Trance spart Medikamente

Hypnose trotz vieler Vorteile in der Medizin nicht durchgesetzt

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 3 Min.
Varietébühnen, schwingende Pendeluhren und die Manipulation des Willens – bei dem Wort Hypnose denken viele Menschen nicht unbedingt an Medizin. Dabei wird das Suggestionsverfahren in vielen medizinischen Bereichen verwendet. Aber durchgesetzt hat sich die Hypnose bislang nicht.

Für Aufsehen in der Medizin sorgte der Einsatz von Hypnose schon im Jahr 1846. Damals berichtete der schottische Chirurg James Esdaile, das Verfahren in Indien bei Amputationen benutzt zu haben. In Abgrenzung dazu präsentierte im gleichen Jahr in Boston ein Chirurg die erste Äther-Narkose mit den Worten: »Gentlemen, dies ist kein Schwindel.«

Anderthalb Jahrhunderte später hat sich die Hypnose noch immer nicht ganz von diesem zweifelhaften Leumund befreit, nicht zuletzt wegen der Vorführungen in Varietés und Diskotheken, bei denen die Hypnotisierten dem Gespött des Publikums preisgegeben werden. »Wir stehen unter dem Schatten der Showhypnose«, sagt Helga Hüsken-Janßen von der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (DGH). »Deshalb wird Hypnose nicht so häufig eingesetzt, wie es sinnvoll wäre.«

Dennoch wird das Verfahren inzwischen in vielen medizinischen Bereichen benutzt: Etwa in der Psychotherapie und bei körperlichen Beschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt wie beispielsweise beim Reizdarm. Auch in der Zahnmedizin, in der Geburtsvorbereitung, in der Fortpflanzungsmedizin, bei Schlafproblemen und zunehmend auch in der Schmerztherapie behelfen sich Ärzte damit, ihre Patienten in tiefe Entspannung zu versetzen.

»Hypnose ist eine Form, den kognitiv-emotionalen Zustand eines Menschen mit Hilfe imaginativer Techniken zu beeinflussen«, erläutert Peter Henningsen vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Ziel sei es, Vorstellungen und Empfindungen zu bahnen, um Menschen in Trance zu versetzen. In diesem Zustand, ergänzt der Psychologe Stefan Jacobs von der Universität Göttingen, sei die hierarchische Anordnung der Bewusstseinsebenen aufgelöst. So lasse sich etwa das Empfinden von Schmerzen deutlich reduzieren.

Wie sich das Verfahren vor Operationen auswirkt, prüfte kürzlich eine Studie der Mount Sinai School of Medicine in New York an Brustkrebs-Patientinnen. Unmittelbar vor einem Eingriff erhielten die Frauen entweder eine 15-minütige Hypnose oder aber sie führten ein Gespräch mit einem Psychologen. Ergebnis: Die hypnotisierten Patientinnen benötigten weniger Anästhetika, und sie litten nach dem Eingriff weniger unter Schmerz, Übelkeit, Müdigkeit und negativen Gefühlen, wie das »Journal of the National Cancer Institute« berichtet. Außerdem dauerte die Operation unter Hypnose im Mittel fast elf Minuten weniger. Die Kostenersparnis pro Patientin betrug 773 Dollar (etwa 550 Euro).

Dass Hypnose auch bei Patienten mit chronischen Schmerzen den Arzneimittelbedarf deutlich senken kann, zeigt eine kleine Studie der Uni Göttingen. Darin verringerte das Verfahren im Rahmen einer Verhaltenstherapie die Menge der benötigten Mittel je nach Wirkstoffgruppe um 35 bis 75 Prozent, wie Studienleiter Jacobs berichtet. Das Besondere an dieser Untersuchung: Die Patienten hatten zuvor in zehn Sitzungen gelernt, sich selbst autosuggestiv in einen Zustand tiefer Entspannung zu versetzen und den Schmerz zu mindern. So konnten sie reagieren, sobald sich besonders heftige Schmerzattacken ankündigten. »Wenn das Schmerzniveau anstieg, konnten sie das abfangen«, sagt Jacobs. Auf Dauer lasse sich dadurch ein extrem empfindliches Schmerzgedächtnis, das schon geringe Reize als intensive Pein registriert, wieder desensibilisieren. Davon profitiere nicht nur der Körper, sondern auch die Seele: »Wenn Patienten die Schmerzen selbst beeinflussen können, fühlen sie sich nicht mehr hilflos ausgeliefert«, betont Jacobs. »Dies bessert das Wohlbefinden und mindert depressive Symptome.«

»Allerdings ist nicht jeder Mensch gleichermaßen für das Verfahren geeignet. Rund zehn Prozent der Bevölkerung reagieren nicht auf Suggestionen. Und auch nicht jeder Schmerz lässt sich mit Hypnose lindern. »Für psychisch bedingte Schmerzen ist das Verfahren nicht geeignet«, sagt Jacobs und verweist auf Traumapatienten. Hier müsse man die zugrunde liegenden Probleme behandeln.

Dennoch könnte Hypnose breiter als bisher eingesetzt werden, wie der Psychiater David Spiegel von der Universität Stanford mit Blick auf die New Yorker Studie betont. Weniger Beschwerden für die Patienten, weniger erforderliche Medikamente, weniger Aufwand an Zeit und Kosten. Spiegel: »Wenn ein Medikament das könnte, würde es jeder benutzen.«

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