nd-aktuell.de / 16.12.2025 / Gesund leben

Dünne Datenlage, kontroverse Debatte

Transgenderfragen: Neuseeland setzt die Neuverschreibung von Pubertätsblockern aus

Robert Lenz
Piktogramme weisen auf Toiletten für Männer, Frauen und Allgender/Transgender hin.
Piktogramme weisen auf Toiletten für Männer, Frauen und Allgender/Transgender hin.

Neuseeland setzt wegen der unklaren wissenschaftlichen Studienlage Verschreibungen von Pubertätsblockern für junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie – also dem Konflikt zwischen Geburtsgeschlecht und empfundener Geschlechtsidentität[1] – aus. »Wir führen stärkere Schutzmaßnahmen ein, damit Familien darauf vertrauen können, dass jede Behandlung klinisch fundiert ist und im besten Interesse des jungen Menschen oder Kindes liegt«, betonte Gesundheitsminister Simeon Brown.

Die Neuregelung trete zum 19. Dezember in Kraft und gelte zunächst bis zum Ende der großen klinischen Studie des King’s College London. Das werde voraussichtlich im Januar 2031 sein. Die Medikamente würden jedoch weiterhin für diejenigen erhältlich sein, die bereits in Behandlung sind. 2023 wurden laut Daten des Gesundheitsministeriums 113 neuseeländische Jugendliche mit Pubertätsblockern behandelt.

Pubertätsblocker stoppen die Pubertät vorübergehend, indem sie die Produktion von Geschlechtshormonen hemmen. Sie werden zur Behandlung einer frühzeitigen Pubertät oder bei Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie eingesetzt, um ihnen Zeit zu verschaffen, ihre Geschlechtsidentität zu erkunden.

Für Transjugendliche in Deutschland sind Pubertätsblocker grundsätzlich erlaubt. Aber ihre Anwendung ist streng geregelt und erfolgt nur auf Grundlage medizinischer Indikationen durch Fachärzte. 2024 forderte der Bundesärztetag die Bundesregierung auf, Pubertätsblocker nur im Rahmen von wissenschaftlichen Studien zuzulassen. Kritiker sahen diese Forderung jedoch als Rückschlag für transsexuelle Jugendliche.

Die Debatte über den Einsatz von Pubertätsblockern wird unter medizinischen, sozialen, politischen und ethischen Gesichtspunkten höchst kontrovers geführt. In diesem Jahr veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) neue, umfassende Leitlinien für die klinische Praxis bei Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie im Kindes- und Jugendalter. Die Leitlinien richten sich an Ärzte und Psychotherapeuten in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Ziel ist eine qualitätsgesicherte Diagnostik und Behandlung. Diese müsse auf aktuellem wissenschaftlichen Stand und fachlichem Konsens basieren und beachten, dass die wissenschaftliche Evidenz in vielen Bereichen (wie Langzeitfolgen) noch begrenzt ist. Eine Indikation solle daher »eine ethisch reflektierte auf den Einzelfall bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung enthalten, sowohl der vorgesehenen Behandlung als auch des Nichteinleitens beziehungsweise des Abwartens bis zu einem späteren Zeitpunkt«.

Die größte psychiatrisch-psychotherapeutische Fachorganisation Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) kritisiert Teile der Leitlinie. Insbesondere ist sie gegen die Empfehlung, medizinische Eingriffe allein auf Wunsch der betreffenden Person ohne datenbasierte Langzeitbelege zu ermöglichen.

Die Debatte über Pubertätsblocker läuft in vielen Ländern[2]. Finnland und Schweden haben der Verschreibung Riegel vorgeschoben. Norwegen plant, dem Beispiel seiner Nachbarn zu folgen. In den USA[3] haben zuletzt mindestens 16 Bundesstaaten die Verschreibung von Pubertätsblockern untersagt. Frankreich lässt das nur auf Basis eines psychologischen Gutachtens zu.

Wissenschaftliche und ärztliche Befürworter und Kritiker sind sich einig, dass es noch zu wenige Studien über viele Aspekte der Therapie[4] gibt. Vertreter einer vorsichtigen und kontrollierten Vergabe dieser Medikamente betonen jedoch, diese würden Jugendlichen helfen, psychischen Stress bei starker Geschlechtsdysphorie zu reduzieren und ihnen Zeit für eine Klärung verschaffen. Einige Fachleute argumentieren, eine völlige Verweigerung medizinischer Optionen bei belastenden Geschlechtsinkongruenzen wäre selbst ein ethisches Problem.

Der neuseeländische Berufsverband für Transgendergesundheit Aotearoa (PATHA) warnte vor »verheerenden Auswirkungen« der neuen Regelung. Präsidentin Jennifer Shields sagte, die Verordnung sei »aus politischen Gründen und nicht aufgrund klinischer Erkenntnisse oder bewährter Verfahren« erlassen worden. Das werde die psychische Gesundheit der Betroffenen verschlechtern.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171486.internationaler-frauentag-trans-rechte-in-den-usa-strikt-normiert.html?sstr=geschlechtsdysphorie
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168105.transfeindlichkeit-in-england-das-leid-englischer-trans-kinder.html?sstr=Pubertätsblocker
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165313.lgbtiq-rechte-willensstark.html?sstr=Pubertätsblocker
  4. http://www.nd-aktuell.de/artikel/1186533.selbstbestimmung-nadia-broenimann-wuenscht-sich-detransition.html?sstr=Pubertätsblocker