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Polizeigewalt: »Manchmal grinsen die Beamten dabei«
Frauen beschuldigen Polizisten in Nürnberg, sie gezielt gewürgt zu haben. Eine Videoreihe soll aufklären
In Nürnberg scheint es mittlerweile zur Normalität zu werden, dass antifaschistischer Protest durch massive Repressalien unterbunden werden soll. Was ist aktuell in Bayerns zweitgrößter Stadt los?
Nürnberg war schon immer ein Zentrum der linken Bewegung in Bayern. So findet dort jährlich die größte linke Literaturmesse im deutschsprachigen Raum statt – oder auch eine der größten linksradikalen 1.-Mai-Demonstrationen mit in diesem Jahr fast 5000 Teilnehmern. Das alles wurde stets von der Landesregierung in München und lokalen Parteien mit Argusaugen überwacht.
Was bedeutet das konkret?
Wir sind es gewohnt, dass alle paar Jahre Polizeiexzesse oder Repressionskampagnen stattfinden. Im Oktober 2023 begann die aktuelle Repressionswelle gegen Antifas mit der Eröffnung eines Verfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen sieben Personen, und im Mai 2024 wurde die Antifaschistin Hanna S. verhaftet. Seit Anfang dieses Jahres gibt es nun meist wöchentlich Proteste gegen das sogenannte »Team Menschenrechte – TMR«, das als Schnittstelle zwischen Jungfaschisten und AfD fungiert.
Rebecca Hübner kommt aus einer fränkischen Kleinstadt und ist Sprecherin der Roten Hilfe Ortsgruppe Nürnberg – Fürth – Erlangen. Seit über 10 Jahren macht sie Antirepressionsarbeit. Politisiert wurde sie in der antifaschistischen Bewegung und ist heute aktive Gewerkschafterin. Die Videoreihe »Würgen als Waffe« ist auf dem Instagram-Kanal @aktionspotential.161 ersschienen.
Bereits im April dieses Jahres wurde Polizeigewalt öffentlich diskutiert, vergangenen Mittwoch stand ein Verbot der Reiterstaffel im zuständigen Ausschuss des Stadtrats auf der Tagesordnung. Woher kommt das Interesse am Handeln der Nürnberger Polizei?
Spätestens seit der Corona-Pandemie konnte jeder mal erleben, wie die Polizei ihre Maßnahmen durchzieht. Außerdem schreitet die Verarmung der Menschen voran, und der soziale Kahlschlag hat zur Folge, dass das Elend sichtbarer wird. Immer öfter liest man dann von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, die von Einsatzkräften der Polizei angeschossen wurden. In den vergangenen 18 Monaten ist das allein in Nürnberg und Umgebung bereits fünfmal vorgekommen.
Gleichzeitig werden Verfahren selbst bei offensichtlicher Polizeigewalt eingestellt. So war es auch vor ein paar Jahren, als zwei Beamte einen wehrlosen, am Boden liegenden Mann mit Tritten malträtiert haben. Trotz eines Videos, das die Vorwürfe bewies, wollte die Staatsanwaltschaft »Mikrobewegungen« des Mannes erkannt haben, mit denen er Widerstand leistete und die »für das ungeschulte Auge nicht zu erkennen seien«. All das hinterlässt bei den Menschen Spuren.
Die nun erhobenen Vorwürfe unterscheiden sich aber von anderen Geschehnissen in der Frankenmetropole. Worum genau geht es?
In den letzten Wochen wurde uns vermehrt von Fällen sexualisierter Polizeigewalt während der Gegenproteste gegen »TMR« berichtet. Das Muster ist wiederkehrend: Groß gewachsene Beamte suchen sich Situationen, in denen sie Antifaschistinnen körperlich nahekommen können, beispielsweise im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen. Die Frauen sind in der Regel körperlich deutlich kleiner, und dann geht es schnell: Es wird gezielt nach dem Hals gegriffen und für einen Moment gewürgt. Manchmal grinsen die Beamten dabei nur, an anderer Stelle fallen noch Kommentare. Umstehende Beamte wissen offensichtlich um das schlechte Bild, das damit vermittelt wird, greifen aber nicht ein. In den verschiedenen Einsatzzügen gibt es mehrere Beamte, die so vorgehen.
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Woher kommen diese Probleme auf einmal?
Das ist schwierig genau zu beantworten, wir vermuten aber eine Mischung aus unterschiedlichen Dingen. Zum einen ist da die offensichtliche Straflosigkeit für Täter in Uniform. Zusätzlich benötigt das riesige Polizeiaufgebot ungeheure Kräfte, weshalb das Nürnberger Unterstützungskommando regelmäßig Polizeischüler heranzieht. Während des Protests kann man dann oft genug die Überforderung der Frischlinge sehen, die über keine oder nur marginale Erfahrung in dem Bereich verfügen und häufig mit Aggression reagieren.
Zum anderen machen Rechtsentwicklungen auch nicht vor den Behörden halt. Parteien und Behörden stellen sich schützend vor Beamte und wollen über Exzesse gar nicht groß reden. Vor allem ist Nürnberg aber gerade auch ein Laboratorium, was Polizeitaktiken angeht. Mobile erkennungsdienstliche Behandlungen, neue Einsatzmöglichkeiten der Reiterstaffel und verschiedene Arten des Raumschutzes werden trainiert.
Wie geht es nun weiter?
Uns bleibt wenig anderes übrig, als Schritte nach vorne zu gehen und Öffentlichkeit zu schaffen. Die Repressionsbehörden wollen isolieren und die Vorkommnisse unter dem Deckel halten. Wir haben deshalb einen Aufruf gestartet, uns derartige Vorfälle zu melden und sich zu vernetzen. Einige der betroffenen Frauen haben in einer vierteiligen Videoreihe ihre Erlebnisse geschildert, um zu zeigen, dass wir genau hinschauen. Wir sehen, was passiert, und wir werden es nicht unkommentiert lassen.
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