Skizzieren, verwerfen, lösen

Bad Frankenhausen: Werner Tübke – Altar in Claustal-Zellerfeld

  • Liane Kotsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Ziemlich genau zwanzig Jahre ist es her, dass in Bad Frankenhausen auf dem Schlachtberg das sogenannte Bauernkriegspanorama von Werner Tübke vollendet wurde. Erst zwei Jahre später wurde es der Öffentlichkeit zugänglich und das auch noch in einer Zeit der sprunghaften politischen Veränderungen. Da war allerdings für den Urheber des riesenhaften Bildes diese Werks- und auch Lebensphase längst abgeschlossen. Der umstrittene Leipziger Künstler äußerte später, dass er nach Fertigstellung dieses Opus’ auf der Suche war nach neuen Themen und Herausforderungen. Eine Anfrage der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, ob er einen Altar für die Kirche der niedersächsischen Gemeinde Zellerfeld malen würde, kam ihm da gerade recht.

1993 machte der Künstler sich ans Ideensammeln, es entstanden erste Skizzen und Kompositionsentwürfe. Schließlich wurde der Vertrag unterzeichnet, der dem bekennenden Materialisten Werner Tübke weitgehend freie Hand beim ikonographischen Programm ließ. 1997 schließlich, also vor zehn Jahren, wurde der Altar geweiht. So weit die Vorgeschichte des zeitgenössischen Altarwerkes in nackten Fakten. Die genannten Jubiläen sind für das Panorama Museum am Kyffhäuser der Anlass für eine umfangreiche Schau zum Thema Tübke-Altar. Zusammen mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, in deren Besitz sich die Vorarbeiten befinden, präsentiert das Museum nun eine eindrucksvolle Dokumentation über das Entstehen des ebenfalls sehr umstrittenen Gemäldes. Der Maler sah das Mehrtafelbild als das Hauptwerk seines Alters-stils an und als eine Arbeit, die ihn in dieser Zeit sehr geprägt hat. Anhand von 80 Exponaten kann das Wachsen des Altares nachvollzogen werden. In der ersten Phase 1993/94 griff der Künstler vorwiegend auf Bildfindungen aus seinem eigenen Werk zurück, speziell auf Szenen, die er schon 1975 noch vor der Hauptarbeit am Panoramabild in Bad Frankenhausen für das Polypthychon »Mensch – Maß aller Dinge« für den Palast der Republik entworfen hatte. Auch Mathias Grünewalds Isenheimer Altar gab in dieser Phase Anregungen. Danach werden andere Einflüsse deutlich: Er entdeckte den Bildhauer Veit Stoß als Vorbild und der Stil orientierte sich nun stärker an eckig-expressiven gotischen Formen. Auch das vom Künstler gewählte typologische Bildprogramm wurde in dieser Phase festgelegt.

Bei den Figuren konzentrierte sich Werner Tübke auf Archetypen und auf die Urbilder menschlicher Existenz – eine Arbeitsweise, die er schon seit Jahrzehnten verfolgte. Zwar betrachtete sich der Maler selbst nie als religiös, aber trotzdem griff er von Anfang an in seiner Arbeit immer wieder auf Kompositionen und Situationen aus der christlichen Ikonographie zurück. So ist es kein Wunder, dass bei ihm eine Baubrigade eher wie eine Apostelgruppe aussah, eine Frau, einen toten Chilenen betrauernd, zur Pietà geriet oder ein Liebespaar immer über sich hinauswies und zum ersten Menschenpaar Adam und Eva wurde. Den Maler interessierten stets nur die Archethemen, denn sie seien immer aktuell und anrührend über die Jahrtausende hinweg, so seine Auffassung. Deshalb brauche er auch keine vordergründige Aktualisierung. Und die markanten sinnstiftenden Kompositionen seien eben alle schon in der christlichen Kunst vorhanden. Daher war es für den atheistischen Künstler keine Schwierigkeit diesen besonderen Auftrag zu bewältigen, der nicht nur einen religiösen Inhalt aufwies, sondern ebenso eine konkrete Funktion im Gottesdienst zu erfüllen hat; d.h. zum gewissen Grad nicht nur neutrales Kunstwerk, sondern gleichfalls ein Gebrauchsgegenstand ist.

Wie sich der Künstler an die endgültige Bildlösung herantastete, Ideen skizzierte und verwarf, mit leichter Hand komplizierte Figuren zeichnete und durch Stichworte auf den Skizzen Verweise aufs eigene Werk notierte, ist hoch interessant und vom Besucher genau zu verfolgen. Die oftmals als kompliziert und verstiegen interpretierte Kunstauffassung und Arbeitsweise Werner Tübkes wird hier ein gutes Stück transparent. Und nicht zuletzt bekommt jeder künstlerische Laie einen Eindruck davon, was es heißt, Kunst mit Anspruch zu machen, und welche geistige und handwerkliche Leistung hinter einem solchen Werk steckt. Da es keine genauen Vorgaben für das religiöse Programm gab, kann man davon ausgehen, dass der Künstler hier seine eigene Position umgesetzt hat. »Inzwischen lese ich die Bibel öfter als die Zeitung«, äußerte Werner Tübke nach der Weihe des Altares.

Dass das Werk damals, vor zehn Jahren, stark umstritten war, störte ihn nicht mehr. Und auch die Landeskirche Hannover ließ sich nicht davon abbringen, weitere zeitgenössische Künstler mit Altarbildern zu beauftragen: Inzwischen gibt es Altäre von Johannes Grützke, Johannes Heisig, Michael Triegel und anderen.

Werner Tübke: Der Altar (Foto: L. Kotsch). Bis 27. Januar 2008, Di-So 10-17 Uhr, Panorama Museum Bad Frankenhausen, Am Schlachtberg 9, 06567 Bad Frankenhausen. Katalog.

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