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Krippenspiel an der Volksbühne: Besinnlichkeit und Kommunismus

Die Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz hat mit »Proprietà privata« zum Krippenspiel geladen

Siehe da! Ein Theaterwunder!
Siehe da! Ein Theaterwunder!

Seit 2000 Jahren dieselbe Geschichte: Maria und Joseph, der Stern und die Hirten, der Stall und die Geburt. Wirklich jeder weiß Bescheid. Wie davon erzählt wird, ist die gewichtigere Frage, nicht die nach der Handlung. Und natürlich die Frage, unter welchen Bedingungen davon erzählt wird.

Regisseur Christian Filips stellt weitere Fragen der interessanteren Art in seinem Krippenspiel »Proprietà privata« an der Berliner Volksbühne, nämlich die nach der Verbindung von Christentum und Kommunismus, von Privateigentum und Sünde, von Mittelalter und naher Zukunft, von der Erlösung durch Christus und der erlösten Gesellschaft. Auch das ist nicht neu. Aber wie Filips es auf die Bühne bringt, ist einnehmend, charmant und klug.

Zunächst steht da nur in sich ruhend ein Mönch auf der Bühne, daneben ein Betonmischer. Dieses Bild ist dem Publikum sanfte Mahnung an diesem besinnlichen wie heiteren, gut zwei Stunden dauernden Theaterabend: Arbeiter, vergiss den Glauben an das Höhere nicht! Und du, Mann Gottes, vergiss die Sache der Arbeiter nicht!

Und dann tritt die große Sophie Rois auf, stellt sich uns vor als »unkündbares Volkseigentum« und gibt den heiligen Franz von Assisi. Bald bevölkern fast zwei Dutzend Sängerinnen und Sänger (vom Fanny-Hensel-Chor der Sing-Akademie zu Berlin sowie dem Staats- und Domchor Berlin) die Bühne.

Franz hat dem Reichtum abgeschworen und predigt ein Leben ohne Besitz (scheint in der Frage aber zuweilen etwas unentschlossen). Doch zunächst gehört geklärt: »Wem gehört die Bühne überhaupt?« Denn wenn man sich zu einem Spektakel an der Volksbühne einfindet, dann geht es immer auch um die Volksbühne selbst. Und natürlich um das ganze große Ganze.

Kerstin Graßmann gibt an diesem Abend den Papst. Und auch Inga Busch und Christine Große schlüpfen in heilige Rollen. Und Margarita Breitkreiz ist in ihrer Paraderolle als – dieses Mal vogelartige – missionarische kommunistische Furie zu sehen. Von ihr erfahren wir, wie das Mittelalter uns bereits wieder einholt: Der Tech-Kapitalismus ist die überwunden geglaubte Feudalherrschaft der nahen Zukunft.

Heiligenlegenden und kommunistische Gebete, anrührende Musik und ironiegeladener Witz, Bühnendekorationen wie aus dem vorletzten Jahrhundert und altbekannte Volksbühnenverve kommen hier gut zusammen. Und wem es etwas zu viel wird mit der religiösen Romantik, der darf sich bald an der Revolutionsfolklore erfreuen (die an diesem Haus immer auch mehr ist als reine Folklore). Bilder aus Brechts Film »Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?« erscheinen auf der Leinwand. Und der Chor gibt die Begleitmusik.

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»Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen«, haben Marx/Engels uns ins Poesiealbum geschrieben. Filips scheint mit seinen Sängerinnen und Sängern zu antworten: Die Geschichte der Befreiung der Gesellschaft ist ein Kampfliedermedley, das noch auf sein Finale wartet.

»Und weil der Mensch ein Mensch ist« wird da angestimmt – und von »Vorwärts, und nicht vergessen« abgelöst. Vom »Roten Wedding« wird gesungen. »Brüder, seid bereit!«, werden wir herausgefordert. Und weil es an diesem Abend um das Hohe und das Niedere, das Sakrale und das Profane geht, fehlen auch Udo Jürgens und Johann Wolfgang von Goethe nicht bei den Stichwortgebern für das musikalische Potpourri.

Zum Ende wird es noch einmal besinnlich. Und ein echter Esel hat es auf die Bühne geschafft, der das Publikum so kindgerecht verzaubert, wie es vielleicht nur bei einem Krippenspiel möglich ist. Dass dieser Esel ein freies Wesen ist, nur sich selbst gehört, mit sich und der Gesellschaft versöhnt ist, hätte man gar nicht eigens von der Bühne deklamieren müssen, so selbstverständlich scheint es an diesem Abend.

Harry Rowohlt hatte eines seiner Bücher mit dem entzückenden Titel »Gottes Segen und Rotfront« versehen. Und so hält es auch dieses unbedingt empfehlenswerte Theaterspektakel. Frohe Weihnachten – der Kampf geht weiter!

Nächste Vorstellungen: 10., 19. und 28.12.
www.volksbuehne.berlin

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