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Kampf um Veränderung

Catherine David über Gewalt und Kunst im Nahen Osten

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Kunstkuratorin Catherine David hat den Nahen Osten als faszinierende und widersprüchliche Region entdeckt. Mit dem Projekt »Di/Visions« im Berliner Haus der Kulturen der Welt (7.12. bis 13.1.) verschafft sie den vielfältigen Stimmen von Künstlern und Intellektuellen Gehör.

ND: Welches Ziel verfolgen Sie mit »Di/Visions«?
David: Das Bild über den Nahen Osten ist von Klischees geprägt. Wir möchten diese Wahrnehmungsfolie durchbrechen und Akteure und Beobachter zu Wort kommen lassen. »Di/Visions« ist ein Resonanzraum für ihre Erfahrungen, für ihre konkrete Auseinandersetzung und für den neuen Wortschatz, den sie in ihrer künstlerischen, politischen und historischen Arbeit schaffen.

Was ist das Hauptinteresse der Künstler?
Besonders wichtig ist das Dokumentieren der Umstände. Die jüngere Künstlergeneration ist der Klischees müde. Sie möchte andere Geschichten erzählen als die von explodierenden Körpern. Sie setzt auf Gesichter, auf Individuen, auf persönliche und alltägliche Geschichten. Damit dringen sie unter die Oberfläche des erwarteten Bildes. Die Komplexität der Zusammenhänge wird stärker sichtbar. Und es wird Raum geschaffen für eine ernsthafte Analyse.

Die Wahrnehmung des Nahen Ostens hierzulande wird von Bildern der Gewalt geprägt. Wie wollen Sie mit geringeren Dosen von Gewalt Aufmerksamkeit erregen?
Gewalt drückt sich nicht nur in zerfetzten Körpern aus. Sie ist komplexer und hat mehr Aspekte. Die Produktionsbedingungen für Künstler sind schwierig. Viele müssen einen hohen Preis für ihre kritische Reflexion zahlen. Andererseits hat sich ein feines Gespür für Nuancen herausgebildet, wie es in Diktaturen oft der Fall ist. Dieses umfassende Szenario möchten wir zeigen.

Welche Klischees sind Ihnen als besonders ärgerlich in Erinnerung?
Es werden einfach viel zu schnell und viel zu oberflächliche Bilder erzeugt, die unhinterfragt weiter reproduziert werden. Die Konflikte werden anhand der konfessionellen Gegensätze erzählt: Sunniten gegen Schiiten gegen Christen gegen Kurden. In meiner Zusammenarbeit mit Künstlern aus Libanon hat es keine Rolle gespielt, wer Sunnit und wer Schiit ist. Ich habe es oft nicht einmal gewusst. In Irak erfahre ich häufig, dass vor dem Krieg und vor den Sanktionen die religiösen Unterschiede marginal waren. Erst die Konflikte führten zu einer Aufladung der Gegensätze. Und jetzt ist es völlig absurd, dass man das Volk der Kurden in eine Schublade mit den Religionsgemeinschaften der Sunniten und Schiiten steckt. Das ist so, als würde man in Frankreich in einem Atemzug von Katholiken, Protestanten und Korsen reden.

In Ihren Projekten spielt das Medium Film die tragende Rolle. Warum?
Film ist ein bevorzugtes Medium junger Leute. Die Technologie ist verfügbar. Man kauft sich eine Kamera und beginnt. Außerdem kann man im Film schnell ein Werk aufbauen. In Marrakesch gibt es eine neue Schule der visuellen Künste. Hier entsteht ein neues Gravitationszentrum. Wenn wir aber immer in Binarismen denken – im Westen der Fortschritt, im Osten Rückstand –, dann erfahren wir nichts über diese komplexe und paradoxe Wirklichkeit, in der Menschen um Veränderung kämpfen.

Fragen: Tom Mustroph

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