Donald Tusk verspricht »Wirtschaftswunder«

Polens Premier setzt Haushaltskurs der Vorgängerregierung fort

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 4 Min.
Nicht mehr und nicht weniger als ein Wirtschaftswunder verspricht die neue rechte Regierung in Warschau den Polen. Wie es erreicht werden soll, verschweigt Premier Donald Tusk.

Bereits im Wahlprogramm der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) gebrauchte Polens neuer Premier Donald Tusk den Begriff des »Wirtschaftswunders«, ebenso wie bei der Verkündung seines Regierungsprogramms vor einer Woche im Sejm. Er versprach darin allen alles, verschwieg aber Wesentliches. So die Antwort auf die Frage, wie er es bewerkstelligen will, die Steuern zu senken, zugleich aber die Gehälter im öffentlichen Dienst zu erhöhen und dazu noch das Haushaltsdefizit abzubauen. Tusk meinte, wenn sich die Wohlhabenden und der »Rest« der Gesellschaft nicht bekämpfen, sondern einen »bürgerlichen Dialog« führen würden, könnte sich alles fügen. Nur müsse – so der Premier – endlich Schluss gemacht werden mit einer Politik, die sich in der Demonstration von Unzufriedenheit erschöpft.

Wie der Chef der OPZZ-Gewerkschaften, Jan Guz, kommentierte, wolle Tusk den sozialen Dialog mit den Arbeitnehmerverbänden durch einen solchen mit Nichtregierungsorganisation ersetzen. So versuche er, sich aus der Lösung brennender sozialer Frage herauszumogeln. Auch die »Solidarnosc« ist mit den Inhalten der Antrittsrede Tusks nicht zufrieden. Der Soziologe und Chefredakteur der linken Vierteljahresschrift »Krytyka Polityczna«, Slawomir Sierakowski, charakterisierte die Vorhaben Donald Tusks sehr zutreffend. In »Gazeta Wyborcza« schrieb er: »Nach der Epoche des Glaubens an neoliberale Rezepte, der eine populistische Reaktion (der PiS-Regierung – J.B.) folgte, ist die Zeit für einen zynischen Brei gekommen, in dem alles mit allem zusammengerührt wird. Dies signalisiert das von manchen Philosophen angekündigte nach-politische Zeitalter, in dem anstelle des Wettbewerbs verschiedener politischer Ideen die Aufmerksamkeit der Massen mit einem Marketinginstrumentarium geködert und das Programm durch einen Sack voller Puzzlesteine verbrauchter Ideologien ersetzt wird.«

Bereits in den ersten Tagen der Tusk-Regierung fällt auf, dass sie, die angeblich alles anders als ihre PiS-Vorgängerin machen wollte, in der Wirtschaft- und Sozialpolitik den Kurs von Jaroslaw Kaczynski fortsetzt. Mit dem Argument, Staatspräsident Lech Kaczynski keinen Vorwand zur Sejm-Auflöung am 28. Januar 2008 zu liefern, hat die neue Parlamentsmehrheit aus PO und Bauernpartei (PSL) die Haushaltsvorlage der alten Regierung übernommen und in die Ausschüsse zur Bearbeitung weitergereicht. Der Budgetentwurf gehöre eigentlich in den Papierkorb, sagte der neue Finanzminister Jacek Rostowski. Aber die Zeit dränge, da gebe es eben keine andere Möglichkeit. Der Publizist Jacek Zakowski meinte nicht nur in diesem Zusammenhang in »Polityka«, Tusk habe bereits vor der ersten Konfrontation mit der PiS seine Seele an Jaroslaw Kaczynski verkauft.

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen am 21. Oktober haben die polnische Parteistruktur vereinfacht. Zwei Regierungsparteien (Bürgerplattform und PSL) stehen zwei Oppositionsparteien gegenüber. Die populistische »Samoobrona« gibt es praktisch nicht mehr, sie hat sich gespalten. Die rechtsklerikale Liga Polnischer Familien (LPR) ist völlig verschwunden. Und in der PiS arbeitet eine »Dreierbande« bekannter Politiker gegen Jaroslaw Kaczynski. Die Frage nach einer Spaltung bleibt im Raume stehen.

Der Mitte-Links-Block »Linke und Demokraten« (LiD) weiß nicht so recht, welchen Kurs er steuern soll. Soll die »Vernunftehe« des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) mit dem Häuflein der »Demokraten.Pl« aufrecht erhalten werden oder nicht? Das Zusammengehen war nämlich für die Linke enttäuschend verlaufen. Während der Tagung des SLD-Parteirats am letzten Wochenende gab es dazu sehr unterschiedliche Meinungen. SLD-Generalsekretär Grzegorz Napieralski wies energisch die Parole zurück, die der ehemalige Außenminister und jetzige EU-Parlamentarier Dariusz Rosati erdacht hat: »Linke, vergiss den Sozialismus!« Tatsächlich gewinnt der Streit zwischen Befürwortern eines Kurses in Richtung Mitte und Anhängern einer Politik zugunsten des »Sozialwahlvolkes« und einer engen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften an Schärfe. Sogar Parteichef Wojciech Olejniczak, der um seine Führungsposition bangen muss, ist radikaler geworden.

Gelegenheiten, um dieser Haltung Ausdruck zu verleihen, wird es in kommenden Tagen und Wochen genug geben. Die Ärzte verlangen die Umsetzung der EU-Direktive über die 48-Stunden-Wochenarbeitszeit ab Januar, Krankenschwestern fordern »reales Geld«, die Lehrer lehnen eine nur 3,3-prozentige Gehaltserhöhung ab, an den Hochschulen mehren sich Stimmen gegen eine etwaige Einführung von Studiengebühren. In einigen »strategischen« Großbetrieben lehnen die Belegschaften die geplante Privatisierung ab. Die Kumpel sind empört über Mängel in den Grubensicherheitssystemen und die Bauern meutern wegen niedriger Aufkaufspreise für Schweinefleisch. Donald Tusk könnnte das Lächeln bald vergehen.

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