nd-aktuell.de / 21.12.2025 / Kommentare

Die Rente ist nicht sicher

Alex Demirović über einen vorserst beigelegten Streit in der Bundesregierung

Alex Demirovic
Altersvorsorge – Die Rente ist nicht sicher

Nach der Verabschiedung des schwarz-roten Rentenpakets[1] im Bundestag geht es weiter. Eine Rentenkommission wurde eingesetzt. Alles soll auf den Prüfstand. Weiter wird die Generationengerechtigkeit beschworen, das Ungleichgewicht zwischen immer weniger Einzahlern und immer mehr Anspruchsberechtigten. Nur langsam sickert ins Bewusstsein, dass dieses disproportionale Verhältnis nur für einige Jahre eintreten wird. Schon längst gibt es ein Überangebot an Kita- und Schulplätzen, weil die Geburtenraten zu niedrig sind. Es handelt sich also um ein vorübergehendes Ungleichgewicht.

Es wird so getan, als müssten die jungen Leute vor einer großen bevorstehenden Ungerechtigkeit geschützt werden. Es ist das Argument, die Jungen würden durch die aktuellen Rentenregelungen und die zu erwartenden Staatszuschüsse zur Erhaltung der Renten unverhältnismäßig belastet. Niemand weiß das, denn es handelt sich um Prognosen über die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung und die Besteuerung und die Rentenstruktur. Gäbe es mehr Einzahlende – also Beamte, Selbständige, Mandatsträger*innen –, wären die Einnahmen höher. Würden die Reichen stärker einbezogen, wären die Einnahmen auch höher.

Wenn die Renten jetzt gekürzt werden, dann werden, so ist zu erwarten, auch die Renten zukünftiger Generationen niedriger sein, denn zukünftige Renten schreiben das bestehende Rentenniveau fort. Auch das weiß niemand, denn politisch könnten in Zukunft wohltuende Maßnahmen ergriffen werden, die Einkommen der Renter*innen wieder auf ein erträgliches Maß (von 53 oder 62 Prozent des Durchschnittseinkommens und durchaus nach oben begrenzt) anzuheben und viele Seniorenvorteile wieder einzuführen – etwa Verbilligung beim Öffentlichen Personennahverkehr, bei Konzerten oder in Schwimmbädern und Museen. Das gesagt unter dem Vorbehalt, dass das alles ohnehin entgeldfrei zur Verfügung gestellt werden könnte, weil es der Allgemeinheit dient. Es ist also gar kein Konflikt zwischen Jung und Alt, sondern ein Konflikt unter Älteren und unter Jüngeren. Auch die meisten Jüngeren sollten mit den meisten Älteren ein Interesse an einer guten, öffentlich getragen Rentenversicherung haben.

Es ist also durchaus Demagogie, wenn nun der Vorschlag gemacht wird, dass die Rente an 45 Jahre beitragspflichtige Arbeit geknüpft werden soll. Das ist demagogisch, weil hier die hart arbeitende Bevölkerung gegen die Studierenden ausgespielt wird. Es klingt so, als sei Studieren keine Arbeit.

Es hat sich die neoliberale Sicht durchgesetzt: Das Studium ist eine individuelle Investition, eine allgemeingesellschaftliche Aufgabe, für die bestmögliche Qualifikation zu sorgen. Doch viele der Studierenden arbeiten aber unterhalb der Beträge, die für eine Einzahlung in die Rentenversicherung relevant sind. Die Studierenden verzichten auf Einkommen, die sie durch eine reguläre Erwerbsarbeit vielleicht verdienen würden. Durch ihr Studium entlasten sie den Arbeitsmarkt, sie tragen zu höherer Produktivität und Innovationskraft der Ökonomie, zu mehr gesellschaftlicher Rationalität bei. Oder sagen wir: Sie könnten das, wenn ihre akademische Bildung seriös wäre, was angesichts der Hochschulentwicklung leider nicht zu erwarten ist.

Nach dem Studium vergehen Jahre der Berufseinmündung, was bedeutet: niedriege Einkommen, niedrige Einzahlungen in die Rente. Insgesamt ist die Bildungsrendite für akademische Abschlüsse in den vergangenen Jahrzehnten deutlich nach unten gegangen. Noch bis in die 1990er Jahre wurde die Studienzeit als Ausfallzeit für die Rente angerechnet, was bedeutete, dass die geregelte Studiendauer für die Rente mitberechnet wurde, wenn auch ohne Beiträge. Das alles gilt für die meisten Studierenden.

Anders verhält es sich bei Studiengängen mit Staatsexamen: Medizin, Lehramt, Jura. In diesen Fällen wird ein Teil der Ausbildung vom Staat übernommen, bis ein zweites Staatsexamen absolviert wird. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Promotionsförderung: Viele Förderwerke vergeben entsprechende Stipendien für Forschungen, um zu promovieren oder zu habilitieren. Diese Stipendien sind knapp bemessen und beinhalten in der Regel keine Sozialversicherungsbeiträge, also auch keine Rente. Studium und Promotion können also ohne Weiteres sieben bis acht Jahre beanspruchen. Das ist in vielen Fällen keine verlorene Zeit, sondern entspricht den wissenschaftlichen Notwendigkeiten.

Aber diese Zeit ist für eine Renteneinzahlung verlorene Zeit. Für Studierende bedeutet das, dass sie der Tendenz nach bis ins Alter von Mitte 70 arbeiten müssen, wenn sie abschlagsfrei in die Rente gehen wollen. Wenn eine Wehrpflicht[2] eingeführt werden sollte, dann wird das für die Rentenanwartschaft auch noch eine zusätzliche Rolle spielen. Viele Menschen werden sich also überlegen, ob sie noch studieren werden. Geringere Studierendenzahlen mögen den Interessen der Handwerkerverbände entsprechen, die den hohen Grad der Akademisierung bedauern, weil ihnen die Fachkräfte fehlen. Aber gleichzeitig, so heißt es immer wieder, bedarf die deutsche Wirtschaft gerade des großen Akademikerpotentials.

Demagogisch sind die aktuellen Vorstöße zu einer grundlegenden Rentenreform auch aus einem weiteren Grund. Es soll private Vorsorge geleistet werden. Dazu sollen entsprechend staatlich geförderte Rentenfonds aufgelegt werden. Diese Versicherungen tragen den Arbeitsmarktrisiken nicht Rechnung. Wenn man arbeitslos wird, kann man in diese private Vorsorge nicht angemessen einzahlen. Die Kapitalfonds werden von Unternehmen organisiert und verwaltet. Diese müssen Gewinn machen und an die Aktienbesitzer Erträge auszahlen und Manager teuer entgelten. Im Fall einer größeren Wirtschaftskrise brechen die Erträge und damit auch die Renten ein. Das kann soweit reichen, dass unsicher ist, ob überhaupt noch Renten gezahlt werden können. In diesem Fall muss der Staat einspringen und die Versicherungen und Rentner*innen retten. Der Staat, mithin die Steuerzahler*innen und mithin auch alle Rentner*innen, die von einer öffentlichen, umlagefinanzierten Rente abhängig sind, steht also am Beginn und am Ende des Prozesses.

Schließlich ist besonders infam an einer kapitalgedeckten Rente, dass die Renten durch Anlagen in Aktien oder Derivaten erwirtschaftet werden sollen, also an den Weltfinanzmärkten. Dabei handelt es sich dann um Gewinne, die durch die Unternehmen gemacht werden, die auf Ausbeutung von Natur und Menschen andernorts auf dem Globus gemacht werden. Indirekt über die Finanzmärkte vermittelt werden unsere Rentner finanziert zu Lasten der Menschen, die in anderen Teilen des Planeten um ihre Zukünfte gebracht werden. Wir schauen dann im Fernsehen oder von den Kreuzfahrtschiffen zu, wie in diesen Gesellschaften die Menschen von Unternehmen ausgeplündert, von kriminellen Banden beherrscht, in Kriege gestürzt oder durch ökologische Katastrophen vertrieben werden.

Lange kann dieser Kreislauf nicht funktionieren – so wenig wie die früheren Versuche. In Deutschland und in den USA wurde die Rente auf diese Weise immer wieder gefährdet. Wenn man AfD, CDU/CSU, SPD und Grüne wählt, dann sollte man wissen: Die Rente ist nicht sicher.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196065.rentenstreit-in-der-union-neoliberale-zerstoerungspolitik-bei-der-rente.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196307.bundeswehr-neue-wehrpflicht-dienen-die-gruenen-deutschland.html