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Ein Singen, das Berge versetzt

Monteverdis »L'Orfeo« an der Erfurter Oper

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Es scheint alles zu stimmen bei der Aufführung im Rohrbau aus Stahl: prächtig die Bühne, eingängig die Solisten, originell die geboteten Orchestrierungen, die Chöre erstaunlich gut verfasst. Ein »L'Orfeo«-Abend erster Güte, so schien es, zugeschneidert auf die gehobenen Wünsche eines bürgerlichen Publikums in der Landeshauptstadt des Freistaats Thüringen, einer Kulturstadt, deren Väter es sich vor ein paar Jahren nicht nehmen ließen, soviel Geld in ihren Opernneubau aus Stahl und Plüsch zu pumpen, dass die Alte Oper, in der jetzt Musiktheaterjux ist, und das Schauspielhaus dran glauben mussten. Das heißt, sie wurden geschlossen.

Das Sprechtheater steht seit langem leer. Selige Zeit, in der die Bühne noch etwas galt. Angesagt indes ist Repräsentation, Opern-Shows auf der Domtreppe mit Feuerwerk, das Event, gezaubert aus einem Bündel erfolgssicherer italienischer Giocoso-Opern mit barocker Schminke und hellenistischem Inventar, gewürzt mit gelehrigen Sprüchen, vor denen selbst die niedlichen Täubchen am Fischmarkt Reißaus nehmen.

Es scheint alles zu stimmen in der »L'Orfeo«-Szenerie, und nichts. Widersprüche können bekanntlich Verhältnisse zum Tanzen bringen. Die gegenteilige Sorte lässt den Geist erschlaffen, lässt statt Interesse Müdigkeit aufkommen. Monteverdis Oper ist ein ungemein temperamentvolles Stück. Voran musikalisch. Freilich, die Geschichte von der Kraft der Musik, die Berge versetzt und die Liebe erweckt (und errettet), muss durchgeführt werden. Zahllose Rezitative sind im Spiel. Den Orpheus-Reigen erzählen Sangesbrüder offenen Mundes und mit blitzenden Augen. Ganze Akte über herrscht Freude, Glück, Eintracht. Wie lieblich zwitschernde Vogelscharen singt eine Gemeinschaft den edlen Hymnus auf die Liebe. Mehrere Chöre, mal gemischte, mal Männer- und Frauenchöre, geben kommentierend ihren Vers dazu.

Das währt solange, bis die Oberwelt erschrickt. Euridice stirbt durch einen Schlangenbiss, und sie zu retten, geht Orpheus in den Untergrund, brav, ohne Molotows in der Hand, um das Bienenhaus, so schaut die Hölle auf der Bühne aus, zu sprengen. Die Solo-Parts der Protagonisten brauchen gleichfalls ihre Zeit, ehe Orpheus in der Unterwelt anlangt und die Bühne sich mit Dramatik aus Kirschen mit Vanille auflädt. Bezwingt Orpheus sich und schaut unbeirrt nach vorn oder peinigt ihn die Leidenschaft so sehr, dass er sich nach Euridice umblickt und sie für immer verliert? Auch die Parts der Hirten, ihre Tänze und sonstigen Heiterkeiten, brauchen Zeit, so dass die Mobilität der Musik nirgendwo erlahmen darf.

Wenn eins auf der Erfurter Bühne wirklich stimmte, dann die Arbeit des Orchesters. Dirigent Samuel Bächli, ungemein lebhaft bei der Sache, ließ aufspielen nicht wie in alten Tagen, also mit alten Instrumenten, sondern mit traditionellem Orchesterinstrumentarium, dazu zwei heutigen Blockflöten, man staune, einem Sopransaxophon mit seinen eigentümlichen Färbungen, dem Chitarone, und für die Recitativ-Begleitung mit Barockgitarre, Cembalo, Akkordeon, einer elektrischen Truhenorgel, die wie eine mild gepegelte E-Gitarre klingt, und Celesta. Das funktionierte. Es brachte eigentümliche Atmosphäre und klangliche Mannigfaltigkeit. Schwach, weil wenig Einfälle aufbietend, die Inszenierung. Die Bühne geriet viel zu steril, kalkweiß die Palastbauten, Säulengänge und mobilen Trennwände, zahnlos der Bau der Unterwelt, clean die Dekors und Kostüme. Inszenator Georg Rootering hatte nicht den Mumm, im Maßstab der Musik etwas aufzudrehen, die Szenerie wirklich spannend zu machen. Die Hirtengesänge sind viel zu bieder, tolldreist sind sie vom Komponisten angelegt. Die Liebeslobgesänge hätten rüde Brechungen vertragen, ohne plump zu wirken. Es fehlte Mut ingesamt.

Die meisten Solisten hatten etwas Mühe mit ihren zum Teil schwierigen, italienisch gesungenen Arien. Peter Schönes Orfeo hätte ein Quantum Leidenschaft und Zartheit mehr vertragen. So wirkte sein Part monoton. Hervorzuheben indes die Sangeskultur von Marisca Mulder als Speranza und die des Ungarn Máté Sólyom-Nagy als Plutone (beide sangen mehrere Rollen).

Monterverdis »L'Orfeo«-Musik, hervorstechendes Zeugnis des 16. Jahrunderts und Fanal der europäischen Operngeschichte, ist sehr tauglich für die aktuelle Bühne. Deswegen wird die Partitur öfters gemacht, und es liegen auch hervorragende CD-Einspielungen vor. Die Oper lebendig auf die Bühne zu bringen, bleibt jedesmal neue Aufgabe. Das zu unterschiedliche Qualitäten aufbietende Erfurter Modell, es erhielt schmalen Beifall, dürfte sich kaum herumsprechen.

Nächste Aufführungen: 25.11., 14., 21. und 26.12.

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