nd-aktuell.de / 19.12.2025 / Kultur

Brause­pöter: Weder Hippie noch normal

Deutschlands älteste Punk­band in Original­besetzung – Brause­pöter – bringt ihr drittes Album seit der Re­union raus

Luca Glenzer
Die Hippies von einst sind heute die Normalos. Nur Brauspöter sind immer noch Brausepöter.
Die Hippies von einst sind heute die Normalos. Nur Brauspöter sind immer noch Brausepöter.

Brausepöter ist die wohl älteste Deutschpunk-Band in Originalbesetzung. Mit »Frei von all dem hier« erschien kürzlich ein neues Album.

Die Älteren werden sich erinnern: 1976 – also vor knapp 50 Jahren – ging ein Gespenst um in Europa. Nein, nicht das Gespenst des Kommunismus. Aber eines, das sich in den Folgejahren als ähnlich angsteinflößend für die selbst ernannte Mitte der Gesellschaft erwies: das des Punk.

Den Szenezugehörigen sagte man vieles nach: schlechte Frisuren, schlechten Geruch, schlechte Zähne, schlechte Arbeitsmoral. Also im Grunde genommen alles, wovor es die Jugend damals wie heute zu bewahren gilt. Was für einen Teil der Jugend, die im besten Falle ja nicht so werden will wie die Alten, wiederum erst mal sehr attraktiv klang.

Die Normalos sind geblieben. Mit ihnen spielt Lück heute in seiner Freizeit Tennis.

Jugendlich war damals auch Martin Lück, der im Westfälischen Rietberg lebte. Mit seinem Freund Klaus Feldmann (Drums) und seinem Cousin Bernd Hanhardt (Bass) gründete er 1978 als Sänger und Gitarrist die Band Brausepöter –auf Westfälisch bedeutet das so viel wie Dummkopf. Bis 1982 war die Band aktiv. Inmitten des kommerziellen Hypes der Neuen Deutschen Welle versank sie in der Versenkung. Ein damals aufgenommenes Album blieb unveröffentlicht.

Vor gut 15 Jahren beschloss das Trio dann, wieder gemeinsam zu spielen. Eigenen Angaben zufolge sind sie seitdem die älteste Punkband in Originalbesetzung im deutschsprachigen Raum. Überprüfen lässt sich das nicht, aber selbst szeneinterne Urgesteine können das nicht widerlegen.

Erst kürzlich veröffentlichten Brausepöter ein neues Album. »Frei von all dem hier« heißt es, benannt nach einem Song aus dem Frühwerk der Band. Was dieses »dem« ausmacht, von dem man sich frei wähnt, bleibt vage. Und das soll wohl auch so sein. Früher waren es die Hippies und Normalos. Erstere gibt es heute nicht mehr. Die Normalos aber sind geblieben. Mit ihnen spielt Lück heute in seiner Freizeit Tennis. Wenn sie ihn fragen, wie seine Musik klinge, zucke er mit den Schultern. Wie soll er das erklären?

Auch das meint die Freiheit, die im Titel des Albums postuliert wird: frei von Begriffen. Er habe schon längst aufgehört, sich zu fragen: »Können wir das so machen? Ist das noch Punkrock?«, so Lück. Wenn er eine Idee habe, die er gut finde, setze er sie einfach um.

Dass gerade die Punkszene längst nicht immer so frei ist, wie sie zu sein glaubt, weiß er nur zu gut. 1980 etwa spielten Brausepöter auf dem von Alfred Hilsberg organisierten Zick-Zack-Festival in der Markthalle Hamburg. Dort seien sie vom Publikum angerotzt worden. Lück wurde mit einer Bierdose am Kopf getroffen und erlitt eine Platzwunde.

Der aus dieser Zeit stammende Song »Keiner kann uns ab« war also keine halb ironische Koketterie, sondern nüchterne Realitätsbeschreibung. Das darin zum Ausdruck kommende Gefühl des Außen-vor-Seins ist eines von mehreren Kennzeichen, die das Früh- mit dem Spätwerk der Band verbinden. »Dies ist nicht mein SUV/ Und dies ist nicht mein Haus/ Ich bin ein Fremder hier«, sang Lück vor sechs Jahren im Stück »Fremder« vom Vorgängeralbum »Nerven geschädigt«. Mit leicht angepasster Semantik hätte das Stück so auch 1980 gespielt werden können.

Seitdem sind die gesellschaftlichen Zustände in mancher Hinsicht milder geworden, Brausepöter aber nicht. Denn auch auf »Frei von all dem hier« spiegelt sich die charakteristische Mixtur aus Wut, Fremdheitsgefühlen, Selbstironie und subtiler Alltagsbeobachtung. »Du stehst eben mitten im Leben/ Und tust so, als würdest du alles ganz locker nehmen/ Alle sollen sehen, du hast keinerlei Problem/ Und bald wird’s für ein paar Tage auf die Aida gehen«, heißt es etwa in »Nicht noch mehr davon!«. Mehr bellend als singend trägt Lück seine Texte vor – und erinnert in Sachen Stimmfarbe und Intensität ein ums andere Mal an seinen Weggefährten Peter Hein von den Fehlfarben.

Wüsste man es nicht besser, könnte man angesichts von Songs wie diesem, »Muschelvergiftung« oder »St. Etienne« auch denken, das Album sei auf dem Mist einiger geschmackssicherer Endzwanziger gewachsen. Was mutmaßlich vor allem daran liegt, dass man den drei Protagonisten die unbedingte Identifizierung mit ihrer Musik anhört. Nichts klingt hier nach halb garer Beschäftigungstherapie inmitten einer grassierenden Midlife-Crisis.

»Manche Songs sind pure Nostalgie/ Ich muss sagen, die mochte ich noch nie«, singt Lück an anderer Stelle im Song »Abhängig von Musik« – ein wenig subtiler Fingerzeig auf das Gros seiner Altersgenoss*innen. Immer wieder höre er von diesen, das sei doch Mist mit den Samples und Loops in der heutigen Musikwelt. Das könne er nicht ausstehen, dann suche er das Weite. Doch der Grat zwischen Nostalgie und Gegenwartsbezug ist mitunter ein schmaler: Auch auf Brausepöter-Konzerten wollen viele die alten Evergreens wie »Bundeswehr« oder »Immer der gleiche Scheiß« hören. Die spiele die Band dann auch, ebenso aber die neueren Stücke.

Mit »Frei von all dem hier« hat die Band nun seit ihrer Reunion 2010 insgesamt drei neue Alben veröffentlicht, hinzu kommt eine EP. Damit sind Brausepöter neben Bands wie Fehlfarben, Bärchen und die Milchbubis, Östro 430 oder Family 5 Teil einer großen Welle von Bands, die sich in den späten 70ern und frühen 80ern im Grenzbereich von Punk, Post Punk und NDW bewegten und in den 2000ern neu formierten. Doch die bis heute in Rietberg ansässige Band war 2010 eine der ersten Formationen, die wieder aktiv wurden. Damals war das einige Jahre später aufkommende Post-Punk-Revival noch in weiter Ferne.

Auch das ist ein Indiz dafür: Brausepöter setzen eigene Akzente und warten nicht darauf, bis der Wind sich in ihre Richtung dreht. Denn mit dem Wind der Normalität zu fahren, ist vielleicht bequemer, aber auch langweiliger. Damals wie heute.

Brausepöter: »Frei von all dem hier« (NWE)