Auch Sozialisten verherrlichen die Arbeit

Der Theologe Franz Segbers zur Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen / Der 57-Jährige lehrt an der Philipps-Universität Marburg

  • Lesedauer: 4 Min.
Franz Segbers gehört zu den profiliertesten Theologen und Sozialethikern in Deutschland. Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Meißen sprach er sich erneut für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus. Michael Bartsch sprach für ND mit dem Wissenschaftler.

ND: Herr Segbers, wenn Ihnen heute ein jemand ein bedingungsloses Grundeinkommen anbieten würde, würden Sie umgehend Ihre Lehr- und Forschungstätigkeit einstellen?
Segbers: Nein – ich würde das tun, was ich jetzt auch tue, mich nämlich gesellschaftlich engagieren. Als Professor befinde mich ja in der privilegierten Situation, jene gesellschaftlich nützliche Arbeit zu tun, für die andere auch eine Gelegenheit haben sollten. Hinter der Frage steckt natürlich die nach dem Vertrauen in einen schöpferischen und tätigkeitswilligen Menschen, der ein Grundeinkommen nicht als Faulenzer- oder »Stilllegungsprämie« versteht. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Kapitalismus den Menschen auf die Erwerbsarbeit zugerichtet hat. Von seinem Ursprung her ist der Mensch keineswegs ein Homo faber. Er ist von Gott begabt mit vielen Fähigkeiten, die er zu seinem und zum Wohle anderer einbringen kann.

Aber bei der Linken ist die Fetischisierung von Arbeit doch auch weit verbreitet?
Verherrlichung der Arbeit haben Kapitalismus und Sozialismus gemeinsam: »Den Müßiggänger schiebt beiseite«, heißt es in der Internationale, und der konservative Ministerpräsident Koch will nur dem einen Anspruch auf Sozialleistung zuerkennen, der auch Arbeit als Gegenleistung einbringt. Das ist der gleiche Geist: Außer der Arbeit kein Heil.

Viele nehmen irrtümlich an, ein Grundeinkommen beseitige jeden auch ganz egoistischen Anreiz, mehr zu leisten und Geld zu verdienen?
Was heißt schon Leistung? Wie soll man mit Leistung rechtfertigen, dass der Chef von Porsche 56 Millionen Euro im Jahr verdient und die Krankenschwester im Monat 1600 Euro? Was ist mehr wert: Alte Menschen würdig zu pflegen oder einen Porsche zu bauen? Was Leistung ist, hängt von der Bewertung ab. Jeder bekommt das, was er sich besorgt und nicht das, was er verdient hat. Es gibt keinen objektiven Maßstab für eine gerechte Bezahlung. Das Grundeinkommen sichert jedem noch vor jeder Leistung ein Recht auf materielle Sicherung zu. Es ist ein Menschenrecht zu leben. Endlich ist es im Reichtum objektiv möglich, dieses Recht einzulösen – wenn wir es wollen.

Ein Grundeinkommen für alle kann aber nur durch Wertschöpfung gewährleistet werden. Wer soll die leisten? Leben auf Kosten anderer?
Die Ökonomie ist hochproduktiv. Sie schafft mit immer weniger Arbeit Reichtum für wenigen und Armut zahlreiche. Arbeit wird überflüssig. Wenn wir nicht wollen, dass Menschen überflüssig werden, brauchen wir darauf eine Antwort. Das Grundeinkommen ist eine solche Antwort. Der Kapitalismus achtet nur die Arbeit, die sich für die Kapitalakkumulation rentiert. Diesen verengten Arbeitsbegriff müssen wir aufbrechen durch die Wertschätzung von Arbeiten, die unsere Gesellschaft braucht: Erziehung, Kunst, Bildung, Pflege, ziviles und soziales Engagement.

Werden wir zu einer Arbeitsethik zurückkehren müssen, die in vorkapitalistischer Zeit wurzelt?
Der französische Philosoph André Gorz hat gesagt, dass die Arbeit eine Erfindung der Moderne ist. In vorkapitalistischen Gesellschaften wäre niemand auf die Idee gekommen, alle Arbeit nur über den Markt organisieren zu wollen. Ich glaube, wenn Menschen durch relative Sicherheit materiell frei werden, dann sind sie auch frei für Tätigkeiten zum Wohle dieser Gesellschaft.

Anders gefragt: Braucht der sich immer ungehemmter und anarchischer entwickelnde Kapitalismus wieder eine stärkere ethische Rückbindung, um letztlich selbst überleben zu können?
Arbeit wird zur Herstellung materieller Güter immer überflüssiger. Gleichwohl haben wir eine Sozialpolitik, die Menschen auf Arbeitsmärkte treibt und sagt, das Recht auf soziale Sicherung bekommen nur die, die im Gegenzug zur Arbeit um jeden Preis bereit sind. Das ist die Zuspitzung einer eigentlich längst überholten Arbeitsgesellschaft. Wenn wir eine humane Entwicklung haben wollen, muss sich die Produktivität der Wirtschaft nützlich für den Menschen und die Gesellschaft machen. Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum ist ein demokratisches Grundrecht. Denn jeder hat Platz in der Gesellschaft und niemand ist überflüssig.

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