Frauen an Hochschulen: Ohne Sicherheit keine Gleichstellung

Trotz wachsender Zahl von Professorinnen bleiben Hochschulen ein Ort der Ungleichheit

Fast jede dritte Professur wird in Deutschland derzeit von einer Frau besetzt.
Fast jede dritte Professur wird in Deutschland derzeit von einer Frau besetzt.

Die gute Nachricht zuerst: In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der Anteil von Frauen in der Professorenschaft mehr als verdoppelt. Laut den am Dienstag vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten hatte dieser im Jahr 2004 noch bei 14 Prozent gelegen. Zum Jahresende 2024 waren von den 52 100 Professor*innen an Hochschulen in Deutschland 30 Prozent Frauen.

Womit wir bei der weniger erfreulichen Botschaft wären. Denn obwohl der Frauenanteil langsam steigt, kann auf der höchsten Stufe der akademischen Laufbahn längst keine Rede von einer geschlechtergerechten Verteilung sein. »Wenn es so weitergeht, dauert es noch Jahrzehnte, bis eine Gleichstellung erreicht ist«, sagt Andreas Keller, Vorstandsmitglied und Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule und Forschung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Dabei sieht es zu Beginn einer wissenschaftlichen Karriere noch ganz anders aus: Am Anfang des Studiums sind Frauen in der Überzahl. Doch ihr Anteil nimmt ab, je höher die Stufe der akademischen Leiter ist. Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, waren im Wintersemester 2024/25 52 Prozent der Studienanfänger*innen Frauen, bei den abgeschlossenen Promotionen lag der Anteil im Prüfungsjahr 2024 noch bei 46 Prozent. Bei der Habilitation, der höchstrangigen Hochschulprüfung, betrug er 36 Prozent.

Zwar gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Fachrichtungen: In den Geisteswissenschaften waren Ende 2024 44 Prozent der hauptberuflichen Professuren mit einer Frau besetzt – in den Ingenieurwissenschaften waren es gerade einmal 17 Prozent. Doch dass Frauen häufiger als Männer aus dem wissenschaftlichen Betrieb »herauströpfeln«, ist ein fächerübergreifendes Phänomen.

»Wir fordern Dauerstellen für Daueraufgaben.«

Andreas Keller GEW-Vorstandsmitglied

Fachleute sprechen von einer »Leaky Pipeline«, also einer »undichten Leitung«. Gründe dafür gibt es viele. Der wohl gewichtigste hat mit den schlechten Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb zu tun. Zwischen Doktorarbeit und Professur liegen Jahre der Unsicherheit: Die wenigen Professorenstellen sind hart umkämpft, Selbstausbeutung ist quasi Pflicht, der Wohnort nur bedingt frei wählbar – und vor allem die Beschäftigungsverhältnisse wirken abschreckend. Befristete Verträge sind die Regel, oft werden sie über längere Zeiträume in Kettenverträgen aneinandergehängt. Eine angemessene Familienplanung: schier unmöglich.

Ermöglicht werden derartige Arbeitsbedingungen durch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das ein Sonderarbeitsrecht für den Hochschulbetrieb regelt. Die Kampagne #IchBinHanna erhöhte ab 2021 den Druck auf die Politik, das WissZeitVG zu reformieren. »Eine Reform würde auch helfen, die Gleichstellung voranzutreiben«, ist sich Gewerkschafter Keller sicher.

Im Koalitionsvertrag hat Schwarz-Rot eine Novellierung des Gesetzes bis Mitte 2026 angekündigt. »Wir verbessern die Arbeitsbedingungen für Forschende, Lehrende und Studierende nachhaltig, machen Karrierewege verlässlicher und bilden dies in der Förderung des Bundes ab«, heißt es darin. Doch bis jetzt sind keine Entwicklungen dahingehend bekannt. Das Forschungsministerium arbeite an einem Reformentwurf, schreibt »Table Media«. Dieser solle zwar längere Mindestlaufzeiten vorsehen, allerdings deute die immer kürzer werdende verbleibende Zeit eher auf ein »Reförmchen« als auf eine umfassende Novellierung des Gesetzes.

Andreas Keller sieht den Zeitplan aktuell noch nicht gefährdet – ein sich anbahnender Minimalkonsens sei schnell erreichbar. Doch der Hochschulexperte mahnt: »Wenn es dabei bleibt, ist es völlig unzureichend.« Die GEW setzt sich indes für die Abschaffung des Gesetzes ein. »Wir fordern Dauerstellen für Daueraufgaben«, so Keller.

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Ein Impuls in diese Richtung kam im Sommer auch vom Wissenschaftsrat, der Bund und Länder zu Fragen der Weiterentwicklung des Hochschulsystems berät. In einem Positionspapier fordert dieser eine grundlegende Reform der Personalstrukturen im deutschen Wissenschaftssystem. Befristungen solle es dabei hauptsächlich noch bei Promotions- und Projektstellen geben.

Die GEW hat sich positiv zu diesem Vorstoß geäußert, wenngleich Keller kritisiert, dass das WissZeitVG in dem Positionspapier keine Rolle spielt und nichts dazu gesagt wird, wer die Reform durchsetzen soll. Das habe zwar die Einigung auf radikale Forderungen ermöglicht, gleichzeitig aber auch deren baldige politische Umsetzung unwahrscheinlich gemacht.

Angesichts der nach wie vor widrigen Arbeitsbedingungen stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu den Fortschritten in der Gleichstellung im akademischen Betrieb gekommen ist. Eine große Rolle spielt dabei wohl das »Professorinnenprogramm 2030«. Das Programm besteht seit 2008 und gewährt Hochschulen mit vielversprechenden Gleichstellungskonzepten Anschubfinanzierungen für die Erstberufung von Wissenschaftler*innen auf unbefristete Professorenstellen. Die Koalition hat angekündigt, dieses Programm zu stärken. Bislang wurden laut Forschungsministerium über 900 Professuren gefördert.

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