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»Gefällt es euch nicht? Unterhalte ich euch nicht?«
Nein! Karlen Vesper bedauert den Ausgang des Arena-Auftritts von Friedrich Merz in der ARD
Man sah ihn nicht röchelnd darniederliegend, hingestreckt von bohrenden Fragen. Friedrich Merz musste nicht mit Harnisch, Helm und Kurzschwert die Arena der ARD betreten, kam in feinem Zwirn und Lackschuhen und verließ den Ort unversehrt. Es floss kein Blut am Montagabend in der namentlich an die Wettkampfstätte der Gladiatoren im Alten Rom angelehnten Sendung. Obwohl es durchaus geharnischt zuging.
Berufssoldat Nils vermutet, dass er nicht älter als 40 werde ob der Kriegstreiberei und wollte vom Kanzler wissen: »Wie wollen Sie junge Menschen darauf vorbereiten, dass man eventuell früh stirbt?« Noel, aus eben jener Generation: »Warum soll ich für ein Land kämpfen, das mir nicht das Gefühl gibt, dass es für mich kämpft?!« Eine ältere Dame, Bettina aus Dresden, beklagte grenzenlose Aufrüstung, zitierte Nato-Chef Mark Rutte, die westliche Militärallianz sei Russland »unendlich überlegen«: 55 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben werden von Nato-Staaten getätigt. »Welche Steigerung soll es eigentlich noch geben?« Die verschwendeten Milliarden würden anderswo dringend gebraucht: zur Belebung der Infrastruktur und zum Erhalt des Sozialstaates. Was in der Folge aus dem Publikum Vertreter diverser Berufe und aus diversen sozialen Schichten bekräftigten, ob Handwerker, Weinbauer, Gastronom, Krankenschwester und Rettungssanitäter, Lehrerin oder alleinerziehende Mutter und Witwe. Merz indes wiederholte sich: »Wir müssen uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen.« Er betonte, Deutschland müsse die stärkste kontinentale Militärmacht werden. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht schloss er nicht aus.
Auch auf die Klage von Mira, Medizinstudentin aus NRW, seine Stadtbild-Äußerung spalte die Gesellschaft, blieb Merz stur: »Ich glaube, jeder, der guten Willens war, wusste, was ich damit meinte.« Sein Nachsatz: »Ich hätte vielleicht früher sagen sollen, was ich damit konkret meine«, kann man schwerlich als Selbstkritik bezeichnen, wie einige Medienvertreter devot-lobend hervorzuheben versuchen. Michalo aus Gelsenkirchen jedenfalls hat den Kanzler offenbar sehr wohlverstanden: Ihn ärgern auch die »Gestalten, die durch unsere Städte, unsere Parks laufen, mit Messern, in Freibädern Menschen anpöbeln und ekelig rüberkommen«. Merz versicherte dem zornigen jungen Mann, dass man unter seiner Regentschaft fleißig weiter abschieben werde. Hinsichtlich einer effektiven Brandmauer gegenüber der AfD blieb er dementsprechend vage, spekulierte lediglich mit Prozenten von Wählerstimmen. Zu erfahren war zudem, dass Visionen des Sauerländers Sache nicht sind. Merz verwies auf einen sozialdemokratischen Vorgänger im Amte, Helmut Schmidt, der dereinst empfahl: Wer Visionen habe, möge einen Arzt aufsuchen.
Der Kanzler gab sich in der Arena letztlich wie Gladiator Maximus: »Gefällt es euch nicht? Unterhalte ich euch nicht? Seid ihr nicht deshalb hier?« Viel zu viel Kopfnicken. Kein Daumen runter. Keiner, der da aufstand und verkündete: »Deine Zeit des Selbstlobs ist bald vorbei, Kaiser!«
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