»Lebensqualität ist keine Ware«

Immer mehr Einzelhandelsbetriebe werden bestreikt: Rund 1700 Beschäftigte protestierten

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Protestzug wird immer größer: Streikende des Einzelhandels ziehen zum Roten Rathaus.
Der Protestzug wird immer größer: Streikende des Einzelhandels ziehen zum Roten Rathaus.

Die Trillerpfeifen scheinen schriller zu klingen als sonst, die Paukenschläge der Sambatruppe dumpfer als bei früheren Demonstrationen. Gestern gingen die Beschäftigten des Einzelhandels zum wiederholten Male für mehr Lohn auf die Straße. Die begleitenden Musikanten sind ebenfalls Beschäftigte des Einzelhandels.

Dieses Mal hatten sich auch Streikende aus Warenhäusern und von Ikea dem Protestzug angeschlossen und zogen von der ver.di-Zentrale am Ostbahnhof vor das Rote Rathaus. »Rund 1700 Beschäftigte sind unserem Aufruf gefolgt«, schätzte die vom vielen Reden schon heisere Erika Ritter, Leiterin des Fachbereichs Handel bei ver.di Berlin-Brandenburg.

Am 12. Dezember soll mit einem weiteren Protestzug »noch einer draufgesetzt« werden. Ver.di fordert für die 90 000 Beschäftigten in Berlin und Brandenburg 6,5 Prozent mehr Geld sowie den Erhalt von Abend- und Wochenendzuschlägen. »Die Arbeitgeber bieten lediglich 1,7 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Dieses Angebot verknüpfen sie mit der Bedingung, dass die Zuschläge für Spät- und Sonnabendsarbeit gestrichen und für Nachtarbeit erheblich reduziert werden. Bei dieser Mogelpackung müssten die Beschäftigten auf durchschnittlich 150 Euro pro Monat verzichten«, so Erika Ritter.

Im langen Zug der Streikenden sind auch viele Brandenburger auszumachen: Real aus Schwedt, H & M Frankfurt (Oder), Kaufland Logistik Lübbenau, Kaufmarkt Dallgow. »Spontan haben sich auch die Kollegen der Fleischerei Birkenhof aus dem havelländischen Perwenitz unserem Streik angeschlossen«, freute sich Ritter. Birkenhof gehört 100-prozentig zu Kaiser's-Tengelmann und beliefert die Filialen mit Fleisch.

»Wir legen auch am Montag die Arbeit nieder«, verriet ein Birkenhof-Mitarbeiter. »Dann werden die Fleischtheken bei Kaiser's leer bleiben.« Rind und Schwein werden nicht in Schnitzel, Koteletts oder Bratenfleisch zerlegt und auch nicht ausgeliefert. Die Kommissionierer werden ebenfalls streiken. Sie stellen die Auftragsmengen für die Filialen zusammen. »Der Montag wird fleischlos dank ver.di«, hoffte Erika Ritter.

Rund 20 Betriebe in Berlin werden auch heute bestreikt, darunter Extra, Plus, Penny, Rewe, Schlecker, Kaufhof, Karstadt, Wertheim, Thalia und Ikea. Bei Discountern wie Schlecker oder Netto fordert die Gewerkschaft zudem eine Mindestbesetzung an Personal. »Lebensqualität ist keine Ware, auf die es Rabatt gibt«, machen die Streikenden deutlich.

Die Arbeitgeber nähmen den Streik »als Signal ernst«, sagte Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg (HBB). Das Weihnachtsgeschäft wird nach Einschätzung des HBB jedoch nicht beeinträchtigt.

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