nd-aktuell.de / 19.12.2025 / Sport

Katja Kraus: »Keine Denkverbote« im Fußball der Frauen

Die 55-Jährige im Interview über den Weg der Frauen-Bundesliga in die Unab­hängig­keit

Interview: Frank Hellmann
Eintracht Frankfurt, hier mit Kapitänin Laura Freigang gegen den HSV, ist ein Motor des Unabhängigkeitsprozesses der Frauen-Bundesliga.
Eintracht Frankfurt, hier mit Kapitänin Laura Freigang gegen den HSV, ist ein Motor des Unabhängigkeitsprozesses der Frauen-Bundesliga.

Wie haben Sie in Frankfurt die Gründungsversammlung der Frauen-Bundesliga[1] FBL e.V. empfunden?

Als freudiges Ereignis! Dieser Schritt in die Unabhängigkeit ist eine riesige Chance zur weiteren Professionalisierung des Frauenfußballs[2] und zur Selbstbestimmung derjenigen, die sich dafür engagieren, Spielerinnen und Funktionärinnen und Funktionäre. Aus der Selbstverantwortung entsteht Selbstbewusstsein.

Noch steht die Grundsatzfrage im Raum, ob der Deutsche Fußball-Bund[3] (DFB) überhaupt beteiligt wird. Er wäre der logische Partner für ein Joint Venture, sagen viele.

Es braucht eine Konstruktion, die schnell handlungsfähig ist und die die FBL als Start-up versteht. Es ist eine fantastische Aufgabe, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für diesen wachsenden Sport zu etablieren. Es geht um die Gestaltung eines komplett neuen Angebotes. Man könnte künftig mit Playoffs spielen oder mit zwölf Spielerinnen – es gibt so viel Gestaltungsraum und hoffentlich keine Denkverbote. Deshalb wäre es auch ein Hindernis, von Beginn an eine Konstellation zu wählen, die immer den nächstmöglichen Kompromiss sucht und nicht zulässt, groß und neu zu denken.

Wäre es eine Option, sich ohne den DFB auf den Weg zu machen?

Ich bin für die beste Option im Interesse des Frauenfußballs – und das ist eine, die imstande ist, jetzt schnell Tempo aufzunehmen und die offenen inhaltlichen Fragen zu beantworten.

Sie sind über Ihr Netzwerk mit Eintracht Frankfurts Vorstandschef Axel Hellmann[4] verbunden. Sein mitunter breitbeiniges Auftreten ärgert viele beim DFB.

Axel Hellmann hat sich in den vergangenen Jahren stark für Frauen im Fußball engagiert. Er ist ein sehr verlässlicher Partner für die Sache und streitbar, wenn wir unterschiedliche Standpunkte haben. In diesem FBL-Prozess empfinde ich ihn als konstruktiv und verbindend. Er versucht mit hohem persönlichen Einsatz, die Frauen-Bundesliga im Konsens voranzubringen. Und ich nehme ihm absolut ab, dass er seine Rolle als Geburtshelfer einer Sache versteht, die dann von anderen zum Erfolg geführt werden kann.

Die Frauen-Bundesliga wird insbesondere gegenüber den Profiligen in England und den USA den Anschluss verlieren, wenn nicht ein schnelles Wachstum einsetzt.

Diese Beispiele sollten eher Vorbild sein und Anspruch. Der Frauenfußball hat in den vergangenen Jahren eine sehr erfreuliche Entwicklung genommen. Jetzt geht es darum, das ganze Potenzial auszuschöpfen. Dazu braucht es neben der richtigen Organisationsstruktur die bestmöglichen Menschen im Management der Liga. Der Frauenfußball soll nicht nur mitgedacht werden, sondern verdient den absoluten Fokus und die Liebe und Überzeugung derjenigen, die sich damit beschäftigen.

An Sichtbarkeit mangelt es dem Frauenfußball nicht mehr. Zwei Streamingdienste übertragen jede Bundesligapartie, die Länderspiele laufen inzwischen zur Primetime bei ARD und ZDF. Also geht es in erster Linie um höhere Erlöse?

Es gibt so viele Themen, die Wachstum ermöglichen. Angefangen bei der Identität: Welcher Fußball soll es sein, für welche Werte steht der Frauenfußball in Zukunft? Bis hin zum Produkt: Wie kann Frauenfußball noch attraktiver sein? Wie entwickelt sich das TV-Produkt im Vergleich zum Stadionerlebnis? Alles nicht in Abgrenzung, sondern vielmehr mit der Lust daran, etwas Eigenes zu gestalten und dafür Erfahrungen aus dem Männerfußball zu nutzen. Dazu sollten auch unbedingt die Spielerinnen eine Haltung entwickeln, es ist ihr Spiel.

In ihrer Heimatstadt Hamburg spielen die HSV-Frauen in Ermangelung einer geeigneten Spielstätte durchweg im Volksparkstadion. Der richtige Weg?

Es gelingt dem HSV, auch mit 6000 Zuschauerinnen im Volksparkstadion eine schöne Fußball-Atmosphäre zu schaffen. Die Westtribüne ist regelmäßig voll besetzt. Es ist eine Stimmung mit besonderem Charme. Ich glaube, es kommen mehr Menschen zu den HSV-Fußballerinnen, weil sie in diesem Stadion spielen. Für einen anderen Verein eignet sich womöglich eher ein kleines Stadion. Jeder Klub muss seinen individuellen Weg finden. Je unterschiedlicher die Ansätze sind, desto attraktiver ist die Liga.

Bis zur Frauen-EM 2029[5] sind es nur dreieinhalb Jahre. Was muss bis dahin passieren?

Es ist großartig, diese Veranstaltung in Deutschland zu haben, und das wird dem Frauenfußball in den Jahren bis dahin Rückenwind geben. Doch die Entwicklung passiert nicht von allein. Dass es die erste profitable Frauen-EM der Geschichte werden soll, ist richtig, aber das kann nicht alles sein. Ich wünsche mir eine größere Vision für diese Europameisterschaft.

Sie waren bis 2011 beim Hamburger SV lange die einzige Frau im Vorstand eines Fußball-Bundesligisten. Jetzt übernimmt Tatjana Haenni am 1. Januar als CEO bei RB Leipzig. Das hat Sie sehr gefreut, oder?

Das war eine fantastische Nachricht und natürlich ein ganz besonderes Signal für viele Frauen, in den Fußballorganisationen und weit darüber hinaus. Ich habe mich vor allem darüber gefreut, dass die Ernennung beinahe geräuschlos über die Bühne gegangen ist. Das gibt mir Hoffnung, dass Tatjana Haenni für ihre Arbeit bewertet wird.

Was zeichnet die Schweizerin aus?

Sie hat Welt- und Europameisterschaften für Fifa und Uefa organisiert, in der Schweiz viel für den Verband bewirkt, in den USA eine große Liga gemanagt. Von ihren Erfahrungen wird Red Bull Leipzig ganz sicher profitieren. Wie schön, dass es die Wertschätzung für Tatjanas Fähigkeiten gibt, obwohl sie bislang immer im Frauenfußball gearbeitet hat. Ich bin überzeugt, je stärker der Frauenfußball wird, desto durchlässiger wird der Fußball insgesamt. Ich glaube fest daran, dass es bald die erste Bundesligatrainerin im Männerfußball gibt – und natürlich weitere CEOs. Einfach, weil es viele Frauen gibt, die es können.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196122.fussball-kampf-um-die-frauen-bundesliga-klubs-versus-dfb.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193989.fc-union-berlin-klotzen-und-grosskotzen-unions-fussballerinnen-und-ihr-praesident.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195223.fussball-bundesliga-der-frauen-dfb-und-klubs-streiten-ueber-wachstumsplan.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1179637.frauenfussball-reformkonzept-fuer-den-fussball-der-frauen-an-den-dfb-uebergeben.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195492.fussball-dfb-will-mit-em-der-frauen-neue-massstaebe-setzen.html