Algenblüte für das Klima

In Versuchsanlagen fressen die grünen Zellen CO2 und liefern Treibstoff – noch allerdings zu teuer

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Algenblüten haftet ein überaus negatives Image an. Schließlich verdirbt einem der schaumige Schleim am Strand das Badevergnügen, schlimmstenfalls sind die auch noch giftig. Doch in den letzten Monaten kann man kaum ein Wissenschaftsmagazin aufschlagen, ohne dem pflanzlichen Plankton als Hoffnungsträger im Klimawandel zu begegnen. Insbesondere auf das Plankton der Weltmeere bauen einige Wissenschaftler und auch schon der eine oder andere Geschäftemacher. Denn die Algen dort benötigen CO2 für die Photosynthese, wandeln dieses mit Hilfe des Sonnenlichts in Kohlehydrate, Fette und Eiweiß um. Und wie bei den Landpflanzen erwartet man, dass mehr CO2 auch vermehrtes Algenwachstum bringt.

Eine Untersuchung von Kieler Wissenschaftlern, die jetzt im Fachjournal »Nature« (online, doi: 10.1038/nature6267) veröffentlicht wurde, zeigt tatsächlich, dass ein größerer CO2-Gehalt des Meerwassers nicht nur die Vermehrung der Algen beschleunigt, sondern diese Mikroorganismen bei größerem Angebot auch deutlich mehr von dem Treibhausgas aufnehmen. Die Meeresbiologen um Ulf Riebesell vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel konnten im Feldversuch zeigen, dass sich die Aufnahmefähigkeit um bis zu 39 Prozent erhöhen könnte. Und Versuche im norwegischen Raune-Fjord zeigen, dass die Algen am Ende der Planktonblüte absterben und mitsamt dem Kohlenstoff in der Meerestiefe versinken.

Brauchen wir also nur möglichst viel CO2 ins Meer pumpen, und alles wird gut? So einfach ist es offenbar auch nicht. Denn der Kohlenstoff in der Algenbiomasse wird zum größten Teil durch andere Mikroorganismen zersetzt, und es entsteht letztlich wieder CO2. Das allerdings gelangt, wie Riebesell erläutert, nicht gleich in die Atmosphäre. Weil es in der Tiefsee freigesetzt wird, kommt es erst im Verlaufe von einigen hundert Jahren wieder zur Meeresoberfläche. Kritischer jedoch sieht das deutsch-norwegische Forscherteam die Auswirkungen in der Tiefsee. Denn die zusätzlichen Mengen pflanzlichen Planktons bringen zwei wesentliche Effekte: Zum einen verbraucht die bakterielle Zersetzung der Biomasse große Mengen Sauerstoff, so dass diese Gebiete zu Todeszonen für alle höheren Lebewesen werden könnten. Zum anderen versauert die Tiefsee durch das entstehende CO2 schneller. Frühere Studien zeigen, dass insbesondere Kleinkrebse, die kohlenstoffreiche Mikroalgen fressen, langsamer wachsen und geringeren Fortpflanzungserfolg haben. Die Biologen um Riebesell befürchten deshalb größere Störungen der maritimen Nahrungsnetze.

Die Fähigkeit der Algen, CO2 in Biomasse umzuwandeln, ist längst auch an Land auf Interesse gestoßen. Abgesehen von industriellen Nutzungen zur Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln, Gelatine und Kosmetika, versuchte man schon mehrfach, die Algen zur Produktion von Biotreibstoff einzuspannen. So weiß man bereits seit 1939, dass grüne Algen der Art Scenedesmus obliquus mit Hilfe des Sonnenlichts unter bestimmten Bedingungen Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Andere grüne Algen können dies auch. Inzwischen kennt man einige der notwendigen Bedingungen. Zum einen müssen die Algen auf eine schwefelarme Diät gesetzt werden. Zum anderen muss der entstehende Sauerstoff schnell abgeführt werden, da die wasserspaltenden Enzyme sehr sauerstoffempfindlich sind, wie der Biologe Thomas Happe von der Ruhr-Universität Bochum erläutert.

Allerdings bremst die Diät die Photosynthese, so dass die Wasserstoffausbeute derzeit noch ziemlich gering ist. Auf ein weiteres Handicap der Wasserstoffproduktion, das nicht nur den Algen im Weg steht, verweist Ute Ackermann vom VDI/VDE-Projekträger Mikrosystemtechnik in Berlin: Bislang existiert für Wasserstoff als Energieträger keine geeignete Infrastruktur. Jährlich werden nach ihren Angaben allein in Deutschland 1,5 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff nutzlos abgefackelt! Bislang gebe es zur Wasserstoffproduktion mit Algen fast nur biologische Forschungsarbeiten. Deshalb erwartet Ackermann zuerst Ergebnisse von der Umwandlung der Algenbiomasse in Biodiesel, Alkohol oder Biogas. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten von Otto Pulz vom Potsdamer Institut für Getreideverarbeitung (IGV). Der Algenbiotechnologe schätzte bei einem Vortrag kürzlich, dass bis zu einer wirtschaftlichen Direktproduktion von Wasserstoff durch Algen noch 15 bis 30 Jahre vergehen dürften. Die Wasserstoffgewinnung durch Fermentation der Biomasse könnte bereits früher lukrativ sein. Ein funktionierender Handel mit CO2-Emissionszertifikaten und deutlich gestiegene Preise für Erdöl und potenzielle Energiepflanzen könnten laut Pulz die Biodieselgewinnung aus Algen-Biomasse dagegen bereits in zwei bis fünf Jahren wirtschaftlich machen.

Der große Vorteil der Algen: Während pro Hektar und Jahr Soja gerade mal 450 Liter Biodiesel liefert, Raps 1200 Liter und Ölpalmen 6000 Liter, könnten es Algen auf bis zu 90 000 Liter bringen. Und verwerten dabei ohne Ackerfläche mitten im Industriegebiet gleich das CO2 aus Kraftwerksanlagen. Immerhin bindet eine Tonne Algen zwei Tonnen CO2 und kann 0,2 bis 0,5 Tonnen Biodiesel liefern. E.on Hanse und die Stadt Hamburg wollen das mit einer Pilotanlage neben einem kleinen Kraftwerk, das gerade im Bau ist, testen. Eine weitere Anlage baut die Firma Greenfuel mit Unterstützung des IGV in den USA.

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