Das Video, das die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) vor einigen Tagen ins Internet gestellt hat, dauert eine Minute und zehn Sekunden. Und es lässt, im doppelten Sinne, tief blicken: Kreuz und quer auf dem Boden verstreut sind gelbe Fässer zu erkennen. Die meisten scheinen von einer dicken Staubschicht überzogen, bei einigen Behältern ist die metallene Außenhaut eingedrückt. Dazwischen und teils auch auf den Behältern liegen dicke Gesteinsbrocken.
Die Aufnahme entstand im Atommülllager Asse[1]. Erstmals seit Jahrzehnten gibt es damit wieder Kamerabilder von den mittelradioaktiven Abfällen, die vor 50 Jahren in dem maroden früheren Salzbergwerk bei Wolfenbüttel eingelagert wurden[2]. Die gefilmten Fässer liegen in der Einlagerungskammer Nummer 8a in 511 Metern Tiefe. Es handelt sich um 1293 Behälter, die zwischen August 1972 und Januar 1977 in den Schacht Asse II gebracht wurden.
Die Einlagerung dieser mittelradioaktiven Abfälle erfolgte damals mithilfe eines Krans. Dieser ließ die Fässer durch eine Bohrung in die beim früheren Salzabbau in das Gestein geschlagene Einlagerungskammer hinab und klinkte sie dann aus. Die Kammer wurde nach der Einlagerung der Abfälle nicht verfüllt. Der Schacht Asse II firmierte damals offiziell als »Versuchsendlager«. Erprobt wurden dort auch »alternative« Einlagerungstechniken: Teilweise bugsierten Radlader die Fässer bis an die Zugänge zu den Kammern und ließen sie dann herabfallen.
Insgesamt befinden sich in den unterirdischen Kammern etwa 126 000 Fässer. Die meisten enthalten schwach radioaktiven Atommüll, einige aber auch chemische Rückstände. Zudem befinden sich extrem giftige Substanzen wie Plutonium unter Tage. Die nuklearen Abfälle in der Asse stammen aus dem Betrieb von Atomkraftwerken sowie zum kleineren Teil aus Forschung und Medizin.
Den Antrag auf Erkundung der Kammer 8a mittels einer Kamera hatte die BGE bereits 2018 bei den zuständigen Behörden in Niedersachsen gestellt. Planung und Genehmigung mit anschließender Umsetzung der Genehmigungsauflagen, beispielsweise die Installation einer neuen Filteranlage, dauerten mehrere Jahre.
Zum Hinablassen der Kamera nutzten die BGE-Experten ein noch vorhandenes Bohrloch aus der Einlagerungszeit. Zuvor hatten sie diese Öffnung durch eine zeltähnliche Konstruktion vom übrigen Grubengebäude baulich getrennt. Die Kammer 8a sei während der Kamerabefahrung in Unterdruck gehalten worden, erklärte die BGE. So habe keine Radioaktivität ins Bergwerk gelangen können, während das Bohrloch offen war.
Bereits im Sommer hatten Bergleute mit einer Kamera erstmals Fässer mit schwach radioaktivem Müll inspizieren können, die in 750 Metern Tiefe lagern. In der dabei beobachteten Kammer 12 des früheren Salzbergwerks lagern rund 7500 Behälter. In deren Zugangsbereich hatte sich ein Sumpf mit radioaktiv kontaminierter Lösung gebildet. Dies führte unter anderem dazu, dass die Schachtanlage Asse bereits 2009 unter das Atomrecht gestellt wurde.
Die Untersuchungen der Kammern sind Teil des Erkundungsprogramms, mit dem die BGE die Rückholung des Atommülls vorbereitet. Er soll geborgen werden, weil das Bergwerk instabil ist und voll Wasser zu laufen droht. Zwei Nachbarschächte, Asse I und Asse III, waren schon früher vollgelaufen und aufgegeben worden. Ob die Rückholung gelingt, ist allerdings offen – weltweit wurde noch nie ein unterirdisches Atommülllager geräumt.
Die Befunde der aktuellen Kamerafahrt stünden dem Vorhaben nicht unbedingt entgegen, meint BGE-Chefin Iris Graffunder. Sie deutet die Steinbrocken zwischen den Fässern so, dass Teile der Kammerdecke aus mehr als zehn Metern Höhe auf diese gestürzt seien. Trotzdem sähen die Fässer noch überwiegend intakt aus. »Einige sind verbeult und verformt«, räumt Graffunder ein. »Aber sie sind nicht aufgerissen, und es sind keine Abfälle aus den Fässern gefallen.« Was die Erkenntnisse für die Rückholung bedeuten, müsse man jetzt auswerten.