nd-aktuell.de / 15.12.2025 / Kultur

Monostruktur im Kopf

Der konservative Lokal­politiker kriegt Schnapp­atmung beim Anblick von »Mono­strukturen« in der Fuß­gänger­zone. Mono ist hier aber nur die Denkweise

Thomas Blum
Wenn nur noch mono auf die Welt geblickt wird, kommt CDU-Lokalpolitik dabei raus.
Wenn nur noch mono auf die Welt geblickt wird, kommt CDU-Lokalpolitik dabei raus.

»Innenstadtleitbild«! »Innen-Stadt-Leit-Bild«! Ein Wort wie ein paar Peitschenhiebe. Ein sehr deutsches Wort, in dem sich gleich zwei Urwünsche der Ureinwohner Deutschlands verstecken: die Sehnsucht nach nicht infrage zu stellender Autorität (leiten, Leitfigur, Leitkultur), die einen repräsentiert und die einem das Denken abnimmt, und der diffuse Wunsch nach einer »Ordnung und Sauberkeit« (das Merz’sche »Stadtbild«), die durch den Ausschluss oder die Tilgung alles vermeintlich Fremden, Ungewohnten und Disparaten hergestellt werden soll.

Die Göttinger CDU, so berichtete die »Taz« vergangene Woche, möchte das Göttinger »Innenstadtleitbild aktualisieren«. Hinter solch abgefeimtem Technokratensprech verbirgt sich immer, das weiß man mittlerweile, etwas Hässliches. Ganz ähnlich wie bei dem Politikerwort »Reformen«/»reformieren«: Sobald dieses aus Politikermund erklingt, weiß man, dass Schlimmes bevorsteht.

Verräterisch an der Sache ist: Andere »Monostrukturen« als die von Migranten betriebenen Läden scheinen der Göttinger CDU vollkommen schnuppe zu sein.

Die CDU wünscht sich in der Göttinger »City« – so lautet in tristen deutschen Kleinstädten, die einander allesamt ähnlich sind, stets die euphemistische Bezeichnung für die innerstädtische Fress-, Sauf- und Konsummeile –, wo einige Migranten Döner-Imbissrestaurants betreiben, weniger »Monostrukturen«. Anders formuliert: Dort sind der CDU zu viele Döner-Buden. Die gegenwärtige Gewerbe-Struktur in der Gegend sei »ungesund«, teilte der CDU-Ratsfraktionschef Olaf Feuerstein mit. Eine eigenwillige Wortwahl, die darauf hindeutet, dass Herr Feuerstein anscheinend berufliche Tätigkeiten und Wirtschaftszweige in »kranke« und »gesunde« aufteilt.

»Weitere neue Dönerläden, Nagelstudios, Wettbüros und Barbershops gelte es zu regulieren« – so gibt das »Göttinger Tageblatt« Feuersteins Vorhaben wieder. »Die Häufung ähnlicher Nutzungen« in der sogenannten »Dönermeile« solle »vermieden« werden, so heißt es in holprigem Beamtendeutsch. Man beabsichtige, »die Innenstadt als attraktiven, vielfältigen und zukunftsfähigen Stadtraum zu sichern«. Der von der CDU aufgefahrene bürokratische Begriffsapparat ist beachtlich: Allerlei muss angeblich demnächst »aktualisiert«, »gesteuert«, »reguliert« oder »angepasst« werden. Das klingt beinahe, als wolle die CDU in Göttingen die von ihr so hochgeschätzte freie Marktwirtschaft abschaffen und stattdessen einen Fünfjahresplan installieren.

Verräterisch an der Sache ist: Andere »Monostrukturen« als die von Migranten betriebenen Läden scheinen der Göttinger CDU vollkommen schnuppe zu sein. Dabei weisen deutsche Städte zuhauf »Monostrukturen« auf. Dass sich durch die Göttinger Innenstadt täglich endlose Autokolonnen wälzen, die permanent Lärm und Abgase verursachen und jedes freie Fleckchen zuparken, ist zum Beispiel eine eindeutige »Monostruktur«.

Liegt nicht auch hier eine »Häufung ähnlicher Nutzungen« vor, wenn sämtliche Straßen fast ausschließlich von stinkenden und knatternden Autos genutzt werden? Könnte man hier nicht sogar von einer fußgänger- und radfahrerfeindlichen »Automeile« sprechen, in welcher beißender Rauch, penetrantes Motorengedröhn und Übelkeit erregender Benzingeruch die Atmosphäre verunreinigen und einem selbst kleine Alltagsfreuden wie der Genuss einer schmackhaften türkischen Dönerfleischteigtasche durch giftige Autoabgaswolken vermiest werden?

Der »Taz« zufolge herrscht in der Göttinger City »eine völlig chaotische und von der Stadt zu verantwortende Verkehrssituation. Stadtbusse, Autos, Radfahrer:innen und Fußgänger:innen müssen sich hier auf engstem Raum aneinander vorbeidrängeln.« Chaos, dreckschleudernde Autos, streßerzeugender Dauerkrach. Und regelmäßig kommt es zu Unfällen. Ist diese röhrende Blechlawine, in der man sich nur noch brüllend und unter Inkaufnahme schwerer Atemwegserkrankungen verständigen kann, etwa das, was man sich in der CDU unter einem »attraktiven, vielfältigen und zukunftsfähigen Stadtraum« vorstellt?

Dass sich zuverlässig in nahezu jeder deutschen Fußgängerzone mindestens eine McDonald’s-, eine H&M-, eine Rossmann- und eine Douglas-Filiale finden, dürfte im Übrigen auch Zeichen einer innerstädtischen »Monostruktur« sein. Das sind allerdings offenbar »Monostrukturen«, an denen die CDU sich genauso wenig zu stören scheint wie an der extrem monostrukturellen Ausrichtung ihrer eigenen Politik.

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht ein klein wenig multistruktureller gedacht und geplant werden sollte.

Sicher ist jedenfalls: Mit einer ausgeprägten Monostruktur in den Köpfen haben wir es nicht nur bei der Göttinger CDU zu tun. Bereits vor über einem Jahr wutbürgerte in der stockkonservativen Kleinstadt Heilbronn am Neckar der dortige Gemeinderat an derselben Frage herum, nämlich der, ob es in der armseligen Konsumzone, die auch in Heilbronn bockstur »City« genannt wird, »zu viele Dönerläden, Barbershops und Nagelstudios gibt« (»Heilbronner Stimme«).

Welcher Grad an Verrohung und welche Barbarengesinnung in diesem Landstrich herrschen, zeigt sich unter anderem daran, dass sich damals niemand aus der autochthonen Bevölkerung an der obszönen Wortneuschöpfung »Döner-Obergrenze« zu stören schien. Stattdessen ließen die erwartbaren Reaktionen der ausländerkritischen Bevölkerungsteile nicht lange auf sich warten: »Heilbronn verloddert immer mehr zur Kebap-Hochburg.«