich nicht als Mädchen, das weniger kann. Sie respektieren mich.« Der Stolz steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Loy nickt. Ihr Name bedeutet »die Auserwählte«. Auch sie spricht über ihre Erlebnisse als Mädchen mit Jungen. »Erst gestern, als ich nach Hause kam, war Programmieren das Thema. Ein Junge aus der Nachbarschaft wollte alles wissen. Ich will es ihm beibringen.« Dann fügt sie hinzu: »Niemand sagt: ›Das kannst du nicht, du bist ein Mädchen.‹«
»Als ich meinen Brüdern sagte, dass ich gelernt habe, eigene Spiele zu programmieren, waren sie begeistert.«
Olive Komakama Benluck Schülerin
In diesem Raum voller Träume und Energie beginnt etwas, das ihre Zukunft anders aussehen lässt. Und der Name des Programms, das all das möglich macht, bringt dessen Kern bereits auf den Punkt: »African Girls Can Code«, zu Deutsch: Afrikanische Mädchen können programmieren. Die Initiative läuft in zehn afrikanischen Ländern, gegründet von UN Women in Partnerschaft mit der Afrikanischen Union, der Internationalen Fernmeldeunion und unterstützt unter anderem von Siemens, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der belgischen Regierung. Sie vermittelt inzwischen an mehr als 600 junge Frauen zwischen 17 und 25 Jahren digitale Kompetenzen: vom Webdesign über Programmierung bis Robotik und Grafikdesign. Gleichzeitig öffnet sie Berufsperspektiven und fördert die Fähigkeit, eigene Projekte zu entwickeln.
Für viele bedeutet das erste Berühren einer Maus oder das Schreiben der ersten Codezeile nicht nur Lernen, sondern Selbstvertrauen. »Ich dachte immer, das sei nichts für mich«, sagt Olive. »Aber jetzt weiß ich, dass ich alles schaffen kann, wenn ich mich traue. Ich habe gelernt, an mich selbst zu glauben.« Sie fügt hinzu: »Früher dachte ich klein: Ich bin nur ein einfaches Mädchen aus meinem Dorf. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich selbst etwas erschaffen könnte, das für andere Menschen wertvoll ist.«
Über ihre Zukunft sprechen sie in großen Worten: »Früher wollte ich nach Frankreich, aber ich habe dort nicht viele Ingenieurprogramme gefunden«, erzählt Olive. »Jetzt interessiere ich mich für Stipendien in Indien – dort gibt es viele Programme in Informatik. Ich will Telekommunikationsingenieurin werden.«
Ebenso möchte sie die Mädchen in ihrer Gemeinschaft inspirieren, »weil ich selbst mich anfangs nicht getraut hatte, IT zu machen. Ich war früher sehr schüchtern, aber jetzt traue ich mich, Chancen zu ergreifen.« »African Girls Can Code« ist mithin nicht nur ein Titel, sondern eine Haltung. »Ich fand es unglaublich, dass ich etwas komplett von Grund auf selbst erschaffen konnte. Ich fühlte mich wichtig und habe gelernt, mehr an mich zu glauben«, erzählt Olive. Gleichzeitig bekommen sie hier auch Werte vermittelt, die über Technik hinausgehen. Olive und Loy haben bereits zusammen mit einigen Mitschülerinnen ein eigenes Projekt gestartet: »Wir möchten Websites bauen, die die touristischen Orte rund um Fort Portal bewerben. Damit wollen wir nach den Prüfungen in den Ferien beginnen«, erklären die beiden stolz.
Das Lehrpersonal merke außerdem, wenn eine Mitschülerin »vom Weg abkomme« oder »ein seltsames Verhalten zeige«, dann kämen die Pädagogen auf die Schülerin zu, um zu helfen. Ihr erstes digitales Projekt hatte das Thema »Drogenmissbrauch«, dazu sollten sie eine Website und Grafiken in Canva, einem Online-Tool für Grafikdesign, erstellen. Inzwischen können sie Websites und ansprechende Poster zu allen Themen entwerfen, sagen Loy und Olive stolz.
Im Gespräch mit den jungen Frauen wird schnell klar, dass es nicht nur um das Erlernen von technischen Fähigkeiten geht, sondern um eine Tür, die sich geöffnet hat – und die sie entschlossen sind, nicht nur für sich selbst offen zu halten. Sie möchten künftig anderen Mädchen den Weg ebnen.
Olive spricht über ihre Mutter, die trotz eigener Schwierigkeiten nie aufgehört hat, Bildung zu schätzen: »Meine Mutter hatte große Probleme, als sie mich bekam. Sie musste ihre Schulausbildung abbrechen, aber sie ging zurück zur Schule, machte ihren Abschluss und ist heute Subcounty Chief. Sie ist Politikerin und arbeitet für die Regierung.«
Eine Führungspersönlichkeit, fügt ihre Freundin Loy hinzu. »Viele Frauen im Dorf schauen zu ihr auf.« Sie sei eine »große Inspiration«, schwärmt Olive weiter von der Frau, die sie und ihre sechs Brüder großgezogen hat. Ihre Mutter sei ihr Vorbild, besonders weil sie sich nicht ihres Alters wegen von ihren Träumen hat abbringen lassen.
Loy erzählt ebenfalls die Geschichte ihrer Mutter: »Meine Mutter wuchs ohne ihre eigene Mutter auf, nur mit ihrem Vater. Sie wollte Ärztin werden, hat es aber nicht geschafft. Heute ist sie Krankenpflegerin und verdient ihr eigenes Geld. Sie hat mich immer ermutigt, Neues auszuprobieren. Ich hätte sonst nie geglaubt, dass ich hierher gehöre.«
Auch außerhalb der Familie finden die Mädchen Vorbilder. Olive: »Ich bewundere Miss Jennifer, die CEO von Uganda Airlines – sie war früher selbst Schülerin hier. Und Miss Natalie, eine Umweltaktivistin. Ich bewundere ihre Stärke, wie sie Herausforderungen meistern und sich nicht unterkriegen lassen.« Loy kommen mit Lakin Babazi und Flavia Tomsine zwei Journalistinnen in den Sinn.
Auch Loys Vorstellung von dem, was sie später einmal machen will, wurde stark vom »African Girls Can Code«-Programm beeinflusst. »Vor dem Programm wollte ich Landvermessung machen, aber jetzt – da ich sehe, wohin die Welt geht – interessiere ich mich stark für Informatik und Ökonomie.«
Neid von Jungen in ihrem Alter, dass sie das Privileg haben, am Programm teilnehmen zu dürfen, haben Olive und Joy nicht erlebt. »Man trifft nur sehr wenige Männer, die vielleicht etwas eifersüchtig oder irritiert sind, wenn ein Mädchen besser ist als sie. Aber diese wenigen schrecken uns nicht, denn die meisten sagen: ›Mach weiter so.‹«
Die Barrieren liegen woanders: fehlende technische Ausstattung an den Schulen mit weniger Geld, fehlender Zugang zu Lehrpersonen mit Programmierkenntnissen, frühe Schwangerschaft, familiäre Erwartungen, alte Rollenbilder. »Viele Mädchen, wie die von meiner alten Schule, geben sich mit sehr wenig zufrieden«, sagt Olive. »Essen und Kleidung kaufen, das sei genug, glauben sie. Ich finde es schwer zuzusehen, wenn Mädchen nicht an sich selbst glauben.« Loy ergänzt: »Strukturelle Faktoren prägen das Denken der Mädchen. Früher wusste ich nicht, wofür ich Programmierung verwenden kann.«
Über die ugandische Gesellschaft sagt Loy: »Wenn man ehrgeizig ist und Interesse zeigt, gibt es Unterstützung. Viele Arbeitgeber fördern Frauen in Bereichen, die als ›männlich‹ gelten. Chancen müssen ergriffen werden.«
Die Mädchen sind zu Multiplikatorinnen geworden. »Ich habe meinen Freundinnen gezeigt, wie man Webseiten baut«, sagt Olive. Loy ergänzt: »Ich helfe jüngeren Mädchen, die noch unsicher sind. Ich zeige ihnen, dass man alles lernen kann.« Olive beschreibt, wie das Programm ihre Perspektive verändert hat: »Wir haben Projekte entwickelt – und ich fand es unglaublich, dass ich etwas komplett von Grund auf selbst erschaffen konnte. Ich fühlte mich wichtig, und ich habe gelernt, mehr an mich zu glauben.«
Loy nickt zustimmend: »Die Herausforderung ist, dass viele Mädchen gar nicht erst herauskommen wollen – sie wollen nicht stark auftreten oder selbstständig sein. Sie wollen abhängig von ihren Eltern bleiben und nicht ihre Komfortzone verlassen, um ein eigenes Einkommen zu finden.« Über das Gefühl, selbstbewusster zu werden, sagt Loy: »Ich fühle mich erwachsen und hoffnungsvoll. Früher hätte ich mir nie zugetraut, vor anderen zu stehen oder meine Ideen zu präsentieren. Jetzt kann ich das – und das macht mich stolz.«
Trotz der Erfolge bleibt viel zu tun. »Viele Schulen haben keine Ausstattung, viele Mädchen werden gar nicht erreicht. Man sollte diese Mädchen gezielt fördern – und wirklich ganz von vorne beginnen, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlen«, sagt Olive. Nicht alle Mädchen seien an so einer »privilegierten Schule mit Computer-Arbeitsraum wie wir«, einige im Programm hätten beispielsweise nicht gewusst, wie man einen Computer einschaltet. »Diese Mädchen müssen von null auf abgeholt werden, dass sie sich nicht schlecht fühlen«, rät Olive.