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Nahost-Konflikt in Westbrandenburg

Potsdamer Kino Thalia setzte Film und Gespräch zu Kriegsverbrechen in Gaza ab

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein israelischer Soldat zielt im Westjordanland auf Palästinenser.
Ein israelischer Soldat zielt im Westjordanland auf Palästinenser.

Das Kino Thalia in Potsdam-Babelsberg zeigt dieser Tage den Dokumentarfilm »Jetzt wohin«. Regisseur Lars Jessen blickt hinter die Kulissen des Bundestagswahlkampfs 2025 von Robert Habeck – »einer Kampagne, die mit großen Erwartungen beginnt und mit deutlichen Einbußen für die Grünen endet«, wie es in der Filmankündigung heißt. Lars Jessen sei außer Filmemacher noch Freund, Berater und langjähriger Weggefährte von Habeck und suche Antworten: »Warum ist es so gekommen? Was ist schiefgelaufen und wie kann progressive Politik in Zeiten von Populismus wieder gelingen?« Für die Vorstellung am 7. Dezember sollte auch ein Gespräch von Jessen und Habeck live in den Kinosaal übertragen werden.

Das Kino Thalia bedient keinen Massengeschmack. Auf dem Programm stehen Filme mit künstlerischem und durchaus auch politischem Anspruch. Nichts geworden ist allerdings aus der Vorführung von »Kill Zone: Inside Gaza« (Todeszone: Innenansicht von Gaza). Es handelt sich um eine 2024 für den britischen Sender BBC gedrehte Dokumentation. Das Netzwerk Potsdam für Palästina wollte sie am 29. November um 18 Uhr im Kino zeigen und anschließend mit Tankred Stöbe von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen diskutieren. Der Streifen blicke »schonungslos auf die Realität von Israels Krieg gegen Gaza, dem Zehn- bis Hunderttausende zum Opfer gefallen sind – auch mit deutschen Waffen und weitgehender Duldung durch zwei Bundesregierungen«, hieß es in der Einladung. Vorsorglich gewarnt wurden Kinobesucher, dass sie reale Gewaltszenen, Kriegsopfer und Wunden zu sehen bekommen, was emotional sehr belastend sein könne. Eintritt: 6,50 Euro, ermäßigt drei Euro.

Schlussendlich musste die geplante Veranstaltung »Krieg in Gaza: Bilder eines Völkermords« jedoch ins Café Madia verlegt werden, da das Kino die Filmvorführung »aufgrund massiven Drucks durch überwiegend anonym agierende Akteur*innen« sehr kurzfristig abgesagt habe, so das Palästina-Netzwerk.

Zwei Personen, die Einfluss genommen haben sollen, sind allerdings bekannt: Eine Mitarbeiterin von Brandenburgs Antisemitismusbeauftragtem Andreas Büttner, die in Absprache mit ihrem Chef mit dem Kino Verbindung aufnahm. Zuvor soll die jüdische Gemeinde der Stadt den Beauftragten kontaktiert haben.

»Wir sind irritiert, dass Herr Büttner in seiner Funktion als Antisemitismusbeauftragter des Landes Brandenburg Druck auf Kunst- und Kulturräume ausübt und Absagen von Veranstaltungen forciert, statt den Dialog zu suchen oder auf bestehende Gesprächsangebote einzugehen«, kommentiert die Linke-Kreisvorsitzende Iris Burdinski. Es sei unbestritten, dass das Massaker der palästinensischen Hamas vom 7. Oktober 2023 an Festivalbesuchern ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstelle, steht in einer Pressemitteilung des Linke-Kreisverbands vom Montag. Gleichzeitig könne man vor den massiven Kriegsverbrechen der israelischen Armee in Gaza nicht die Augen verschließen. Die derzeit vor dem Internationalen Gerichtshof verhandelte Einordnung des israelischen Vorgehens als Völkermord müsse man als eine legitime Äußerung in einem offenen gesellschaftlichen Diskurs anerkennen.

Potsdams Linksfraktionschef Tobias Woelki fügt hinzu: »Angesichts der aktuell immer lauter werdenden rechtsextremen Stimmen im gesellschaftlichen Diskurs und der damit einhergehenden zunehmenden Gewalt- und Bedrohungssituationen für von Rassismus und Antisemitismus betroffene Menschen kommt Kunst und Kultur eine zentrale Rolle zu.« Räume der Begegnung und des Aushandelns, wie eine freie und demokratische Gesellschaft aussehen solle, müssten geschützt und gefördert werden, statt sie von offizieller Seite zu kontrollieren.

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Speziell an der Auseinandersetzung ist: Zwar war der Antisemitismusbeauftragte Büttner von 2010 bis 2014 Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. Er saß dann aber von 2019 bis 2024 noch einmal im Landtag – diesmal für die Linken, zu denen er 2015 übergetreten war. Als Büttner 2024 vom Landtag zum ersten Brandenburger Antisemitismusbeauftragten gewählt werden sollte, hatten die jüdischen Gemeinden mit ihm kein Problem, auch nicht damit, dass er christlichen Glaubens ist. Bedenken gab es wegen seiner Parteimitgliedschaft. Der inzwischen 52-Jährige ist der Linken dennoch treu geblieben, auch wenn er mit deren Positionen zum Nahost-Konflikt fremdelt.

Die Positionen sind allerdings auch nicht ganz klar, weil eine schwächelnde antideutsch-israelfreundliche Strömung mit einer erstarkenden palästinasolidarischen Richtung streitet. Aus letzter Ecke kam auch der Antrag, Büttner aus der Partei auszuschließen. Die Landesschiedskommission der Linken lehnte das ab. Die Bundesschiedskommission hat sich als nächste und letzte Instanz mit dem Fall noch nicht befasst.

Was die Filmvorführung betrifft, beteuert der Antisemitismusbeauftragte Büttner: »Wir haben weder Druck ausgeübt noch haben wir auf die Absage der Veranstaltung gedrungen.« Den Film zu zeigen, wäre völlig in Ordnung gewesen, erklärt er. Einseitig wäre der Abend im Kino Thalia geworden, weil in der geplanten Diskussion die andere Perspektive gefehlt hätte. Seine Mitarbeiterin habe dem Kino mitgeteilt, dass der Genozidvorwurf häufig reproduziert werde, es jedoch eine juristische Debatte sei. »Die Entscheidung zur Absage kam vom Thalia-Kino. Wir haben lediglich unsere Auffassung dazu geäußert«, versichert Büttner. »Die Linke hätte im Vorfeld mit uns sprechen sollen, statt irgendwelche erfundenen Dinge in die Welt zu setzen.«

Die Absage der Veranstaltung im Thalia-Kino offenbare »einen beunruhigenden politischen Druck auf alle, die den Genozid in Gaza kritisieren«, urteilt die BSW-Landesvorsitzende Friederike Benda am Dienstag. »Wer Antisemitismus wirklich bekämpfen will, kann nicht gleichzeitig berechtigte Kritik an einem Genozid unterdrücken«, erklärt sie. Das Vorgehen Büttners untergrabe das Vertrauen in staatliche Institutionen und gefährde fundamentale demokratische Rechte wie Versammlungs-, Kunst- und Meinungsfreiheit. Für Benda, deren Partei in Brandenburg gemeinsam mit der SPD regiert, stellt sich die Frage, ob Büttner seine Kompetenzen als Landesbeauftragter überschreitet.

»Wir sind irritiert, dass Herr Büttner in seiner Funktion als Antisemitismusbeauftragter des Landes Brandenburg Druck auf Kunst- und Kulturräume ausübt und Absagen von Veranstaltungen forciert.«

Iris Burdinski Linke-Kreisvorsitzende

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