Marx verglich das Kapital mit »toter Arbeit«, die »nur dadurch zum Leben erwacht, dass sie – wie ein Vampir – lebendige Arbeit aussaugt, und umso lebendiger wird, je mehr sie diese aussaugt«. Diese Metapher hat nichts von ihrer Aktualität eingebüßt: Selten erschien das Kapital so gierig und aufgebläht wie heute.
Das belegen Daten des jüngsten Berichts des World Inequality Lab, laut denen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung mehr »verdienen« als die restlichen 90 Prozent. Der ärmere Teil verfügt über weniger als 10 Prozent des globalen Gesamteinkommens. Das ist eine extreme Einkommenskonzentration.
Der Trend ist beim Vermögen derselbe: Die reichsten 10 Prozent verfügen über drei Viertel des weltweiten Vermögens, während die ärmere Hälfte nur 2 Prozent besitzt. Noch schlimmer: Die reichsten 0,001 Prozent, das sind weniger als 60 000 Multimillionäre, kontrollieren mittlerweile dreimal so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit. An der Spitze dieser ultraprivilegierten Elite besitzen allein 3028 Milliardäre die Rekordsumme von 16,1 Billionen US-Dollar – 2 Billionen mehr als vor einem Jahr.
Dieses räuberische Verhalten hat sich in den letzten Jahrzehnten in erstaunlichem Tempo beschleunigt. Seit den 90er Jahren ist das Vermögen der Milliardäre exponentiell gewachsen. Dies ist eine logische Folge des seit den frühen 80er Jahren weltweit beobachteten starken Rückgangs des Anteils der Wertschöpfung, der an die Arbeitnehmer ausgeschüttet wird.
Die an Aktionäre ausgeschütteten Dividenden sind sprunghaft gestiegen – auf Kosten von Investitionen und Arbeitsplätzen. Infolgedessen hat eine Handvoll Einzelpersonen beispiellose wirtschaftliche und finanzielle Macht angehäuft, während Milliarden von Menschen weiterhin ihre grundlegendsten Bedürfnisse nicht befriedigen können.
Eine solche Verzerrung ist nicht tragbar. Denn diese Ordnung ist nicht nur ungerecht, sondern auch ineffizient und gefährlich. Sie stiftet Unruhe, untergräbt Demokratien, spaltet Gesellschaften und schürt Krisen und Konflikte. Ungleichheit ist kein Naturgesetz, sondern das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen, die es zu revidieren gilt. Um diese verkehrte Welt wieder in Ordnung zu bringen.
Dieser Text ist am 9. Dezember in unserem Partnermedium »L’Humanité« (Frankreich) erschienen.[1] Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196168.armut-und-reichtum-ungleichheit-ist-kein-naturgesetz.html