Frank Zappa war ein Innovator der Rockmusik, der auch die E-Musik energisch erobern wollte. Doch wer sollte seine Werke aufführen? Kent Nagano war 1983 der erste Dirigent, der sich daran versuchte. »Ich weiß, dass es für Frank Zappa als kreative Persönlichkeit wichtig war, Bedingungen zu schaffen, um sich seine Werke nicht nur in Gedanken vorzustellen, sondern sie auch aufgeführt zu erleben«, berichtete mir Nagano im Jahr 2000, als ich ihn für das Radio interviewte. »Es war für ihn ziemlich frustrierend, seine Stücke von Ensembles präsentiert zu bekommen, die technisch einfach zu schlecht für eine adäquate Umsetzung waren. Das war eine Quelle furchtbarster Enttäuschung.«
Frank Zappa wurde am 21. Dezember 1940 geboren. In der Hippiezeit der 60er Jahre wurde er mit seiner Band, den Mothers of Inventions, und einer dadaistisch-theatralen Form von Rockmusik berühmt. »Freak out!« war der programmatische Titel ihres ersten Albums, das 1966 erschien. In den 70er Jahren entwickelte Zappa den Wunsch, auch als Komponist zeitgenössischer Musik ernst genommen zu werden. Ursprünglich Schlagzeuger, hatte er Anfang der 60er kurzzeitig Komposition studiert, setzte dann aber auf Rockmusik mit Avantgardeanspruch.
Als er am 4. Dezember 1993 starb, hatte er endlich erreicht, was er sich sehr lange erträumt hatte: ein »berauschendes Erlebnis« seiner Kompositionen außerhalb seiner eigenen Band, gespielt von einem renommierten Orchester – dem Ensemble Modern bei den Frankfurter Festspielen im September 1992. Zappa, schon stark gezeichnet von seiner Krebserkrankung, erhielt 20-minütige stehende Ovationen, als das Ensemble sein mehrsätziges Werk »Yellow Shark«, teilweise von ihm selbst dirigiert, beendet hatte. Es war sein letzter öffentlicher Auftritt. Die besten Aufnahmen der acht Konzerte von Frankfurt, Berlin und Wien erschienen ein Jahr später in einem exquisiten CD-Schuber.
»In dem Spiel, das Neue Musik heißt, muss jeder ein Risiko eingehen. Der Dirigent geht ein Risiko ein, die Musiker gehen ein Risiko ein, und das Publikum geht ein Risiko ein – aber das größte Risiko geht der Komponist ein« fasste Zappa damals seine Eindrücke zusammen.
Er wusste sehr genau, wovon er sprach, es kostete ihn nämlich jede Menge Zeit und Geld, bevor ihm ein erstes zufriedenstellendes Ergebnis überhaupt gelang. Ignoriert man die bruchstückhafte Einbindung des Londoner Royal Philharmonic Orchestra für Zappas total verrückten Musikfilm »200 Motels« von 1971, eine verwirrende Satire über den Tourneestress einer Rockband, dann scheiterten seine Ambitionen 1976 mit den Wiener Symphonikern, 1980 mit dem Residentie Orkest Den Haag und kurz darauf auch mit zwei polnischen Orchestern. Stets ging es um vertragslose Zusicherungen, logistische Unwägbarkeiten, Finanzierungs- und Kompetenzstreitigkeiten. »Diese europäischen Orchester sind die Nägel zu meinem Sarg«, meinte Zappa.
Die Misserfolge schienen auf den ersten Blick im Januar 1983 ad acta gelegt, als der US-amerikanische Dirigent Kent Nagano mit dem London Symphony Orchestra (LSO) bereit war, Zappas Partituren zu proben und aufnehmen zu lassen. Doch es kam anders. Zappa: »Es war ein Desaster. Das LSO gab seine Konzerte in einer miserablen Konzerthalle namens Barbican. Die Bühne war zu klein für ein 107-köpfiges Orchester, und so wurden die überzähligen Musiker (hauptsächlich Bratschenspieler) nach Hause geschickt – bei voller Bezahlung.«
Kent Nagano bestätigt gewisse unkomfortable Bedingungen: »Es handelte sich um ein Londoner Theater, wo die Heizung nicht richtig funktionierte, es war kalt, staubig und dreckig. Und es gab keine Kantine, kein Restaurant. Man ging also raus in die Kälte und musste eine Weile bis zum nächsten Lokal laufen. Am ersten Probentag und auch an den nächsten Tagen organisierte Frank einen italienischen Catering-Service mit wirklich wundervollen Gerichten. Also mussten die Musiker gar nicht rausgehen.«
Für Zappa war das eine reine Präventivmaßnahme, damit sich die Pausen der Musiker durch die Pub-Besuche nicht zu sehr verlängerten, denn »als die Musiker zurückkehrten, um den nächsten Satz zu spielen, waren viele von ihnen breit«.
Kent Nagano hält das für übertrieben: »Frank Zappa war immer jemand, der eine unglaubliche Fähigkeit besaß, bestimmte Geschichten aufzubauschen, so dass sie provozierender oder interessanter wirkten. In meiner Erinnerung gab es keinerlei Konflikte. Manchmal gab’s vielleicht mal die skeptische Frage, ob er dieses oder jenes wirklich von ihnen verlange.«
Bekanntermaßen war Zappa ein absoluter Perfektionist. Schon in seiner Band The Mothers of Invention legte er größten Wert auf Professionalität im Studio und im Konzert – wer seinen Part nicht beherrschte oder Drogen nahm, flog raus. Auch als klassischer Komponist kam es für ihn nicht infrage, den Musikern seine Partituren einfach auszuhändigen. Er verstand sich als Komponist, Toningenieur, Aufnahmeleiter und Produzent gleichzeitig.
Dass diese ständige Kontrolle der Spielweisen durch den besserwisserischen Komponisten nicht nur Musiker nervt, sondern auch den Dirigenten, ist nicht verwunderlich. Der sehr freundliche Kent Nagano jedenfalls betont: »Die Musiker empfanden eine große Faszination für Frank Zappa, und das sorgte am Ende für eine sehr warme Atmosphäre. Am letzten Abend, den wir gemeinsam verbrachten, war er so offen und gelöst, wie es vorher nicht der Fall war. Er fühlte sich als Mensch sehr wohl. Denn es war das erste Mal in seinem Leben, dass er seine Partituren hörte, zumindest auf diesem Level. Und er war überglücklich, seine eigene Musik so gut gespielt zu hören.«
Die Aufnahmen mit dem LSO wurden auf mehreren Alben veröffentlicht, denn sie wurden von Zappa nachträglich bearbeitet und auch korrigiert. Angeblich hat er nach dieser Kollaboration 15 Angebote von Kammermusikensembles, ein Stück für sie zu schreiben, abgelehnt, denn »mir schauderte bei dem Gedanken, was sie aus meiner Musik machen könnten, wenn ich nicht dabei wäre«.
Auch Pierre Boulez dirigierte Musik von Frank Zappa. 1984 kam es in Paris unter seiner Leitung zur Live-Premiere von Zappas »The Perfect Stranger«. Für Zappa war das kein Vergnügen: »Ich hasste die Premiere. Die Proben waren lausig. Boulez musste mich förmlich auf die Bühne zerren, um mich vor dem Publikum zu verbeugen. Ich saß während des Konzerts auf einem Stuhl seitlich der Bühne und konnte sehen, wie der Schweiß von den Stirnen der Musiker spritzte.«
Pierre Boulez hatte Frank Zappa gebeten, ein Stück für sein Ensemble Intercontemporain zu schreiben. Zappa hatte die Musik von Boulez schon als junger Mann bewundert. Er glaubte, dass Boulez genau der richtige Mann für eine E-musikalischen Ambitionen wäre: »Wenn ich Pierre Boulez Partituren schicke, dann deshalb, weil er qualifizierter ist als ich, sie zu dirigieren. Es sind schwierige Partituren, und er ist ein ausgezeichneter Techniker im Dirigieren eines Orchesters.«
Doch die Musiker von Boulez betrachteten Zappa zwar als großen Innovator der Rockmusik, zweifelten aber anscheinend an seiner Fähigkeit, komplexe Musik schreiben zu können.
Zappa hingegen schätzte Boulez insbesondere wegen dessen legendärer rhythmischer Präzision, die ihm für die exakte Aufführung seiner komplexen Kompositionen notwendig erschien. Doch dann hatten Boulez und sein Ensemble in seinem Fall unerwartete Probleme damit, »schwierige Rhythmen synchron zu spielen«, wie Zappa anschließend monierte. Und so kam es zu Zappas berühmtem Statement: »Meine Band ist besser!«
1989 saß er mit Boulez auf einem Podium der Universität von Los Angeles und erklärte, immer noch auf eine perfekte Aufführung von »The Perfect Stranger« zu warten, das sei das wichtigste Ziel in seinem Leben. Außerdem wollte er ein Weltorchester aus Musikern mit ethnischen und elektronischen Instrumenten für die Weltausstellung 1992 in Sevilla gründen. Eine ähnliche Idee hatte übrigens auch Jimi Hendrix kurz vor seinem Tod.
Bis heute sind Zappas anspruchsvolle Kompositionen weniger bekannt als seine Rocksongs. Doch Kent Nagano glaubte, dass sie ihren Weg ins reguläre Konzertprogramm finden werden. Er prophezeihte, dass man ihn »als seriösen Künstler ansehen wird, der seine eigene Syntax und seine eigene Semantik etabliert hat«. Er habe eine eigene Sprache, »seine unverwechselbaren Frank-Zappa-Worte« und eine eigene Ästhetik entwickelt. »Es wäre ein Traum, alle Komponisten hätten diese Ernsthaftigkeit und Energie.« Zappa war besessen davon, seine Musik zu verfeinern: »Was er innerhalb seines Mediums tat, war fundamental.«
Der Autor interviewte Kent Nagano im Jahr 2000 für den ORB (Vorläufer des RBB). Die Zitate von Frank Zappa stammen aus »Frank Zappa: I am the American Dream«, der Biografie von Peter Occhiogrosso (München 1991), Promomaterial und aus dem Internet.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196330.musik-frank-zappa-meine-band-ist-besser.html