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EU-Asylrecht: Rechtsaußen-Träume werden wahr
EU-Innenminister einigen sich auf verschärfte Regeln im Asylsystem
Im kommenden Jahr könnte EU-Gesetz werden, was vor zwei Jahren noch Fantasien von Rechtsaußen-Politiker*innen wie Giorgia Meloni waren. Am Montag einigten sich in Brüssel zunächst die Innenminister der Europäischen Union auf Details der neuen »Rückführungsrichtlinie« und die Ausgestaltung des sogenannten Solidaritätsmechanismus unter den Mitgliedstaaten. Die Regelungen sind die letzten Bausteine bei der Umsetzung des neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas), auf das sich das Staatenbündnis im April 2024 geeinigt hatte.
Nun muss noch das EU-Parlament zustimmen, wo insbesondere die Frage der »Rückkehrzentren« umstritten ist. Zumindest Vertreter aus dem Lager der Linken, Sozialdemokraten und Grünen wenden sich dagegen, weil die neue Richtlinie mutmaßlich gegen nationale und internationale Gesetze und Menschenrechte verstößt.
EU-Pläne verletzten Grundrechte
Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, kritisierte, mit Umsetzung der Pläne drohten massive Verletzungen von Grundrechten. Gemeinsam mit mehr als 60 deutschen und internationalen Organisationen wie dem Europäischen Flüchtlingsrat (ECRE), Human Rights Watch, Caritas Europa und Ofxam hat Pro Asyl vergangene Woche in einer Stellungnahme auf die Gefahren des Kompromissvorschlags der dänischen Ratspräsidentschaft aufmerksam gemacht.
»Neben vielen Widerlichkeiten ist die Abschiebung in Lager an den europäischen Außengrenzen das wohl dreckigste Mittel, schutzsuchende Menschen loszuwerden.«
Özlem Alev Demirel Mitglied des EU-Parlaments (Linke)
Kritik kommt auch von Mitgliedern des Europaparlaments. So warnte die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel gegenüber »nd«: »Unverhältnismäßig lange Abschiebehaft und erhebliche Einschränkungen der Grundrechte werden nicht dazu beitragen, dass mehr ausreisepflichtige Menschen abgeschoben werden.« Die Pläne zur Einrichtung von »Rückkehrzentren« in Nicht-EU-Staaten bezeichnet Sippel als »haarsträubend«. EU-Kommission und Mitgliedsstaaten überböten sich »in der Aushöhlung der Grundrechte«. Zudem seien »Effektivität und Nachhaltigkeit der vorgeschlagenen drastischen Maßnahmen in keiner Weise belegt«, so Sippel.
Neue Regelung führt zu mehr Ablehnungen
Die Innenminister*innen bezeichnen ihre Einigung hingegen als Meilenstein. Die neue Rückführungsrichtlinie sieht unter anderem vor, dass die EU-Länder sich auf eine gemeinsame Liste von »sicheren Herkunftsstaaten« einigen. Das sind Länder, bei denen davon ausgegangen wird, Menschen drohe dort keine Verfolgung, weshalb deren Asylanträge in der Praxis gar nicht mehr geprüft werden. Die Liste soll um mehrere Staaten erweitert werden.
In der Konsequenz wird dies zur Ablehnung von Asylanträgen insbesondere marginalisierter Personen wie aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität diskriminierter oder verfolgter Menschen führen. Am Freitag hatte auch der Bundestag beschlossen, dass sichere Herkunftsländer künftig per Rechtsverordnung bestimmt werden können. Bisher musste darüber im Parlament entschieden werden.
Zudem soll die Zahl der sicheren Drittstaaten – also von Transitländern, die Menschen auf der Flucht durchqueren – per Deklaration erhöht werden. Hinzu kommt eine Schwächung der sogenannten Prüfung zur Nichtzurückweisung an den Außengrenzen. Die EU ist eigentlich zur Einhaltung des völkerrechtlichen Prinzips der Nichtzurückweisung (Non Refoulement) von Menschen in Länder verpflichtet, in denen ihnen unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Schon jetzt wird gegen die Genfer Konvention verstoßen
Mit den bereits seit Langem stattfindenden Zurückweisungen an den Außengrenzen wird dieser Grundsatz, der 1951 in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschrieben wurde, regelmäßig verletzt. Mit den neuen Regelungen sollen diese Pushbacks faktisch legalisiert werden. Zudem soll der rechtliche Rahmen für die Einrichtung der »Rückkehrzentren« in Drittstaaten geschaffen werden, nachdem Großbritannien und Italien mit ähnlichen Versuchen an nationalen Gerichten gescheitert waren. Zudem macht die Richtlinie neue repressive Maßnahmen gegen abgelehnte Asylbewerber*innen möglich, unter anderem Hausdurchsuchungen und Fußfesseln. Auch soll die Abschiebehaft ausgeweitet werden, potenziell auf unbestimmte Zeit.
Scharfe Kritik an den Ministerbeschlüssen übt auch die Linke-Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel. »Was von den Innenministern und EU-Kommissar Magnus Brunner als vertrauensbildenden Maßnahme gepriesen wird, ist nichts anderes als ein weiterer Schandfleck auf der Werte-Weste der EU«, sagte sie im Gespräch mit »nd«. Die Beschlüsse vom Montag seien »der nächste Schritt zur faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl«. Neben »vielen Widerlichkeiten, wie der Sanktionierung von Geflüchteten« sei die »Abschiebung in Lager an den europäischen Außengrenzen das wohl dreckigste Mittel, Menschen loszuwerden, die Zuflucht suchen vor Krieg, Hunger, Unterdrückung oder Verfolgung«, empört sich die Politikerin.
Und während man sich geeinigt habe, Länder wie Griechenland, Italien, Polen oder Bulgarien besser bei den Asylverfahren zu unterstützen, habe Bundesinnenminister Alexander Dobrindt bereits kundgetan, dass Deutschland weder mehr Menschen aufnimmt noch mehr Geld an die genannten Staaten zahlt, konstatierte Demirel. »So weit reicht die christliche Nächstenliebe zur Weihnachtszeit wohl dann doch nicht.«
Dobrindt glaubt, dass Menschen freiwillig nach Syrien gehen
Bereits im März 2025 hatte die EU-Kommission einen ersten Entwurf für massive Verschärfungen der Rückführungsregeln vorgeschlagen. Dass nun noch härtere Gesetze beschlossen werden sollen, ist auch auf deutschen Druck zurückzuführen. Im kommenden Sommer soll das Paket in Kraft treten. Innenminister Dobrindt äußerte am Rande der Verhandlungen, die EU wolle bald auch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien ermöglichen sollen, wo nun bereits so viele Menschen »freiwillig« zurückgingen. Tatsächlich gehen viele, weil ihnen nach der Aussetzung des Familiennachzugs für subisidiär Schutzberechtigte verwehrt wird, ihre Eltern oder Kinder nach Deutschland zu holen.
Die Bundesregierung treibt derweil die Umsetzung der Geas-Reform in nationales Recht voran. Der Republikanische Anwält*innenverein und die Neue Richter*innenvereinigung kritisieren, dass die schwarz-rote Koalition dabei »einen besonders restriktiven Weg« gewählt habe. So will die Regierung Camps für Flüchtlinge im Dublin-Verfahren einrichten und den Zugang zu Rechtsberatung erschweren.
EU-weit werden jedes Jahr Tausende Menschen in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Trotzdem handelt es sich dabei nur um einen kleinen Teil der abgelehnten Asylantragsteller*innen. Allein in Deutschland scheitern die meisten Abschiebungen daran, dass sie an sich ein ineffizientes Verfahren mit hohem Verwaltungsaufwand sind. Von mehr als 44 400 versuchten Abschiebungen gelangen 2024 nur rund 11 800.
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