• Kultur
  • Reportage - Mahlwinkel

»Das hat schon ein gewisses Suchtpotenzial!«

In Zeiten, da manche nichts mehr zu brauchen scheinen, schenken Frauen ihren Männern zu Weihnachten beispielsweise eine Fahrstunde im Panzer. Möglich ist das in Sachsen-Anhalt. Denn dort unterhält Sven Brandt einen ganzen Fuhrpark an Kampf- und Schützenpa

  • Harald Lachmann, Mahlwinkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Schützenpanzer durchs Gelände. Vorher erklärt Sven Brandt einem Fahrschüler, wie er den tonnenschweren Koloss steuern muss.
Im Schützenpanzer durchs Gelände. Vorher erklärt Sven Brandt einem Fahrschüler, wie er den tonnenschweren Koloss steuern muss.

Der Mann ist Ende 50. Er trägt ein bunt gestreiftes Poloshirt über grünen Cargohosen und wirkt mit Brille und Bürstenschnitt wie ein Behördenmensch auf einem gesitteten Wochenendtrip. Immerhin hat er Frau und ein befreundetes älteres Ehepaar im Gefolge. Doch plötzlich entert er über Kette und Wanne den schweren Schützenpanzer, neben dem sie gerade noch plauderten. Er schwingt sich in die Fahrerluke, streift die russische Panzerhaube über und wirft mit fast feierlichem Gesicht den 300-PS-Motor an. Noch mal Winken zur Mutti, die wegen des Krachs und der Dieselwolke erschrocken zurückweicht, aber tapfer ein Foto schießt, dann gibt er Gas. Offenbar aber zu viel. Der 13-Tonnen-Koloss stottert kurz, geht hinten leicht hoch. Er ist verreckt.

Kundschaft kommt sogar aus dem Ausland
Später wird Manfred Müller lachend gestehen, aufgeregt wie ein Schulbub gewesen zu sein. Richtig gezittert habe er anfangs. Doch im zweiten Anlauf gelingt der Start, und das stählerne Ungetüm mit seiner 73-Millimeter-Kanone gehorcht ihm fast unterwürfig. Das Lachen im Gesicht des 58-Jährigen leuchtet geradezu aus den Sandwolken heraus, derweil sich der russische Schützenpanzer BMP 1 durch das zerfurchte Waldrevier frisst. Auf und ab geht es auf einem 1300-Meter-Rundkurs über die sandige Piste. Zarten Gemütern wird schon vom Hinschauen übel.

Als er schließlich wieder vom Panzer herabsteigt, läuft Müller, der sich als Geschäftsführer einer thüringischen Tiefbaufirma outet, fast breitbeinig vor Stolz um das Eisenschwein. Die halbe Stunde tat ihm sichtbar gut. Vor Jahrzehnten sei er als NVA-Rekrut mal ein älteres Modell gefahren, verrät er. »Doch kein Unterschied dazu!«, strahlt er noch immer. Er ist kaum zu bremsen: »Stärkere Motorisierung, besseres Laufwerk, mehr Tempo im Gelände. Halt ein ganz anderer Fahrstil!«, schwärmt er. Sogar schwimmfähig wäre der BMP; am liebsten würde er ihn gleich noch im Wasser testen.

Doch einen See gibt es noch nicht in der früheren Sowjetkaserne, eine halbe Autostunde nördlich von Magdeburg, wo seit gut einem Jahr jedermann, also auch jede Frau, mal einen echten Panzer durch die Botanik lenken darf. Selbst völlig Unbeleckte dürfen ans Steuer, sofern sie sich trauen und das nötige Kleingeld dabei haben.

Und die Kundschaft kommt denn auch von weit her, teils noch aus dem Ausland. Im Caravan rollten etwa Stefan Paulus und Hans-Werner Schmidt aus der Pfalz an. Paulus, ein 38-jähriger Polizist, hatte einen Gutschein dabei: »Für meinen Schatz.« Er bekam die Panzerfahrstunde von der Gattin zum Geburtstag geschenkt. Andere beschenken ihren Liebsten damit zu Weihnachten.

Das sei keine Seltenheit, weiß Sven Brandt, dem die Firma Panzer Power bei Mahlwinkel gehört. In Zeiten, da die Leute nicht mehr wüssten, was man schenken soll, sei das eine originelle Idee. »Davon spricht man noch nach Jahren«, höre er oft. »Und achten Sie nur mal auf das Gesicht der Leute, wenn sie wieder aussteigen«, rät er. Das witzige Zertifikat, das jeder Eleve anschließend erhält, ziere dann häufig Flur oder Partyraum.

Immer häufiger kreuzten auch ganze Firmenteams auf. Teils 25 und mehr Leute auf einen Schlag, angeführt von einem Chef, der auf solch ausgeflippte Weise mal seine Leute ein wenig puschen, testen, zusammenschweißen wolle. Dazu brutzelten sie dann ein Schwein am Spieß. »Da sind Bürohengste drunter«, schmunzelt Brandt, »die hier richtig aufblühen, die hier mal die Sau raus lassen dürfen. Auf allen Vieren krabbeln sie durch die Gegend.« Für viele sei das einfach »ein mentaler Ausgleich oder auch nötig, um Frust abzubauen, bevor sie Montag dann wieder im steifen Anzug hinterm Bankschalter oder Schreibtisch sitzen«. Der 32-jährige Brandt ist übrigens selbst ein Ungedienter. Zwar wurde er noch kurz vor Ende der DDR gemustert, doch bald darauf gab es keine NVA mehr.

Die Panzer taten es dem gelernten Schiffsmotorenschlosser dennoch an. Die ersten erwarb er noch günstig gebraucht im früheren Panzerinstandsetzungswerk in Neubrandenburg – nur so aus Lust an Verrücktem: »Jeder sammelt doch irgendetwas, bei mir sind es halt Panzer.« Heute zählt sein Fuhrpark rund 20 Gefährte. Letztes Jahr gründete er seine Firma und pachtete die Strecke in der Kaserne. Hier ließen sich alle Sicherheitsregeln einhalten, und selbst die Dekra schaue mit ihren Stempelchen vorbei.

Die beiden Männer glauben übrigens, dass ihnen solch ein Gewerbe im Westen der Republik nie genehmigt würde. »Das scheitert dort an der Mentalität der Leute«, denkt Kipp, der im Hauptjob Telefontechniker ist und nur an den Wochenenden Panzerschüler anleitet. »Wir sind damit großgeworden. Im Osten war die Armee mehr Teil des öffentlichen Alltags, man wuchs damit auf. So ist auch die Beziehung bei den Behörden eine andere.«

Militärfreaks, aber keine Kriegsverherrlicher
Mittlerweile ist die Nachfrage nach diesem Abenteuer so groß, dass Brandt Termine vergeben muss und Wartelisten führt. »Kriegsverherrlicher seien das aber nicht«, versichert er. Aber natürlich finde man hier auch Leute mit einem besonderen Faible für Militärtechnik. Man erkennt sie oft schon daran, dass sie sich halbmilitärisch kleiden – mit Knöchelstiefeln, Drillichhosen oder Feldmützen. Zudem bekommt jeder halt die russische Panzerkappe mit Ohrmuschel-Lautsprecher und Kehlkopfmikrofon auf. Für Brandt gehört das schlicht zum Feeling des Metiers. Tennisspieler seien halt weiß gekleidet und Wanderer trügen Kniebundhosen.

Auch Stefan Paulus, der bei Kaiserslautern wohnt, hat erkennbar einen Nerv fürs Militärische. Nach Feierabend bastelt er gern Panzermodelle, er saß schon mal im gepanzerten Truppentransportpanzer M 113 und selbst in einem französischen Kampfpanzer AMX-30. Nun also mal ein Modell russischer Bauart!

Paulus, der eine olivgrüne Werkstattkombi der Bereitschaftspolizei trägt, ist ein wenig aufgeregt. Doch als er in die Luke steigt, vor sich den Blick über den grünen Stahl ins zerfurchte Gelände, schalten seine Augen auf Leuchtbetrieb. Und unumwunden gibt er zu: »Das hat hier schon ein gewisses Suchtpotenzial! Man spürt richtig, wie die Energie der Maschine auf einen übergeht. Ein irres Gefühl, man lebt wieder das Kind im Manne aus!« So werde er wohl wiederkommen, auch ohne Gutschein der Gattin.

Ob der Pfälzer der typische Fahrschüler sei? Brandt schüttelt den Kopf. Allenfalls altersmäßig, denn Männer zwischen 35 und 45 bildeten derzeit die größte Gruppe. Ansonsten gehe das Publikum »quer durch den Gemüsegarten«. Für recht charakteristische Kunden hält Brandt auch Männer, die einst in NVA oder Bundeswehr mal Panzer fuhren und nun die Chance haben, diese Geräte ihren Frauen und Kindern mal aus der Nähe zu zeigen. Nicht selten schwinge dann auch »Erinnerung an die alten Kameraden und die eigene Jugend« mit.

So auch bei Norman Wernicke, der die Woche über im weißen Kittel Zahnprothesen herstellt. Als der 41-jährige Magdeburger nun seine erste Stunde im Schützenpanzer vor sich hat, brechen in ihm Emotionen auf: »Schon wenn man aufsteigt, diese ganze Atmosphäre, der Geruch von Motorenöl, Diesel, Metall und Leder – das kommt alles sofort wieder hoch«, gesteht er gerührt. Alles wäre plötzlich wieder »wie damals im Feldlager«, während seiner Wehrdienstzeit. Oh ja, das gebe schon einen gewissen Kick für die nächste Woche im Labor.

Die Stimmung am Rande der Panzerstrecke ist bei alledem überraschend zivil-familiär. Muttis und Omis schwatzen über Gott und die Welt, Knirpse buddeln in einem provisorischen Sandkasten, Männer löffeln einen Schlag Erbsuppe oder stoßen mit einem Bier auf ihre Jungfernfahrt an. So plant Brandt auch noch mehr Events für jedermann in seinem Pachtareal. Etwa einen Hochseilgarten, einen Abenteuerparcours mit Kletterwand und eine Quadstrecke für Kinder.

www.panzer-power.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal