Um die Welt zu verstehen, genügt es nicht, die Themen in den Zeitungen zu erkennen und vor allem deren Einordnung durch die Journalistis. Fast noch wichtiger sind in der Gesamtschau die Nichtthemen. Was ist mal wieder übersehen, ausgeklammert, vor Wahrnehmung bewahrt worden? Welche Voreingenommenheit, Ignoranz und Korruption breiten sich vor unseren hübschen, klugen Augen aus, wenn wir die Nichtthemen mal auf uns wirken lassen?
Uns zugespielt wurden die Notizen eines Berliner Schreiberlings, der im Laufe des Jahres 2025 mögliche Themen aus den Nachrichtenkanälen gefischt, auf dem Handy-Notizblock verwahrt – und dann niemals einen Text dazu produziert hat. Etwa scheint er irgendwo einen Text gelesen zu haben, der von der Livecam im Stadion des Fußballklubs SC Preußen Münster handelte, und das Tolle an diesem Webcam-Kanal scheint gewesen zu sein, dass darauf nichts, absolut gar nichts passiert. Das liegt auch in der Natur der Sache: Umbauprojekte sind das vielleicht am wenigsten Spektakuläre, das man beobachten kann; ab und zu dreht sich ein Kran, nur cis Rentner und Menschen unter zwei Jahren können im kühlen Gähnen leerer Baugruben und im Schauspiel trocknenden Betons einen Reiz erkennen.
Darauf ein Hurra! Zernagen Zeitungen sonst gern unsere Nerven mit ihrer menschenverachtend rasanten Abfolge von Ereignissen sowie flotter Einordnung durch unterbezahlte Zeitungsknechte und -mägde, so wird fast nie über das Nichtgeschehen berichtet. Wenn Sachen einfach mal stehen bleiben, statt umzufallen. Wenn Leute ruhig vor sich hin ihren Dienst tun. Sachen halbwegs funktionieren. 99,99 Prozent unseres Lebens bestehen aus derart leis vor sich hin tuckernden Dingen, und niemand berichtet jemals davon!
Hier eine Verschwörung zu wittern, fällt nicht schwer. DIE wollen uns in steter Angst und Hektik erhalten! Damit wir immer weiter juckeln, so wie der Laufradhamster, wie die arme Ameise, die unter der Knute ächzt und keinesfalls Spaß am Arbeiten hat! (Habe ein Video neulich gesehen übrigens von einem Laufrad, das irgendjemand irgendwo im Wald montiert hat – und das Interesse bei den Wildtieren und das Ausmaß ihrer freiwilligen Radnutzung war beträchtlich.)
Fakt ist: Dem Nichtgeschehen sollte ein möglichst großer Raum in unseren Leben eingeräumt werden. Etwa habe ich schon Menschen dabei beobachtet, wie sie dem Arbeitsirrsinn um sich herum entgingen, indem sie via Live-Webcam tschechische Störche beim Brüten beobachteten, Tag für Tag, Stunde für Stunde – mal saß Herr Storch auf den Eiern, dann kam Frau Störchin zurück (oder umgekehrt), dann wurde sich geschüttelt und gefluffelt und abgewechselt, dann saß wieder ein Storchi still auf den nicht einsehbaren Eiern.
Oder, großes Vorbild: Ein Freund von mir berichtet, er schaue so gern bei einem Game zu, das »Landwirtschafts-Simulator« heißt, das macht er so nebenbei, wenn wir online eh schon am Daddeln sind. Wenn gerade nix zu tun ist, schaut er bei Twitch zu, wie irgend so ein Typ »Landwirtschafts-Simulator« spielt: Der Twitchtyp hat sich zuletzt einen neuen Hänger gekauft für seinen Trecker, und nun kriege ich auf mein Headset eine exklusive Live-Reportage, ob der Twitchtyp das mit dem rückwärts Einparken gut hinkriegt. Und meistens, erzählt mein Kumpel, scheint das schon ganz gut zu klappen, aber jetzt gerade muss ich mich ein bisschen gedulden, erzählt mein Kumpel, denn der Twitchtyp mit seinem neuen Anhänger steht gerade auf »Landwirtschafts-Simulator« mit seinem Trecker im Stau. Und so muss ich mich da also bis auf Weiteres »in Geduld fassen«, wie die Arbeitsbienen der heutigen Zeit es nennen würden, der Weise hingegen nennt es: genießen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1196366.natuerliche-intelligenz-im-sim-trecker-im-stau.html