Immer etwas anders

Die historische Mission des Hans Modrow und die Debatte um das Erbe der DDR

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Hans Modrow mit Lothar Bisky im Gespräch.
Hans Modrow mit Lothar Bisky im Gespräch.

In seinem neuen Buch erinnert sich Hans Modrow an politische Auslandsreisen aus mehr als 40 Jahren. Er wolle »erzählen, welchen Menschen ich überall auf der Welt begegnet bin, unter welchen Umständen und mit welchen Folgen«. Das ist mal mehr und mal weniger interessant. Und beim Lesen lässt einen das Gefühl nicht los, hier geht es um etwas anderes – die Linke und ihre Bewertung der DDR.

In ein paar Wochen wird Hans Modrow 80 und es besteht eigentlich kein Zweifel über die Lebensleistung dieses Mannes. Als Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung in Dresden galt er hüben wie drüben als einer, der ein wenig anders war. Als letzter DDR-Ministerpräsident drückte er dem Lauf der Dinge noch so gut es eben ging seinen Stempel auf. Später als »großer, alter Mann« der PDS, als Bundestags- und Europaabgeordneter blieb er einer von denen, die aus dem Gestern ins Heute eine Brücke schlagen konnten, die die Basis mit der Spitze versöhnte, wenn es notwendig war. Und das war nicht selten.

In den letzten Monaten mag bei Hans Modrow der Eindruck entstanden sein, seine Partei, die sich gerade zu einer neuen erweiterte, habe keinen Platz mehr für ihren Ehrenvorsitzenden. Hier und da wurde die Kritik kenntlich, die ihn trieb: »Die Jungen denken wohl, sie seien schon die Alten«, grantelte der 79-Jährige kurz vor der Fusion gegen eine neue Generation in der Partei. Es ging ihm stets um Erfahrung, Tradition und Erbe – und natürlich immer auch um die DDR.

Der Vorwurf, Hans Modrow falle jetzt bloß der unfreiwillige Rückzug in die zweite oder dritte Reihe schwer, läuft ins Leere. Schon im Herbst 2004, da war von einer Fusion noch lange nicht die Rede und der Mann aus Jasienica an der Oder saß fest im Sattel seiner selbst zugedachten Rolle als Mahner und Berater, meldete er sich mit einem »Denkanstoß« zu Wort. Die »ständig wiederkehrende Entschuldigungen für die Politik der SED«, so Modrow damals, komme an der Basis der PDS gar nicht gut an.

Wenn man nun Modrows neues Buch »In historischer Mission« liest, hat wieder man den Eindruck, dass mit dieser Mission weniger die Auslandsreisen eines Politikers gemeint sind, sondern eben jener geschichtspolitische Auftrag: Gerechtigkeit für die DDR.

Wenn es um den guten, alten Realsozialismus geht, den im Rückblick eben nicht alle für einen guten halten, kann auch Hans Modrow ziemlich giftig werden. Ganz am Ende des Buches findet sich ein Kapitel, in dem geschrieben steht, was er »der Linken mit auf den Weg geben möchte«. Es geht um die DDR und ihren Platz im linken Geschichtsbild. Und als ob er seiner eigenen Autorität nicht mehr traut, lässt Modrow den entscheidenden Satz von einem anderen sagen: Oskar Lafontaine habe »mit seinem Verweis im Vorwort völlig recht: ›Man muss jedoch die ganze historische Wahrheit sehen, wenn mit der DDR abgerechnet wird, mit diesem gescheiterten Versuch, eine andere, bessere Gesellschaft zu errichten.‹« Wer nicht die ganze Wahrheit zulasse, so Modrow, »wird dafür seine Gründe haben«.

Der Vorwurf, der sich darin verbirgt, zielt weniger auf die, deren Job es ist, eine bestimmte Sicht auf die Vergangenheit zu verbreiten. Modrows Attacke zielt in die eigene Partei und es gibt eine Person, die er besonders aufs Korn nimmt.

Im Sommer hatte ein Schießbefehl für eine Sondereinheit in den Grenztruppen für Schlagzeilen gesorgt. Die Empörung wurde vor allem durch einen Satz ausgelöst: »Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.« Die Anordnung war nicht neu, wie zunächst behauptet worden war, und in der journalistischen Verkürzung blieb auch die Einordnung der Quelle auf der Strecke. Aber was ändert das an der moralischen Dimension?

Petra Pau kritisierte den Gehalt des Befehlspapiers damals scharf. »Für einen zivilisierten Staat – im Namen welcher Ideologie auch immer – darf es keinerlei Rechtfertigung geben, Menschen zum Mord an anderen Menschen aufzufordern.« Hans Modrow zitiert sie als »Vizepräsidentin des Deutschten Bundestags mit rotem Haarschopf« ohne ihren Namen zu nennen. Eine Art Effekthascherei, die auf die Verbrüderung mit dem Leser setzt: Aha, wir wissen ja, um wen es geht.

Modrow schreibt zu Recht, er kenne heute viele Anlässe, zu denen »eine solche Grundsatzerklärung nottäte. (...) Doch da schweigen die gleichen Leute, die sich an dieser Stelle, um der vermeintlichen Erwartung zu entsprechen, öffentlich entrüsten«. Kann man Petra Pau vorwerfen, sich nicht deutlich genug gegen die neuen deutschen Kriege gewandt zu haben? Oder war es nicht so gemeint?

Im hitzig geführten »Kampf um die Interpretation der Geschichte« sieht Modrow jene gut vorangekommen, »die subjektive Erinnerungen der Beteiligten revidieren, sie auslöschen, aus dem Bewusstsein tilgen« wollen. »Schon reden selbst ehemalige Pionierleiterinnen vom Mörderstaat«, schreibt er und kann nicht lassen vom Objekt seiner Abneigung, dem personifizierten Beispiel für die enttäuschten Erwartungen an eine ganze Generation jüngerer Genossen.

»Das ehemalige SED-Mitglied« Pau habe eine innerparteiliche Diskussion über die Verbrechen des Kommunismus gefordert. »Wenn schon feststeht, dass es sich um Verbrechen handelt, was will man dann noch feststellen?«, fragt Modrow. Und man möchte zurückfragen, ob er ernsthaft meint, es habe keine Verbrechen im Namen des Sozialismus gegeben oder wie immer man das »Unrecht« nennt, von dem Modrow 264 Seiten vorher selbst noch wusste.

Zugegeben: Die Diskussion um ihre Vergangenheit haben PDS und neue Linkspartei nicht geführt, ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist zu machen, vor allem dort, wo sie mitregierten. Das ließ aus differenzierter Selbstkritik mitunter demonstrative Katharsis werden. Wobei sicher auch die unterschiedlichen Erinnerungen der Generationen eine Rolle spielen. Aber ist all das wirklich eine Altersfrage, wie Modrow meint, der schon zu Beginn seines Buches eine Art demographischen Faktor in die Geschichtspolitik einführt?

Es sei das »glückliche Los der Älteren«, unbefangener zu denken und zu reden, woraus manche neue Sichtweise resultiert, heißt es da. Aus Heiner Geißler zum Beispiel, als »Scharfmacher und Wadenbeißer« der CDU ein Saulus, sei »erkennbar ein Paulus geworden«. Was Modrow vor allem an einer seiner Äußerungen über die DDR festmacht, deren Existenz dem Westen Zugeständnisse, nämlich eine »soziale Marktwirtschaft« abgetrotzt habe. »Mit dieser Wertung ist der CDU-Politiker manchem linken Politiker um Lichtjahre voraus«, findet Modrow. »Doch so viel Zeit haben wir nicht, um darauf zu warten, dass sich auch in linken Kreisen mit der Altersweisheit der positive Bezug zur DDR durchsetzt.«

Hans Modrow: In historischer Mission. Als deutscher Politiker unterwegs, Edition Ost, Berlin 2007. 281 S., geb., 14,90 EUR.

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