Gibt es in der EU tatsächlich noch Politiker, die zumindest den Versuch unternehmen, den Krieg in der Ukraine auf diplomatischem Weg zu lösen[1]? Beim EU-Gipfel vergangene Woche düpierte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron seine Kollegen als er vorschlug, vielleicht doch mal zu versuchen, mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu reden. Das war innerhalb des Staatenbundes seit Kriegsbeginn eigentlich ein Tabu, was lediglich von Schmuddelkindern wie dem Ungar Viktor Orbán gebrochen wurde. Und von Macron selbst, der schon im September 2022 Versuche unternommen hatte.
Schließlich, und da zeigt Macron weit mehr politischen Realitätssinn als das politische Berlin[2], wird Russland nicht verschwinden (auch wenn es so mancher im Bundestag gerne hätte). Zudem laufen die Verhandlungen über ein Kriegsende komplett an den Europäern vorbei.
Zur großen Ungläubigkeit eben jener Europäer gibt sich Putin gesprächsbereit. Bereits in seiner Jahrespressekonferenz am Freitag hatte der Kreml-Chef angedeutet, durchaus mit Macron reden zu wollen. Wenn es den gegenseitigen politischen Willen gebe, könne man das nur positiv bewerten, legte Regierungssprecher Dmitri Peskow am Wochenende gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti nach und präzisierte, die Kontakte dürften nicht zu Belehrungen ausarten.
Ob Macron und Putin wirklich in den kommenden Tagen oder Wochen miteinander reden werden, ist allerdings nicht ausgemacht. In Paris scheint man die Signale aus dem Kreml laut »Le Monde« positiv aufzunehmen. In den kommenden Tagen will die französische Regierung laut der Nachrichtenagentur AFP ein Format für die Wiederaufnahme von Gesprächen treffen.
Macrons Vorschlag scheint durchaus einen Nerv zu treffen. Das hat auch der Russland-Experte Mark Galeotti festgestellt. In Europa mache sich langsam die Meinung breit, dass es einfach nicht funktioniere, Putin als schlechten Menschen zu meiden. Vor allem, wenn die Europäer mit so vielen anderen schlechten Menschen reden und Geschäfte machen, schreibt Galeotti in seiner Kolumne für »The Spectator«.
Galeotti verweist auf den früheren finnischen Präsidenten Sauli Niinistö, der im November vorschlug, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs, wenn sie sich darüber Sorgen machten, dass Trump über ihre Köpfe hinweg mit Putin spreche, selbst mit ihm in Kontakt treten sollten. Eine Idee, die auch der aktuelle finnische Staatschef Alexander Stubb, der mit Sicherheit kein Freund Putins ist, vertritt.
Schließlich müssen die Europäer aktuell in Miami wieder mitansehen, wie die USA und Russland direkt verhandeln[3], während man selbst nur zuschauen darf. Und immerhin scheinen diese Gespräche konstruktiv zu verlaufen, sagt zumindest Russlands Unterhändler Kirill Dmitrijew. Was das genau heißt, wurde bis zum Redaktionsschluss nicht publik.
Ebenso wenig, ob Moskau mit den Ergebnissen aus Miami einverstanden sein wird. Russlands Regierung sei nicht über den Verlauf der Gespräche informiert, sagte Präsidentenberater Jurij Uschakow zu Journalisten. Zugleich stellte er klar, dass der Kreml wohl kaum mit den von der Ukraine und den Europäern eingebrachten Änderungswünschen einverstanden sein dürfte. »Das ist keine Prognose. Ich bin mir sicher, dass die Vorschläge, die die Europäer und Ukrainer eingebracht haben oder einzubringen versuchen, das Dokument definitiv nicht verbessern und die Chancen auf einen dauerhaften Frieden nicht erhöhen«, so Uschakow.
Für die ukrainische Armee bleibt die Lage an der Front weiter äußerst angespannt. Nach Angaben des Osint-Projektes Deep State ist die russische Armee östlich von Myrnohrad vorgerückt. Die umkämpfte Stadt befindet sich mittlerweile komplett in der »grauen Zone«, ist also nicht mehr unter ukrainischer und noch nicht unter russischer Kontrolle. Die rund 1000 sich noch in der Stadt befindlichen ukrainischen Soldaten sollen verschiedenen Berichten zufolge eingekesselt sein. Ihnen droht eine Zermürbungsschlacht und russische Kriegshaft.
Im Norden der Ukraine gibt es neue Kämpfe um das Grenzdorf Hrabowske im Gebiet Sumy. Dort sollen in der Nacht zu Sonntag russische Soldaten eingefallen sein und mehr als 50 ältere Menschen mit über die Grenze genommen haben, berichtete zuerst »Kordon Media«. Im Laufe des Tages bestätigte die ukrainische Armee den Vorgang und präzisierte, dass es sich bei den nach Russland gebrachten Menschen um Einwohner handelt, die zuvor eine Evakuierung ins ukrainische Hinterland abgelehnt hatten.
In der Südukraine bei Odessa meldete die Polizei am Sonntag, dass der Verkehr auf der Brücke von Majaky über den Dnjestr wieder in beide Richtungen fließe. In den Tagen zuvor hatte die russische Armee die strategisch wichtige Brücke mehrfach mit Drohnen beschossen und damit Kritik von ukrainischen Freiwilligen an der eigenen Regierung ausgelöst, die in Person von Präsident Selenskyj einen großen Abwehrkampf für die kritische Infrastruktur angekündigt hatte.
Vor Ort soll das indes ganz anders ausgesehen haben. »Sie sehen überhaupt nichts und schießen nach Gehör«, schreibt der Freiwillige Roman Donik auf Facebook über die Luftabwehr im Gebiet Odessa. Schuld an der Situation sei die Regierung, so Donik. Nach den ersten Angriffen auf die Brücke 2022 sei deutlich geworden, dass die Region von dieser einen Brücke abhängig sei. Allerdings sei nichts unternommen worden. Jetzt könnten die Freiwilligen nichts mehr tun, weil sie von den Behörden abgewimmelt worden seien, schreibt Donik weiter. Russland hat seine Angriffe auf die Region Odessa zuletzt erneut intensiviert und die Hafenstadt in tagelange Stromausfälle bombardiert[4].