Tusk startet »Operation Klimaverbesserung«

Polens neuer Premier kommt nach Berlin / Trotz moderater Töne Konfliktpunkte in Beziehungen

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 4 Min.
Polens Spitzenpolitiker sind in den letzten Tagen außenpolitisch sehr aktiv geworden. Staatspräsident Lech Kaczynski weilte zwei Tage in der Ukraine und besprach mit Präsident Viktor Juschtschenko Aspekte einer »neuen strategischen Partnerschaft«. Am heutigen Dienstag kommt Premier Donald Tusk nach Berlin.

Unmittelbar vor seinem Besuch in Berlin hat der neue polnische Regierungschef Donald Tusk vorgeschlagen, statt eines »sichtbaren Zeichens« zur Erinnerung an die Vertreibungen aus den früheren »deutschen Ostgebieten« ein Museum des Zweiten Weltkriegs zu errichten. Darin könnten die Vertreibungen im größeren Zusammenhang dargestellt werden, sagte Tusk der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom Montag. An diesem Projekt könnten sich alle interessierten Seiten beteiligen, auch Russland und Israel. Standort eines solchen Museums könne Gdansk sein, wo mit dem Angriff auf die polnische Festung Westerplatte der Zweite Weltkrieg begann.

Die offizielle Visite bei Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde durch ein Treffen des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski mit seinem Amtskollegen Frank- Walter Steinmeier am vergangenen Donnerstag in Berlin vorbereitet. Aus polnischer Sicht wurde damit die »Operation Klimaverbesserung« eingeleitet. Wie aus Erklärungen beider Politiker nach der Zusammenkunft hervorging, »wurde ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen geöffnet«. Die Atmosphäre des Gesprächs sei so gut gewesen, dass der Eindruck entstehen konnte, als ob in den letzten zwei Jahren nichts Ungutes zwischen Deutschland und Polen geschehen sei. Wie dem offiziellen Kommuniqué des polnischen Außenministeriums zu entnehmen war, sollen die beiden Minister volles gegenseitiges Vertrauen geäußert haben. Dem neuen Stil, auf den beide Chefdiplomaten verwiesen, könne bei gutem Willen auch neue Substanz folgen, wie Sikorski betonte. Man müsse nur ehrlich auch über die schwierigsten Fragen miteinander reden.

Ob ein neuer Stil, gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit genügen werden, um die bilateralen Beziehungen tatsächlich zu verbessern, wird sich erst zeigen müssen. Warschauer Zeitungen, die das Treffen der Außenminister positiv bewerteten (»Trybuna« kommentierte: »Neue Verteilung der Karten«, »Gazeta Wyborcza« auf Seite eins: »Friede mit den Deutschen«) versäumten gleichzeitig nicht, die schwierigen Punkte im Nachbarschaftsverhältnis herauszustellen. Zum vielschichtigen Stoff, aus dem die polnisch-deutschen Albträume sind, gehören sowohl historisch-mentale Fragen wie das genannte »sichtbare Zeichen« für die »Vertreibung« in Form eines Erinnerungszentrums als auch wirtschaftliche Angelegenheiten wie etwa die »Nord-Pipline« durch die Ostsee zwischen Russland und Deutschland. Probleme gibt es ebenfalls mit der gegenseitigen Rückgabe polnischer und deutscher Kulturgüter. Nicht zuletzt sind es die Eigentumsansprüche der in der »Preußischen Treuhand« organisierten ehemaligen deutschen Besitzer, die vor polnischen Gerichten ihre Hauser und Höfe zurückfordern.

Welche weiteren Schritte für die Klimaverbesserung der polnische Premier heute beim Treffen mit der Bundeskanzlerin unternehmen kann und will, ist derzeit in Polen eher ungewiss. Obwohl beide Gesprächspartner stark im Lächeln sind, schienen bisher die Positionen auf beiden Seiten ziemlich verkrustet zu sein. Polen kündigt immerhin seine Bereitschaft an, über die Nord-Pipline, die weiterhin abgelehnt wird, Konsultationen zu führen. In Fernsehkommentaren wurde jedoch darauf hingewiesen, dass Tusks Spielraum ziemlich eng begrenzt ist. Sich einfach über alle gegenüber Deutschland erhobenen Vorbehalte seines Vorgängers hinwegzusetzen – das kann er sich angesichts der in der »deutschen Frage« im Lande von der oppositionellen Partei »Recht und Gerechtigkeit« geschürten Stimmung nicht erlauben. In zahlreichen Kommentaren hieß es, dass zur Zeit der Miller/Belka-Regierung, die das Kabinett Gerhard Schröders als Partner hatte, das Klima nicht besser hätte sein können und trotzdem die anstehende Probleme nicht für Polen zufriedenstellend gelöst werden konnten. Vorsicht sei also für Donald Tusk geboten.

Dabei hat Tusk schon genug Ärger wegen seiner offen demonstrierten Haltung zu Russland. Diese wurde vergangene Woche anlässlich der Sitzung des Russland-NATO-Rates in Brüssel bekräftigt. Im Gespräch Sikorskis mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow wiederholte der polnische Minister die Zusage zu Konsultationen über den von den USA geplanten »Raketenabwehrschild«. Das Entgegenkommen könnte von russischer Seite mit dem Ende des Fleischembargos und der Einladung des polnischen Premiers nach Moskau im ersten Vierteljahr 2008 belohnt werden. In Berlin, der Zwischenstation auf dem Weg nach Paris und Lissabon, braucht Donald Tusk jedoch zunächst etwas Handfestes, das er als Beweis für die Effektivität seiner neuen Außenpolitik vorweisen könnte.

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