Die Leichen des Hariri-Chefermittlers

Mord an Libanons Expremier weiter ungeklärt

  • Lesedauer: 4 Min.
Jürgen Cain Külbel

Serge Brammertz, UNO-Sonderermittler für das Attentat auf den libanesischen Expremier Rafik Hariri, ist fulminant gescheitert. Darüber können auch die blumigen Formulierungen in seinem letzten Report nicht hinwegtäuschen. Trotzdem – oder gerade deshalb – wechselt er als Chefanklärer an das Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien.

Die Welt spitzte die Ohren, als die libanesische Tageszeitung »As-Safir« am Dienstag die Sensation des Jahres ankündigte: Der belgische UN-Sonderermittler Serge Brammertz, der den Mordfall um Libanons ehemaligen Premier Rafik Hariri untersucht, werde in seinem sechsten und finalen Report »zum ersten Mal die Namen von vier Verdächtigen nennen«. Die Gazette berief sich auf eine »gut informierte UN-Quelle, die aber den exakten Tatbeitrag dieser Leute nicht enthüllte«. Hariri und 22 weitere Personen waren am 14. Februar 2005 durch ein Bombenattentat in Beirut ums Leben gekommen. Danach kam es zu einer Serie von Anschlägen auf libanesische Politiker und Journalisten.

Dem journalistischen Fanfarenstoß folgte am Mittwoch ein krächzendes Echo: Brammertz, der Ende des Jahres den Posten als Sonderermittler aufgibt, dafür aber als Chefankläger des Tribunals für das ehemalige Jugoslawien bestätigt wurde, bekundete zwar gegenüber dem UNO-Sicherheitsrat, es seien »in den vergangenen vier Monaten weitere mutmaßliche Tatbeteiligte identifiziert« worden, doch musste er zugeben, es gebe Beweise dafür, »dass die Täter oder Tätergruppen noch immer in Beirut operieren«. Ihnen stünden »Fachwissen, Ausrüstung und Geldmittel zur Verfügung«. Eine Bankrotterklärung für den 45-jährigen Starermittler samt seiner 150 Inspektoren, die offenbar in den vergangenen zwei Jahren zu keinem klaren Ergebnis »in einem der berühmtesten Verbrechen der Welt« (Libanons Tageszeitung »An Nahar«, Beirut) gekommen sind.

Dass Serge Brammertz den Job Ende Dezember quittiert, ohne ihn erledigt zu haben, darf man ihm getrost vorhalten. Den Vorwurf vieler Libanesen, dass infolge der »trägen und inkompetenten Arbeit« des Belgiers auch während dessen »Amtszeit« bekannte libanesische Persönlichkeiten wie Gebran Tueni, Pierre Gemayel, Walid Eido und zuletzt Antoine Ghanem ermordet werden konnten, kann man, muss man aber nicht teilen. Offenbar um diesen Anschuldigungen das Wasser abzugraben, äußerte sich der UN-Sonderermittler erstmals »besorgt über die instabile Lage in Libanon«, welche »die Arbeit der Kommission beeinträchtigt« habee und perspektivisch auch »rasant beschädigen« könnte. Ansonsten bediente er, der wie immer akribisch neu hinzu gekommene Aktenblätter aufzählte – seit Juli gab es 2000 weitere Seiten –, die von ihm gewohnten Allgemeinplätze, wohl auch, um seiner Erfolglosigkeit einen hauch von Wissenschaftlichkeit verleihen zu können: »Fortschritt beim Verstehen von vielen Aspekten der Ermordung, Erschließung neuer Ermittlungsrichtungen, bedeutende zukünftige Untersuchungsaufgabe« etc.

Der jüngste Report, in Libanon als »Witz des Jahres 2007« gefeiert, ist tatsächlich ein Eiertanz ohnegleichen, und zwar einer, bei dem der kluge Belgier geschickt auf allen Formen des Konjunktivs herumstöckelt: Nunmehr sei er zur Erkenntnis gekommen, »zwei oder mehr Teams könnten die Attacke (auf Hariri) vorbereitet und ausgeführt haben«. Auch seien kürzlich »Personen identifiziert worden, die in einige Aspekte der Vorbereitung und Durchführung des Verbrechens involviert gewesen sein könnten oder gewusst haben könnten, dass ein Plan zur Ausführung des Verbrechens in Arbeit war«. Ebenso mutmaßt er jetzt, dass der männliche Suizidbomber, der jenen mit 1800 Kilogramm Sprengstoff beladenen Mitsubishi Cancer in die Luft gejagt haben soll, zwischen dem sechzehnten und zwanzigstem Lebensjahr »entweder in der Nähe eines Konfliktgebietes oder eines Bereiches, in dem Waffen benutzt wurden, wie militärische Trainingscamps« gelebt habe, da Experten in den biologischen Überresten »eine bedeutende Menge einer spezifischen Verschmutzung« fanden, die »höchstwahrscheinlich aus einer Nähe zu militärischer Munition« herrührt.

Brammertz, der Anfang 2006 den Nebel von der Themse nach Beirut importiert, sodann die Ärmel hochgekrempelt hatte, um zwei Jahre lang den Hariri-Mördern auszuweichen zu können, steht ganz im Gegensatz zum Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis, der sich im Sommer 2005 in einer Blitznummer anschickte, syrische und libanesische Geheimdienstler als Tätergruppe zu extrahieren. Übrig blieb für Mehlis zwar nur internationales Gelächter, doch der Ermittler hatte auch nichts zu verlieren. Er ist geblieben, was er war: Oberstaatsanwalt. Ob Brammertz hingegen auf seine ganz eigene »Ermittlungsleiche« stolz sein darf, muss er mit seinem Gewissen abmachen. Andererseits hätte er sich aber auch die Karriere verderben können.

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