nd-aktuell.de / 10.12.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Faire Preise nicht in Sicht

Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Kassen auf Rekordhoch – neue Regulierung nötig

Ulrike Henning
In den Apotheken werden immer häufiger hochpreisige Arzneimittel abgegeben. Noch sind die Zuzahlungen für Kassenpatienten gedeckelt.
In den Apotheken werden immer häufiger hochpreisige Arzneimittel abgegeben. Noch sind die Zuzahlungen für Kassenpatienten gedeckelt.

Die Arzneimittelpreise steigen seit Jahren und somit auch die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dafür. Dieser Trend setzte sich auch 2024 fort. Im vorigen Jahr gaben die Kassen fast 60 Milliarden Euro für Medikamente aus, nach den Kosten für Krankenhausbehandlungen der zweitgrößte Posten.

Für die Regulierung von Arzneimittelpreisen in Deutschland gibt es einige Instrumente. Zum Beispiel Rabatte, die Hersteller den Krankenkassen gewähren müssen, außerdem Festbeträge für bestimmte Medikamente und das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (Amnog) von 2011. Aber all das kann den kontinuierlichen Anstieg der Ausgaben in diesem Bereich für die gesetzliche Krankenversicherung dennoch nicht aufhalten. So haben sich seit 2011 diese Ausgaben verdoppelt. 2024 stiegen sie im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent. In den ersten drei Quartalen 2025 wurde erneut ein Plus von sechs Prozent erreicht.

Insbesondere die Krankenkassen selbst haben ein Interesse an neuen Regulierungsansätzen und versuchen, Politik und Öffentlichkeit von deren Notwendigkeit zu überzeugen. Das wurde am Dienstag erneut deutlich, als in Berlin der »Arzneimittel-Kompass 2025« vorgestellt wurde. Herausgegeben wird der Sammelband vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (Wido). Übertitelt war er in diesem Jahr mit dem Motto: »Die Preisfrage: Wege zu fairen Lösungen«.

In Sachen Fairness bringt AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann die patentgeschützten Medikamente[1] ins Spiel. Zwar entfielen auf diese im Jahr 2024 nur rund sieben Prozent der im Bereich der GKV insgesamt verordneten Tagesdosen, aber dafür mussten etwa 32 Milliarden Euro aufgewendet werden, also 54 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben[2]. Im Prinzip haben weder Reimann noch andere Kassenvertreter ein Problem mit angemessenen Preisen, also auch nicht mit hohen Preisen für Medikamente mit einem hohen Nutzen. »Das Problem ist aber, dass dieser Nutzennachweis allzu häufig fehlt«, stellt die AOK-Chefin fest.

Der Marktzugangspreis ist laut Amnog frei wählbar und oftmals überhöht. So werden diese hohen Preise über das erste halbe Jahr am Markt hinaus quasi mitgenommen. Auch weil »Unternehmen zunehmend Umgehungsstrategien verfolgen, mit denen sie den Zusatznutzen (gegenüber schon vorhandenen Therapien) nicht nachweisen müssen, aber dennoch extrem hohe Preise aufrufen können«.

Eine Umgehungsvariante sind die Orphan Drugs, also Medikamente für seltene Erkrankungen. Diese sind unterhalb einer Umsatzschwelle von 30 Millionen Euro pro Jahr von einer umfassenden Nutzenbewertung freigestellt. Diese ist ansonsten ein halbes Jahr nach Markteintritt fällig und beeinflusst die Verhandlung der Erstattungspreise. Das funktioniert aber in vielen Fällen nicht. Auch wenn die 30 Millionen längst überschritten sind, gelinge die Preisreduktion nicht mehr, beklagt Reimann.

Auch Patienten und Ärzten fehlt die Transparenz dazu, welchen tatsächlichen Nutzen die Medikamente haben.

»Das ist nicht nur teuer für die Beitragszahlenden«, so die Kassenvertreterin. Auch Patienten und Ärzten fehlt die Transparenz dazu, welchen wirklichen Nutzen die Medikamente haben. Die AOK-Gemeinschaft sieht als Lösung unter anderem vor, dass solche Arzneimittel mit unsicherem Nutzen künftig nur in qualifizierten Zentren (unter anderem für Krebserkrankungen) eingesetzt werden sollen. Dort könnten weitere Daten zu ihrem Nutzen erhoben werden, daran wiederum wären Erstattungspreise zu koppeln.

Auch bei der freien Preiswahl für das erste halbe Jahr nach Markteintritt sollte es Änderungen geben, denn diese Amnog-Regel sei »weder fair noch wirtschaftlich«, insistiert Reimann. Zudem sei auch den Herstellern klar, dass das Gesetz novelliert werden müsse. In welche Richtung das gehen würde, ist noch unklar. Die Pharmapolitik der Bundesregierung[3] scheint sich das Motto der Branche zu eigen gemacht zu haben, diese zur Leitwirtschaft zu erheben. Das sollte laut Reimann aber nicht dazu führen, dass die bereits »blendend verdienende Pharmaindustrie von allen Effizienzanstrengungen, von allen Sparmaßnahmen in der GKV ausgenommen wird«.

Für einen neuen Ansatz bei der Regulierung der Arzneimittelpreise könnte es sinnvoll sein, die Kosten der Hersteller genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf EU-Ebene wäre hier der Artikel 57 der neuen Arzneimittelrichtlinie zu nutzen, denn dieser sieht eine Meldepflicht für öffentliche Beiträge zur Forschung und Entwicklung in diesem Bereich vor. Laut Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment, auch Autorin des »Arzneimittel-Kompass 2025«, gibt es in jeder Entwicklungsphase von Medikamenten spezielle Förderinstrumente. Das beginnt bei der Forschungsförderung, die an Universitäten und andere Institutionen fließt, geht über den Zugang zu Patienten in der klinischen Forschung bis hin zur regulatorischen Unterstützung von Zulassungsbehörden. Überall fließen öffentliche Gelder zum Nutzen künftiger Pharmagewinne.

Wild kritisiert explizit, dass sich die Industrie derzeit die Intransparenz bei den öffentlichen Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung zunutze mache, um den Mythos aufrechtzuerhalten, dass sie dafür ganz allein Unsummen ausgebe. Die Allgemeinheit sollte für ihre Investitionen Gegenleistungen erhalten, so die österreichische Politikwissenschaftlerin: »etwa offene Lizenzen oder Rückflüsse bei hohen Umsätzen – und faire Preise«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192227.pharmazie-innovative-medikamente-als-systemsprenger.html?sstr=Arzneimittelpreise
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195608.arzneimittel-pharma-am-laengeren-hebel.html?sstr=Amnog
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182856.industriepolitik-patientendaten-im-angebot.html?sstr=Amnog