nd-aktuell.de / 19.12.2025 / Politik

Solidarität auf eigene Kosten

Die EU scheitert erneut mit ihrem Plan, russische Staatsgelder zu entwenden

Daniel Säwert
In Zeiten knapper werdender Hilfe wird der Winter für die Menschen nahe der Front zu einer Herausforderung.
In Zeiten knapper werdender Hilfe wird der Winter für die Menschen nahe der Front zu einer Herausforderung.

90 statt 180 Milliarden, aus der eigenen Tasche statt aus Geldern der russischen Zentralbank. Nach monatelangem Streit hat sich die Europäische Union auf einen Kompromiss zur Finanzierung der Ukraine für die nächsten zwei Jahre[1] verständigt. Jedoch nicht, wie es sich insbesondere Bundeskanzler Merz und EU-Chefin Ursula von der Leyen vorgestellt hatten.

Denn der Plan, das eingefrorene Geld der russischen Zentralbank zu entwenden und in einen »Reparationskredit[2]« für die Ukraine umzuleiten, ist erst mal gescheitert. Zu groß war der Widerstand von Ländern wie Italien und Frankreich, aber insbesondere von Belgien, wo der Großteil des russischen Gelds liegt. Stattdessen also der zinslose Kredit über 90 Milliarden Euro für die kommenden zwei Jahre. Nur falls Russland später nicht für Kriegsschäden aufkommt, sollen in der EU eingefrorene russische Vermögenswerte für die Rückzahlung herangezogen werden.

Russland droht mit Klagen

Die EU-Staaten schafften damit, was Experten in den vergangenen Jahren nicht gelungen war: die völkerrechtlich fragwürdige Diebestour Brüssels aufzuhalten. »Der Plan, eingefrorene russische Staatsvermögen für Reparationskredite zu verwenden, ist nach Völkerrecht absolut illegal und ein eklatanter Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit«, sagte Robert Volterra, Partner der Londoner Kanzlei Volterra Fiesta der »Berliner Zeitung«. Und erklärte: »Wenn ein Staat mithilfe von Verordnungen das Staatsvermögen eines anderen Staates beschlagnahmt, ist das ein ebenso schwerwiegender Verstoß gegen das Völkerrecht, wie wenn ein Staat mit Waffengewalt das Staatsgebiet eines anderen Staates besetzt.« Auch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« sprach offen von einem geplanten Völkerrechtsbruch.

»Im Falle einer Beschlagnahmung seiner Vermögenswerte wird sich Russland vor Gerichten verteidigen, deren Zuständigkeit nicht von politischen Entscheidungen abhängt.«

Wladimir Putin Russischer Präsident

Dass Russlands Präsident Wladimir Putin bei seiner »Heißer Draht«-Veranstaltung am Freitag vor »ernsthaften Folgen« warnte, sollte die EU doch auf das Geld zugreifen, war eine erwartbare reflexhafte Reaktion. »Diebstahl ist die heimliche Entwendung von Eigentum, aber hier will man dies offen tun. Das ist Raub«, sagte Putin die juristischen Definitionen etwas verbiegend. Russland werde seine Interessen mit allen verfügbaren Mitteln verteidigen, so der Staatspräsident weiter. »Im Falle einer Beschlagnahmung seiner Vermögenswerte wird sich Russland vor Gerichten verteidigen[3], deren Zuständigkeit nicht von politischen Entscheidungen abhängt«, versprach Putin.

Wirtschaft warnt vor Folgekosten für Deutschland

Zuvor hatte sein Chefunterhändler Kirill Dmitrijew frohlockt: »Ein tödlicher Schlag für Ursula, Merz, Starmer und die Kriegshetzer: Sie haben ihr politisches Kapital verschwendet, indem sie illegale Maßnahmen gegen die russischen Reserven vorangetrieben haben – und sind gescheitert.«

Angesichts der brisanten Situation brach die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer in Moskau ihr Schweigen, das sie sich nach Kriegsbeginn auferlegt hatte, und warnte vor den unabsehbaren Folgen vor allem für Deutschland und deutsche Unternehmen, die wie kaum jemand anderes in Russland investiert hatten. Verschiedenen Berechnungen soll es sich um rund 100 Milliarden Euro handeln. »Die deutschen und alle europäischen Steuerzahler werden zweimal zahlen. Zum einen, weil Russland sich wegen der Causa Euroclear an europäischen Vermögenswerten in Russland schadlos halten werde. Zum anderen, weil das russische Vermögen bei Euroclear ja nur als Absicherung für das Reparationsdarlehen diene und Russland im Falle eines Friedens wohl nicht zu Reparationszahlungen gezwungen werden könne: Dann zahlen die Steuerzahler wieder«, resümiert AHK-Chef Matthias Schepp die Lage.

Merz redet von Erfolg, den es nicht gibt

Soweit ist es noch nicht gekommen. Trotz seines gescheiterten Plans sprach Bundeskanzler Merz von einem »großen Erfolg«, der eine Brückenlösung sein soll, bis man sich endlich die russischen Gelder nimmt. Merz versucht seine Niederlage als Sieg zu verkaufen. Wochenlang hatte Berlin die Alternativlosigkeit des Entwendungsplans propagiert und einen Plan B ausgeschlossen. Jetzt ist er doch da.

Aus der Ukraine kommen dafür selbstverständlich warme Worte. Präsident Wolodymyr Selenskyj freut sich über die »bedeutende Unterstützung«, die die Widerstandsfähigkeit seines Landes stärke. Was Selenskyj nicht sagte: Die 90 Milliarden reichen nicht, auch wenn Merz das behauptet. Das machte am Freitag der Parlamentsabgeordnete Jaroslaw Schelesnjak klar. Nach Berechnungen des Internationalen Währungsfonds benötigt die Ukraine in den kommenden zwei Jahren 137 Milliarden US-Dollar. Europas Zusage sind umgerechnet jedoch nur 105 Milliarden. Kiew braucht also weitere Finanzierungsquellen, wie Ukraine Facility oder die Weltbank. Nur dort bekommt man nichts geschenkt. Auch an anderen Enden fehlt das Geld. Für ihren Ukraine Winter Response Plan konnte die UN lediglich 65 Prozent der anvisierten Summe eintreiben, sodass nur eine Million Ukrainer statt 1,7 Millionen humanitäre Hilfe erhalten. Mehr noch haben sich die Spendenaufkommen seit dem ersten Kriegswinter von vier Milliarden US-Dollar auf 2,2 Milliarden 2024 nahezu halbiert.

Schwieriges Treffen in Polen

Die Zahlen zeigen, dass die große und ungebrochene Solidarität, von der vor allem Merz und von der Leyen immer wieder reden, nicht so stark ist, wie man in Berlin und Brüssel propagiert. Neben der zunehmenden Kriegsmüdigkeit in Europa hat auch die ukrainische Führung ihren Teil dazu beigetragen. In der Diskussionen um die Entwendung des russischen Geldes äußerten mehrere Staaten die Sorge, ein nicht unerheblicher Teil der Milliarden könnte im Korruptionssumpf versinken.

Auch das forsche Auftreten Selenskyjs kommt nicht überall gut an. Vor allem im Nachbarland Polen hat die Solidarität zuletzt sehr viele Proben bestehen müssen. Seit dem Amtsantritt des rechtskonservativen Präsidenten Karol Nawrocki kriselte es immer wieder zwischen Warschau und Kiew[4]. Zuletzt ging es unter anderem um die Frage, wer wen zuerst besucht.

Dass Selenskyj, der stets über Polen ausreisen muss, nicht nach Warschau kam, stoß dort böse auf. Ihm werde schon »nicht die Krone vom Kopf fallen«, wenn er in Warschau Zwischenhalt machen würde, hatte Polens Außenminister Radosław Sikorski geätzt. Beim Besuch am Freitag musste sich Selenskyj anhören, dass sein Land aus polnischer Sicht die Hilfe des Nachbarn nicht gebührend zu schätzen wisse.

Selenskyj muss zusehen, diesen unnötigen Nebenschauplatz schnellstmöglich zu befrieden, um sich auf die Abwehr gegen Russland und die Verhandlungen über einen Waffenstillstand und ein mögliches Kriegsende konzentrieren zu können. Bei seinem »Heißen Draht« in Moskau sagte Putin derweil, dass er durchaus Verhandlungsbereitschaft in Kiew sehe, nicht aber in Bezug auf Russlands Forderungen der Übergabe des Donbass. Am Wochenende finden in Miami weitere Gespräche über den Friedensplan von US-Präsident Donald Trump statt.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195898.ukraine-kiew-geraet-in-geldnot.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195660.ukraine-krieg-europa-glaubt-jetzt-auch-einen-friedensplan-zu-haben.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196167.ukraine-krieg-russland-verklagt-euroclear.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1193655.krieg-in-der-ukraine-nawrocki-sorgt-in-polen-fuer-unruhe.html