Nein, bei mir hängt nicht das Paar am Strand, das der Künstler eigentlich lakonisch »Am Strand« genannt hatte. Das populärste Gemälde von Walter Womacka, 1962 gemalt, als Reprint millionenfach verkauft, zierte ostdeutsche Wohnstuben, Schulen, Kindergärten und Arztpraxen, wurde als Postkarte und Poster vertrieben und schaffte es auch auf eine Briefmarke. Natürlich begegnet man diesem Bild auch in der am vergangenen Mittwoch in den Räumen der Hellen Panke eröffneten Ausstellung zum 100. Geburtstag des Malers. Als Druck in einer Glasvitrine und daneben auf der Titelseite der NBI, der »Neuen Berliner Illustrierten«, einer wöchentlich erscheinenden, auflagenstarken Zeitschrift in der DDR. Der Beliebtheitsgrad des »Paars« verdankte sich keineswegs dem Umstand, dass Partei- und Staatschef Walter Ulbricht fasziniert von diesem war. Nein, das Geheimnis ist die Ruhe und Freundlichkeit, die es ausstrahlt, das Glück einer zart aufkeimenden Liebe, die es ahnen lässt. Seine Hand berührt die ihre noch schüchtern, vorsichtig, unsicher.
Am 22. Dezember 1925 im tschechischen Horní Jiřetín (Obergeorgenenthal) als Sohn eines Gärtners geboren, der früh das zeichnerische Talent seines Sprösslings erkannte und ihn zur Ausbildung als Dekorationsmaler 1940 an die staatliche Schule für Keramik in Teplice schickte, musste wie so viele seiner Generation in den verbrecherischen Krieg der Nazis ziehen. Kaum ein Jahr zu den Okkupationstruppen der Wehrmacht in Belorussland gehörend, folgte im März 1944 panische Flucht vor der Roten Armee gen Westen. Womacka landete in Döberitz, wo er als Statist in Goebbels Propagandafilm »Kolberg« mitwirken musste; die demagogische Reminiszenz an die Verteidigung der Festung unter Gneisenau 1806/07 gegen das napoleonische Heer (Regie: Veit Harlan) sollte Durchhaltewillen bis zum »Endsieg« befördern. Während einer sowjetischen Offensive verletzt, kam Womacka dann in ein Lazarett und schließlich in US-amerikanische Kriegsgefangenenschaft.
Von seiner Familie hörte er lange nichts. Er begann in Braunschweig eine Ausbildung in künstlerischem Handwerk, als er erfuhr, dass Vater, Mutter und seine zwei jüngeren Geschwister nach dem Potsdamer Abkommen wie zigtausend Deutsche Tschechien nach dem Potsdamer Abkommen hatten verlassen müssen und in einem Dorf bei Weimar, Ramsla, gelandet waren. Dort konnte Womacka im Januar 1946 die Seinen wieder umarmen. Und dort lernte er auch die ersten Buchenwaldhäftlinge kennen, deren Erfahrungen den Jungen aus unpolitischem Hause nachhaltig prägen sollten. Interessant: Womacka schien seinen Malerkollegen Willi Sitte, mit dem er Jahrzehnte später den Verband der Bildenden Künstler der DDR leiten würde, zu beneiden, dass dieser, wenig älter als er und unweit der Stadt seiner Kindheit in Most (Brüx) geboren und aufgewachsen einen sozialdemokratischen Vater hatte, der 1921 gar Mitbegründer der KP in Böhmen war. Willi Sitte ist übrigens 1944 in Italien desertiert und hat sich noch den Partisanen, den »Garibaldis« angeschlossen, auch wenn dort die Waffen bald schwiegen.
Womacka studierte ab 1949 an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar, wo er seine große Liebe, »Hanni«, fand, und im Anschluss auch noch an deren Pendant in Dresden. Seine Lehrer hie wie da waren teils Dozenten oder Absolventen des Bauhauses. 1953 wurde Womacka Assistent an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee, avancierte zehn Jahre darauf zum Leiter der Abteilung Malerei und im Jahr, als die Warschauer Vertragsstaaten in die ČSSR einmarschierten, zum Rektor. Das Amt zu übernehmen habe er zunächst gezögert, berichtete Womacka später. Noch vor seiner offiziellen Inauguration im September 1968, er weilte im Ostseeurlaub auf Usedom, in seinem geliebten Loddewin, wo stets wunderschöne, stimmungsvolle Landschaftsbilder entstanden – da wurde er mit dem Fall eines Studenten konfrontiert, der wegen Protestes gegen die Niederschlagung des »Prager Frühlings« relegiert werden sollte. Was dem Künstler damals Gewissensbisse bereitete und doch nach der Wende zu einem Vorwurf gegen ihn erhoben werden sollte. Ähnlich anderen Vorkommnissen, die zu Disziplinarverfahren und Exmatrikulation führten – »wegen Albernheiten ohne Ende, die zu Staatsaktionen aufgeblasen wurden«, wie Womacka rückblickend in seiner Autobiografie schrieb. Beispielsweise wegen Westkontakten. Oder weil eine Studentin halbnackt auf einem Tisch tanzte und eine andere mit einem Westberliner geschlafen hatte. Auch die Biermann-Ausbürgerung 1976 war »so eine Nagelprobe«. Wie kann ein Staat, der sich sozialistisch nennt und antifaschistisch definiert, mit kritischen Bürgern derart umgehen? Zumal angesichts der massenhaften Ausbürgerungen in Deutschland nach 1933 unterm Hakenkreuz.
Hart traf Womacka jedoch vor allem das nach dem Verschwinden der DDR gegen deren Kunst und Künstler erhobene Verdammungsurteil, staatsnah und staatstragend gewesen und darum suspekt zu sein. Auftragskunst. Auftragskunst? Weder die Sixtinische Madonna oder die Sixtinische Kapelle noch die Mona Lisa gäbe es, Raffael, Michelangelo und Leonardo da Vinci nicht durch weltliche wie geistliche Macht gefördert worden wären. Eine Rechtfertigung hatte Womacka eigentlich nicht nötig und doch beharrte er in der seinerzeitigen hitzigen Diskussion darauf, dass es allzu kurzschlüssig sei, Auftragskunst als Propaganda abzukanzeln. Zu allen Zeiten und allerorten leben Künstler von Aufträgen. »In der DDR traten aber nicht Galeristen, Mäzene oder Monarchen als Auftraggeber in Erscheinung, sondern Einrichtungen: Ministerien, Verbände und Institutionen. Selten die Staats- und Parteiführung.«
Und tatsächlich: In der DDR lebte man mit den Bildern von Womacka und vielen seiner Kollegen. Sie waren im öffentlichen Raum präsent. Und sind es teils noch heute, wie Womackas Fries »Unser Leben« am einstigen Haus des Lehrers in Berlin sowie in unmittelbarer Nähe auf dem Alexanderplatz sein »Brunnen der Völkerfreundschaft« oder die drei Bleiglasfenster im Vestibül des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität. Manches indes versank im antikommunistischen oder schlichtweg ignoranten Bildersturmwahn nach 1990, so das Wandbild »Der Mensch gestaltet seine Welt«, das mit dem Abriss des Gebäudes des MfAA, des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, vernichtet wurde. Dieses Los blieb der hochformatigen Fassadenzierde »Der Mensch, das Maß aller Dinge« erspart, die sich ursprünglich am Ministerium für Bauwesen befand und nach dessen sogenanntem Rückbau jetzt an der Friedrichsgracht zu bewundern ist. Marzahn wiederum schmückt sich heute mit den Mosaiken »Frieden« und »Arbeit für das Glück des Menschen«. Womacka war sich auch keineswegs zu fein, eine Arbeit für eine Kinderkrippe oder ein Kombinat zu gestalten, beispielsweise in Eisenhüttenstadt.
Ja, seine Mosaike und Gemälde sind sehr farbenfroh, strahlen zumeist Freude, Harmonie und Zuversicht aus, sind von schier grenzenlosem Optimismus und Menschenliebe beseelt. Selten begegnet man in Womackas Arbeiten die gequälte, geschundene, leidende Kreatur, eher auf seinen Stierbildern. Die mörderische braune Vergangenheit der Deutschen ist bei ihm nicht ausgeblendet, allerdings auch nicht omnipräsent. Der Betrachter ist aufgefordert, Bildelemente zu entschlüsseln, beispielsweise beim »Mädchen mit der Windmühle«, das derzeit im Original in der Galerie der Hellen Panke zu sehen ist. Das große Thema Krieg und Frieden, Sein oder Nichtsein trieb Womacka zeitlebens um. »Inferno« zeugt von der Befürchtung, dass die Menschheit sich selbst auslöschen könnte. Mehrfach malte er ein Mädchen mit Friedenstaube. Generell zitierte sich Womacka, wie viele Künstler, in seinen Werken selbst, griff Motive neu auf. Und natürlich hat auch er mehrere Phasen der künstlerischen Entwicklung durchlaufen, wandelten sich auch bei ihm fortwährend Malstil, Ausdrucksformen und Techniken, gleichwohl sich der Künstler bis zuletzt, bis zu seinem Tod 2010 treu blieb.
Seine Rübenhackerinnen im brandenburgischen Brodowin der 50er Jahre erinnern an Van Goghs geplagte Landarbeiterinnen, während die von Womacka nach dem »Sozialistischen Frühling in der Landwirtschaft« porträtierten Genossenschaftsbäuerinnen frei und selbstbewusst auftreten. Die Collagen zu Erika Steinführer, Aktivistin im Glühlampenwerk VEB Narva, waren ein Auftragswerk des FDGB, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Doch ist auf ihnen die sich mit dem Namen der »verdienten Wicklerin« verbindende, Anfang der 80er Jahre ausgegebene Parole »Jeder liefert jedem Qualität!« nicht offensichtlich. Und beim Zyklus »Gegenstände« wird realsozialistischer Produktionsalltag mit Witz kommentiert: Neben am Haken hängender grober Arbeitsjacke, Schutzbrille und Helm ist eine Aufnahme der Brigade zu sehen und darüber das Nacktfoto einer jungen Frau, von den VEBlern vielleicht ausgeschnitten aus der Nackedei-Rubrik »Funzel« des DDR-Satiremagazins »Eulenspiegel«.
Womacka machte nie einen Hehl daraus, dass er sich als politischer Künstler verstand. »Ich habe zeitlebens Farbe bekannt. Ich bin, seit ich politisch denke, davon überzeugt, dass soziale Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden nicht von einer Gesellschaft gestiftet werden können, in der das Geld Maßstab aller Dinge ist. Ob sich der Kapitalismus nun verschämt ›soziale Marktwirtschaft‹ nennt oder eine demokratische Gewandung trägt: Es ist und bleibt die Diktatur des Geldes«, liest man in seinen Erinnerungen mit dem doppelt zutreffenden Titel »Farbe bekennen« (Das Neue Berlin, 2004). Womacka glaubte an die Veränderbarkeit der Welt. »Wir haben im Osten Deutschlands vier Jahrzehnte eine andere als die gegenwärtige Form gesellschaftlichen Zusammenlebens praktiziert. Als Maler habe ich diesen Vorgang in verschiedener Weise mitzugestalten versucht.«
Nein, bei mir zu Hause hängt nicht das Paar am Strand, sondern eine javanische Tänzerin von Womacka, von der auch Skizzen in der Ausstellung im Prenzl’berg hängen. Meine Tänzerin, ein Mädchen mit großen wachen Augen, vollmundig, trägt einen prächtigen, bunten Kopfschmuck. Freilich nur ein Kunstdruck, erstanden im angesagtesten Kunstgeschäft dereinst in Berlin (Ost), Unter den Linden, und mir von meiner Mutter zur Jugendweihe geschenkt: »Für mein Java-Mädchen.«
Am heutigen Montag, 22. Dezember, ist die Ausstellung zum 100. Geburtstag von Walter Womacka in der Kopenhagener Str. 9 in Berlin-Prenzlauer Berg ab 15 Uhr geöffnet, ab 16 sind dort Dokumentarfilme zum Leben und Werk des Künstlers zu sehen. Ebenfalls zu Womackas Ehren werden heute um 13.30 Uhr in der Marzahner Promenade 38, 12679 Berlin, zwei Info-Tafeln zu den dort befindlichen Wandmosaiken angebracht.
»Ich bin davon überzeugt, dass soziale Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden nicht von einer Gesellschaft gestiftet werden können, in der das Geld Maßstab aller Dinge ist.«
Walter Womacka
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196355.walter-womacka-farbe-bekennen.html