• Berlin
  • Streik an Kreuzberger Schulen

Tarifrunde der Länder: Berliner Lehrer gehen voran

In Berlin bestreikt die Gewerkschaft GEW elf Kreuzberger Schulen

Der Personalmangel an den Schulen führt dazu, dass viele Lehrkräfte fachfremde Zusatzaufgaben übernehmen müssen.
Der Personalmangel an den Schulen führt dazu, dass viele Lehrkräfte fachfremde Zusatzaufgaben übernehmen müssen.

»Das Verhalten, das die Arbeitgeber an den Tag legen, ist mal wieder eine Provokation«, sagte Gökhan Akgün am Dienstagmorgen zu »nd«. »Zur ersten Verhandlungsrunde haben sie kein Angebot vorgelegt, das lassen wir ihnen nicht durchgehen.« So begründete der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin den Warnstreik an elf Schulen in Kreuzberg.

Mit dem lokal begrenzten Streik ist die GEW, die an den Berliner Schulen die dominierende Gewerkschaft ist, früh dran. Der erste große Warnstreik im Rahmen der Tarifrunde für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L) soll erst am 18. Dezember stattfinden. Hierzu ruft die GEW mit den Partnergewerkschaften im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Deutschen Beamtenbund (DBB) gemeinsam auf.

Akgün sprach von einem unübersehbaren Signal der Beschäftigten: »Wir sind nicht länger bereit, Reallohnverluste, Dauerüberlastung und Personalmangel einfach hinzunehmen. Wenn die Arbeitgeber weiter blockieren, werden wir die Warnstreiks konsequent Schritt für Schritt ausweiten und zuspitzen«, erklärte der Vorsitzende der GEW Berlin. Gerade im Bildungsbereich werde seit Jahren auf Verschleiß gefahren. Das räche sich heute mit einem dramatischen Fachkräftemangel.

»Wir arbeiten permanent am Limit: große Klassen, ständiger Unterrichtsausfall, immer neue Zusatzaufgaben. Viele Kolleg*innen sind körperlich und psychisch erschöpft.«

Alexander Zachrau Lehrer

Die Gewerkschaften fordern im Rahmen der Tarifrunde eine Lohnerhöhung von 7 Prozent, mindestens aber 300 Euro mehr im Monat. Dadurch sollen Beschäftigte mit niedrigen Einkommen überproportional von einem möglichen Verhandlungsergebnis profitieren. Die Vergütung für Auszubildende soll um 200 Euro pro Monat steigen, der neue Tarifvertrag zwölf Monate gelten.

Während die Gewerkschaften auf die günstige Situation in den Ländern aufgrund von Steuereinnahmen verweisen, erklärten die Arbeitgeber, die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), die Forderungen der Gewerkschaften seien nicht zu verantworten. »Mit ritualisierten astronomischen Forderungen nicht erfüllbare Erwartungen zu wecken, die am Ende zu großen Enttäuschungen bei vielen Beschäftigten führen, ist nicht zielführend«, sagte Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), der der TdL vorsitzt.

Alexander Zachrau arbeitet an einer der von der GEW zum Streik aufgerufenen Schulen. An der Carl-von-Ossietzky-Gemeinschaftsschule unterrichtet er neben seinen studierten Fächern Geschichte und Informatik auch Ethik und Mathe, »aufgrund des Lehrkräftemangels«, wie Zachrau zu »nd« sagte. Die Stimmung im Kollegium sei angesichts einer immer weiter wachsenden Zahl an Aufgaben »sehr schlecht«. »Wir arbeiten permanent am Limit: große Klassen, ständiger Unterrichtsausfall«, viele Kolleg*innen seien körperlich und psychisch erschöpft, so Zachrau.

Der Frust geht Zachrau zufolge nicht allein auf Probleme zurück, die sich durch einen besseren Tarifabschluss lösen lassen. So werde auf dem Sportplatz seiner Schule ein modularer Bau errichtet, damit die asbestbelastete Aziz-Nesin-Grundschule während der Sanierungsarbeiten auf dem Campus seiner Schule unterkommen kann. Auch die Beschäftigten der Aziz-Nesin-Grundschule streikten am Dienstag. Zachrau sagte, durch die Verdichtung auf dem Schulgelände habe bereits jetzt die Zahl der Konflikte zugenommen.

Muckefuck: morgens, ungefiltert, links

nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.

»Viele Kolleg*innen hören einfach auf.« Er habe wenig Hoffnung, dass am Ende der Tarifrunde ein Ergebnis steht, das geeignet sei, die Situation an den Schulen merklich zu verbessern. Dazu fehle der Gewerkschaft auch die Durchsetzungsstärke. »Viele Kolleg*innen sind in der Vergangenheit verbeamtet worden und dürfen nicht streiken. Und die GEW war in den vergangenen Jahren oft auch zu schläfrig.«

Zachrau streike in erster Linie aus Solidarität mit anderen Beschäftigtengruppen, insbesondere denen, die weniger verdienen. Es sei dennoch wichtig, »Druck von unten aufzubauen und zu erneuern«, so der Lehrer von der Ossietzky-Schule. Auch wenn das Ergebnis schon festzustehen scheint, sei es immer schwer vorherzusehen, wann sich eine kritische Masse findet, die echte Verbesserungen durchsetzen könne.

In Berlin, wo die GEW an den besagten Schulen am Dienstag Lehrerpersonal und Erzieher*innen zum Streik aufrief, kämpft die Gewerkschaft seit Jahren darum, kleinere Schulklassen tariflich zu verankern. »Diese Forderung haben wir deutlich an die Bundestarifkommission kommuniziert«, sagte der Vorsitzende der GEW Berlin Akgün. Sie sei in deren abschließendem Forderungskatalog aber nicht enthalten. »Wir müssen weiter dicke Bretter bohren, um die kleineren Klassen als nachhaltige Forderung zu etablieren.«

- Anzeige -

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.