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Chirac muss Rede und Antwort stehen

Ermittlungen gegen Frankreichs Ex-Präsident

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Frankreichs früherer Staatschef

Jacques Chirac musste wegen des Vorwurfs der Veruntreuung jetzt erneut zweieinhalb Stunden lang vor einer Richterin aussagen. Wie sein Anwalt mitteilte, gehe es um 35 umstrittene Verträge für Rathausmitarbeiter aus der Zeit, in der er Pariser Bürgermeister war. Die Justiz hatte vor zwei Wochen Ermittlungen eingeleitet.

Der auf Verbraucherschutz spezialisierte Pariser Rechtsanwalt, der schon vor neun Jahren Anzeige gegen Chirac wegen Veruntreuung erstattet hatte, war jetzt selbst erstaunt über den späten Erfolg seiner Initiative. Immer wieder hatten ihm die angesprochenen Staatsanwälte, Untersuchungsrichter oder Vertreter des Justizministeriums erklärt, dass keine Aussicht auf Erfolg bestehe, weil Chirac als Staatspräsident strafrechtliche Immunität genieße. Dass er ein halbes Jahr nach Ablauf seiner zweiten Amtsperiode als Präsident und fast 20 Jahre nach den fragwürdigen Amtshandlungen als Pariser Bürgermeister nun doch noch vorgeladen wird, weil die kleine, aber beherzte Untersuchungsrichterin Xavière Simeoni ein Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet hat, geht auf eine Besonderheit des französischen Rechts zurück. Während beispielsweise in Deutschland die Verjährungsfrist vom Zeitpunkt der Straftat an zählt, setzt sie in Frankreich erst dann ein, wenn der Straftatbestand den Untersuchungsbehörden bekannt wird.

In den Jahren 1977 bis 1995, als Chirac Bürgermeister und zugleich Vorsitzender der neogaullistischen Partei RPR war, hat er offensichtlich nicht nur zahlreiche hauptamtliche RPR-Mitarbeiter, sondern auch Parteifreunde oder deren Ehegattinnen und erwachsene Kinder mit fiktiven Posten im Rathaus versorgt und aus der Stadtkasse bezahlen lassen. In einer Stellungnahme in der Zeitung »Le Monde« versicherte Chirac nun, alles sei »im Interesse der Pariser Bürger« gewesen, und vor allem: Er habe sich »nicht persönlich bereichert«. Ermittelt wird zunächst über Dutzende der insgesamt 104 Mitarbeiter, die das »Büro des Bürgermeisters« im Jahre 1994 zählte – zumindest auf dem Papier und in der Lohnbuchhaltung. Die meisten haben wohl seinerzeit das Pariser Rathaus nie betreten.

Das gehörte offenbar ebenso zum »System Chirac« wie die Praxis, »befreundeten« Unternehmen millionenschwere Aufträge der Stadt zuzuschanzen und dafür massive Parteispenden – meist in bar – zu kassieren. Die Parteispendenaffäre endete nach langjährigen Untersuchungen und zahlreichen Versuchen, das Verfahren durch politischen Druck oder mit juristischen Tricks zu Fall zu bringen, mit der Bestrafung zweit- und drittrangiger RPR-Verantwortlicher. Lediglich der spätere Premier Alain Juppé wurde zu einer milden einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Chirac nahm dazu nie Stellung. Auch nicht zu den Recherchen von Journalisten, er habe in seiner Zeit als Bürgermeister teure Privatreisen mit der Familie etwa nach New York oder auf die Insel Réunion durch seinen Fahrer beim Reisebüro in bar bezahlen lassen. Ob das Geld aus der »Schwarzen Kasse« im Rathaus stammte, wie Insider vermuteten, ließ sich nie klären. Den Präsidenten konnte man ja nicht belangen. Nun schon – den politischen Willen vorausgesetzt.

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